Donnerstag, 29. August 2013

"Ich habe einen Traum..."

Sommer 1963: ein Schlüsselmoment der jüngeren US-Geschichte

27. August 2013
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Washington (epd). Kaum eine Rede hat sich so in das kollektive Gedächtnis eingegraben wie diese poetische und mit biblischer Symbolik gewürzte Ansprache - gehalten vor einem halben Jahrhundert an einem heißen Sommertag auf einer "Kundgebung für Jobs und Freiheit" in Washington. Der 34-jährige Martin Luther King sprach am 28. August 1963 vor mehr als 200.000 Menschen, etwa drei Viertel davon Schwarze, über seinen Traum.
Amerika werde das "Versprechen der Demokratie" verwirklichen, und Kings vier Kinder würden einmal "in einer Nation leben, in der man sie nicht nach der Farbe ihrer Haut, sondern nach dem Wesen ihres Charakters beurteilt". Schwarze würden nicht mehr "auf einer einsamen Insel der Armut in der Mitte eines weiten, weiten Ozeans des materiellen Wohlstandes" existieren, lautete Kings Vision. Die Kundgebung forderte Bürgerrechte, Gleichheit vor dem Gesetz, Job-Programme und bessere Löhne.
Der "Marsch auf Washington" und die folgende Rede des Baptistenpredigers am Lincoln-Denkmal im Sommer 1963 gelten als ein Schlüsselmoment der jüngeren US-Geschichte. Fast 250.000 Gegner der Rassentrennung umjubelten ihn damals für seine Vision der Gleichheit von Schwarz und Weiß.
Das Jubiläum wird mit einem großen Festprogramm in der US-Hauptstadt gefeiert. Bereits am Samstag kamen Zehntausende zu einer Gedenk-Demonstration nach Washington. Am Jahrestag selbst sollen in den Vereinigten Staaten landesweit Kirchenglocken läuten, Präsident Barack Obama nimmt an einem Gottesdienst teil und wird eine Rede am Lincoln Memorial halten.
Der "Traum" ist noch nicht ganz in Erfüllung gegangen. Die Armutsrate in der schwarzen Bevölkerung sei noch immer drei Mal so hoch wie bei weißen Amerikanern, und ein kürzliches Urteil des Obersten Gerichtshofes schwäche das Wahlrecht. Der ungesühnte gewaltsame Tod des afro-amerikanischen Teenagers Trayvon Martin habe die "Bedeutung des Jahrestages erhöht", sagt der Präsident Marc Morial von der National Urban League.
Die Kundgebung vor 50 Jahren war keine "feel good"-Veranstaltung. Im Süden der Vereinigten Staaten herrschte Apartheid. Schwarze durften nicht wählen, gegenüber der Polizei waren sie rechtlos. 1955 waren die Bürgerrechtsbewegung und King als ihr Sprecher ins nationale Bewusstsein getreten mit dem Busboykott in Montgomery (US-Staat Alabama). Vielerorts stießen die Bürgerrechtler auf brutalen weißen Widerstand. Im Mai 1963 hetzte die Polizei in Birmingham in Alabama Hunde auf Demonstranten, setzte Wasserwerfer ein, und ließ Hunderte festnehmen, darunter zahlreiche Kinder.
Präsident John F. Kennedy trat im Juni vor die Fernsehkameras und räumte ein: Die USA steckten in einer "moralischen Krise". Doch er war auch besorgt, die Kontrolle über die Bewegung zu verlieren. Und Südstaaten-Politiker aus Kennedys Demokratischer Partei klammerten sich am Status quo. FBI-Direktor John Edgar Hoover warnte vor kommunistischem Einfluss. Wenige Wochen vor der Kundgebung ließ Kennedy Telefone verdächtigter Bürgerrechtler abhören.
Viele Weiße konnten sich offenbar keine friedliche afroamerikanische Kundgebung vorstellen. In der Fernsehtalkshow "Meet the Press" wurde gewarnt, es sei doch wohl schwierig, "mehr als 100.000 militante Schwarze" nach Washington zu bringen "ohne Vorfälle und möglicherweise Unruhen". Washington verbat den Verkauf alkoholischer Getränke, und Tausende Soldaten waren in Alarmbereitschaft.
Kings Ansprache dauerte 17 Minuten. Sie wurde im Fernsehen übertragen - es war wohl das erste Mal, dass viele Weiße einem schwarzen Aktivisten zuhörten. Der berühmte Satz "I have a Dream" stand gar nicht im Manuskript, sagt Kings Biograph Taylor Branch. Während seiner Ansprache habe sich der Prediger an den Emotionen der Zuhörer orientiert. Die Gospelsängerin Mahalia Jackson habe ihm zugerufen, "erzähle ihnen von deinem Traum, Martin". Und King sprach vom Traum eines gerechten Amerika, wie er dies schon in manchen Predigten zuvor getan hatte.
Präsident Kennedy empfing Martin Luther King nach der Kundgebung. Doch in einem FBI-Memorandum wird die Rede als demagogisch eingestuft. King sei "der gefährlichste und effektivste schwarze Führer". Im Oktober 1963 habe Justizminister Robert Kennedy angeordnet, King abzuhören, sagt der Historiker David Garrow.
Doch "I have a Dream" zeigte Wirkung. Knapp ein Jahr danach unterzeichnete Kennedys Nachfolger Lyndon Johnson ein weitreichendes Bürgerrechtsgesetz. Kennedy war im November 1963 einem Attentat zum Opfer gefallen.
Bürgerrechtler demonstrierten weiter, King predigte weiter: Für Gewaltlosigkeit, gegen den Krieg in Vietnam, für Gleichberechtigung, für streikende Arbeiter. Im November 1964 wurde der Prediger mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Im April 1968 wurde Martin Luther King von einem weißen Rassisten ermordet. Seit 1993 wird in allen US-Staaten jedes Jahr am dritten Montag im Januar der Martin Luther King Day begangen. Am 28. August 2011 eröffnete der erste schwarze US-Präsident Obama das "Martin Luther King, Jr. National Memorial" in Washington.

(Aus dem aktuellen Newsletter der EKD)

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