Dienstag, 20. August 2013

Wer die Wahl hat . . .

Nordhausen, die „Stadt der Vielfalt“ hat derzeit mit der Vielfalt an Wahlwerbung seine diesbezügliche Attraktivität noch einmal erhöht. Sie teilt diese Art von Vielfalt allerdings bis zum 22. September mit ziemlich allen Städten und Dörfern im Bundesgebiet, um noch möglichst viele unentschlossene Wähler zu mobilisieren. Und jede Partei ist damit bemüht, das Wahlvolk auf sich aufmerksam zu machen und für sich zu gewinnen.

In der „Kölner Stadtrundschau las ich dieser Tage, dass die Werbung mancher Parteien eine regelrechte Zumutung sei, „es sei denn, man kann ihre versteckten Botschaften entschlüsseln.“
Und das versucht dann die Redaktion und der Autor dieses Beitrags, mit Hinweisen in Bild und Text. Beispielsweise heißt es da zur FDP: „...Lernpsychologen wissen, dass sich ein Produktname besser ins Gedächtnis einprägt, wenn er in einer erregenden Umgebung steht. So ein emotional aufrüttelnder Rahmen kann etwa eine sexuelle Anspielung sein – womit wir auch schon bei Rainer Brüderle wären...“. Oder zu den LINKEN: „...Wer behauptet, die Linken-Politiker wären allesamt nicht vorzeigbar, ist ein gemeiner Lügner. Dank guter Gene und/oder Fotoshop sind diese nämlich vielmehr sehr attraktiv – eine Dame hat sogar rote Haare. Da rote Haare bei den Linken aber das Gleiche sind wie blonde Haare im Blondinenwitz, versteckt sich ihre Trägerin, genau wie die Parteispitze, lieber hinter Inhalten...“. Und ähnlich weist man bei anderen (größeren) Parteien auf Besonderheiten hin, die für sie bezeichnend sind.

Ich weiß natürlich nicht, ob sich Wähler angesichts der Vielfalt an Parteienwerbung auf Stellwänden und aushängenden Plakaten zu derart tiefgründigen Überlegungen angeregt fühlen. Verwunderlich aber ist sicher nicht, dass sich auch die Forschung mit dieser Art Werbung beschäftigt und Wissenschaftler untersucht haben, welche Art der Parteien- und Kandidatenwerbung denn die größte – emotionale – Wirkung auf die Betrachter solcher Werbung ausübt. Und hier also ein solches Ergebnis:

Wahlkampf-Forschung: Bildplakate wirken stärker als Textplakate

Wahlkampf im Fokus der Forschung:
Universität Hohenheim startet wissenschaftliche Begleitung des Bundestagswahlkampfes.
Heute: Wie Plakate wirken / Am 1.9.13: wissenschaftliche Live-Messung zum TV-Duell

Wie wichtig die Spitzenkandidaten wirklich sind, wie Wahlplakate und Wählerumfragen wirken und welchen Parteien es gelingt sich verständlich zu machen: In den kommenden Wochen bilden Themen wie diese einen besonderen Schwerpunkt in der wissenschaftlichen Arbeit des Lehrstuhls
für Kommunikationswissenschaft von Prof. Dr. Frank Brettschneider an der Universität Hohenheim. Ein Höhepunkt wird eine Live-Auswertung des TV-Duells, bei der 220 Zuschauer die Aussagen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und SPD-Herausforderer Peer Steinbrück in Echtzeit bewerten – 140 davon an der Universität Hohenheim, 80 an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Ravensburg.

Das Hauptinteresse der Forscher gilt der Frage wie Parteien, Kandidaten und Wähler im Wahlkampf zusammenspielen. „Konkret untersuchen wir, wie die Parteien kommunizieren und was davon bei den Wählerinnen und Wählern tatsächlich ankommt“, sagt Prof. Dr. Frank Brettschneider, Leiter des Lehrstuhls Kommunikationswissenschaft insb. Kommunikationstheorie an der Universität Hohenheim.

Im Einzelnen gehören dazu auch die folgenden Themen:

• Wahlplakate: Wie wirken Plakate?

• Wahlprogramme: Wie verständlich sind sie?

• TV-Duell: Welche Aussagen finden Zustimmung, welche Aussagen polarisieren?

• Wahlumfragen: Wie groß ist ihre Bedeutung und wie wirken sie?

• Personalisierung: Wie groß ist der Einfluss der Spitzenkandidaten?

Heutiger Schwerpunkt: Wahlplakate – Bildplakate wirken stärker als Textplakate

Fünf Wochen vor der Wahl wird der Wahlkampf zum ersten Mal so richtig sichtbar: Die Parteien haben mit der Plakatierung begonnen. Seit einigen Tagen machen sowohl „Kopfplakate“ mit dem Konterfei der Kandidaten als auch Themen- und Textplakate darauf aufmerksam, dass die Wahl näher rückt. Aber wirken diese Plakate auch? Diese Frage untersucht der Lehrstuhl in mehreren Forschungsprojekten.

„Wir kombinieren Befragungen von Wählerinnen und Wählern mit Blickaufzeichnungen, dem sogenannten Eyetracking. Dabei wird millisekundengenau der Blickverlauf beim Betrachten von Wahlplakaten festgehalten“, erklärt Prof. Dr. Brettschneider. „So kann man sagen welche Personengruppen wie lange wohin geschaut haben. Das lässt Schlüsse auf die Wirkung der Plakate zu. Außerdem lassen wir die Plakate von Probanden bewerten.“

Welche Wahlplakate gibt es und wie wirken sie?

„Es gibt ganz unterschiedliche Wirkungen von Wahlplakaten“, erklärt Prof. Dr. Brettschneider. „Zunächst einmal machen sie darauf aufmerksam, dass der Wahlkampf begonnen hat. Sie haben also eine Signalfunktion. Und dann unterscheiden wir verschiedene Typen von Wahlplakaten. Auf den reinen ‚Kopfplakaten’ ist ein Kandidat bzw. eine Kandidatin abgebildet, meist versehen mit dem Namen, dem Parteilogo und einem Slogan. Unsere Untersuchungen zeigen, dass diese Plakate kaum wirken. Sie machen die Kandidaten und Kandidatinnen zwar etwas bekannter, doch viele Menschen sind früher oder später von diesen Plakaten genervt.“

Anders sei dies bei den Plakaten der Spitzenkandidaten. Auf deren „Kopfplakaten“ wird in der Regel ein Thema oder eine besondere Eigenschaft (Verlässlichkeit, Führungsstärke etc.) angesprochen. Durch die Verbindung eines Themas mit einem Spitzenkandidaten könnten diese Plakate größere Wirkung entfalten, so der Wahlkampf-Forscher.

Bei der dritten Kategorie handelt es sich um reine Themenplakate, insbesondere zu den Bereichen Wirtschaft, Umwelt, Soziales. „Parteien können damit die Aufmerksamkeit der Menschen auf ihre Kernthemen lenken. Dafür darf das Plakat aber nicht überfrachtet sein. Am besten eignet sich die Kombination aus einem Foto, das die Aufmerksamkeit auf sich zieht, und einem passender Slogan. Reine Textplakate hingegen wirken gar nicht – oder sogar abstoßend“, so Prof. Dr. Brettschneider.

Generell zeigten die Forschungsergebnisse, dass Wahlplakate kaum Einstellungen der Wählerinnen und Wähler verändern. Die Hauptfunktion der Plakate besteht aus Sicht der Wissenschaftler darin, die Aufmerksamkeit auf bestimmte Themen zu lenken. Wahlplakate wirken also vor allem dann, wenn sie relevante Themen ansprechen und wenn sie gut gemacht sind.

Woran erkennt man gute und schlechte Wahlplakate?

Das Team um Prof. Dr. Brettschneider beurteilt Plakate anhand des Inhalts und der Gestaltung. „Zum Inhalt: Es muss sich um Themen handeln, die für die Wählerinnen und Wähler relevant sind. Zur Gestaltung: Bildplakate sind generell besser als Textplakate“, fasst der Kommunikationswissenschaftler zusammen.

Bildplakate würden schon nach wenigen Millisekunden unbewusst besser bewertet als Textplakate. Bilder erzielten daher eine größere Aufmerksamkeits- und Aktivierungswirkung. Die Bildelemente würden schneller und länger betrachtet als der Rest eines Plakates; fast 70 Prozent der Betrachtungszeit entfalle auf die Bildbereiche, so Prof. Dr. Brettschneider.

Bildplakate würden von den Betrachtern auch besser erinnert als Textplakate – und sie würden häufiger den richtigen Parteien zugeordnet. Zudem stießen Bildplakate auf eine größere Akzeptanz als Textplakate. Und all das gelte unabhängig von der Parteineigung der Betrachter. Der „Bild-Überlegenheitseffekt“ lasse sich in allen Wählergruppen feststellen. Außerdem wichtig seien freundliche und leuchtende Farben, statt schriller und greller Töne, eine klare Gliederung, assoziationsreiche, emotional positiv besetzte Bilder und ein ausgewogenes Kontrastverhältnis.

Wie wichtig sind Plakate im Vergleich zu anderen Wahlkampfinstrumenten?

„In Zukunft werden Wahlplakate etwas an Bedeutung verlieren. Bei begrenzten finanziellen Mitteln für die Wahlwerbung müssen sich Parteien entscheiden, welchen Mix unterschiedlicher Wahlkampfinstrumente sie einsetzen wollen. Da wird es eine Verschiebung geben – weg vom Plakat, hin zum Internet. Völlig unwichtig werden Wahlplakate jedoch nie sein – und der Anspruch an ihre Qualität wird wachsen“, ist sich Prof. Dr. Brettschneider sicher.


Text: Leonhardmair (Florian Klebs Presse- und Öffentlichkeitsarbeit)Eine Publikation des idw-wissenschaftlichen Dienstes)

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