Freitag, 18. Oktober 2013

Das Dilemma mit der Erreichbarkeit

Bei digitaler Arbeit werden Umweltressourcen geschont. Aber auch der Mensch braucht Schonung und Schutz. So lese ich in der jüngsten Ausgabe von „Publik“, dem Printorgan von Ver.di, in dem sie sich für Arbeitnehmer stark macht, die zu Hause oder unterwegs arbeiten. Nachdem das Notebook zum tragbaren Büro, der Internetzugang quasi zum Nabel der Welt geworden ist. Und weil damit angeblich die Erwartung des Arbeitgebers zu ständiger Erreichbarkeit verbunden ist, meint Ver.di, sich für den Schutz der Menschen einsetzen zu müssen, die sich durch diese ständige Erreichbarkeit für die Firma belastet fühlen. Und diese Belastung zunehmend depressiv macht, wie ein aktueller Krankenkassen-Report ergab.

Einen Überblick über die Chancen und Risiken des Internets für die Arbeitswelt hat sich nach dem Ver.di-Bericht die Enquet-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ in dreijähriger Arbeit verschafft. Sie kommt jetzt zu dem Ergebnis (Auszug): „Die Option, prinzipiell und überall seiner beruflichen Tätigkeit nachgehen zu können, stellt die wohl bedeutsamste und zugleich chancenreichste Veränderung dar, welche digital vernetzte Berufstätigkeit von klassisch betriebsgebundener unterscheidet.“(Endes des Auszugs).

Dazu nun wird in dem erwähntem Krankenhaus-Report festgestellt, dass bei einem Angestellten, der häufig außerhalb der Arbeitszeit von seiner Firma kontaktiert wird, das Risiko für eine Depression steigt (Link: http://www.welt.de/themen/depression/ ). Knapp sechs Prozent der Angestellten gelten laut der DAK-Umfrage als ständig erreichbar. Von ihnen leide jeder vierte an depressiven Symptomen.

Das ist die eine Seite der Medaille. Dr. Walter Eichendorf, stv. Hauptgeschäftsführer der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) meint dazu, dass die Frage der Erreichbarkeit und die Vielzahl der Kommunikationskanäle heutzutage zweifellos eine Herausforderung darstellt, der sich Unternehmen und Beschäftigte gleichermaßen stellen müssten. Unternehmen sollten deutlich machen, dass die gesetzlichen und betrieblichen Bestimmungen zur Dauer der Arbeitszeit sowie zu den Ruhe- und Pausenzeiten einzuhalten sind." Sinnvolle und eindeutige Regelungen zur Erreichbarkeit und Handlungsfähigkeit helfen deutlich zu machen, dass Beschäftigte nicht unter Druck geraten, ständig erreichbar zu sein.

Aber nicht nur der Arbeitgeber ist bei der Vermeidung von Kommunikationsstress gefordert, so Eichendorf. "Wer im Büro arbeitet, hat heute neben dem Diensttelefon und dienstlichen E-Mail-Postfach häufig auch noch ein privates Handy dabei. Möglicherweise sogar ein Smartphone, auf dem er in sozialen Medien unterwegs ist." Es liege demzufolge auch in der Verantwortung jedes Einzelnen, abzuschalten und sich gezielt einer Aufgabe zuzuwenden.

Gerade das aber scheint ein zentrales Problem zu sein. Es waren ja nicht die Arbeitgeber, die bei Aufkommen des Handy von ihren Mitarbeitern ständige Erreichbarkeit zur Auflage machten. Es waren die ganz normalen Bürger, denen der Besitz eines Handys und danach auch der eines Notebooks gar nicht schnell genug gehen konnte. Und vielfach waren es die Arbeitnehmer, die damit überhaupt erst aus ihrem Besitzerstolz heraus ihren Chefs ihre Erreichbarkeit auch außerhalb der normalen Arbeitszeiten offerierten. Kein Wunder demzufolge, wenn sich Unternehmer diese Angebote zunutze machten. Heute so zu tun, als stünde man unter Druck der Unternehmer, hat sich ja wohl erst aus dieser Konstellation ergeben. Und ist meines Erachtens nicht ganz fair. Umso mehr, wenn ich erlebe, dass in Straßenbahn, am Kiesteich oder sonst bei jedweder Gelegenheit per Handy kommuniziert wird. Und dabei wohl am wenigsten mit dem Arbeitgeber. Von Pausen- oder Erholungszeiten vom digitalen Kommunizieren also keine Spur. Auch nicht im Urlaub, während dem man doch meint, die Verbindung nach Hause aufrecht erhalten zu müssen. Wenn dann von Stress und Depression gesprochen und darüber geklagt wird, sind ganz sicher nicht allein die Arbeitgeber mit der Erwartung permanenter Erreichbarkeit ihrer Mitarbeiter schuld. Dass die auch schon ganz allgemein bei Kindern zum Alltag gehört, sei am Rande bemerkt.

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