Sommer 1963: ein Schlüsselmoment der jüngeren US-Geschichte
27.
August 2013
Washington
(epd). Kaum eine Rede hat sich so in das kollektive Gedächtnis
eingegraben wie diese poetische und mit biblischer Symbolik gewürzte
Ansprache - gehalten vor einem halben Jahrhundert an einem heißen
Sommertag auf einer "Kundgebung für Jobs und Freiheit" in
Washington. Der 34-jährige Martin Luther King sprach am 28. August
1963 vor mehr als 200.000 Menschen, etwa drei Viertel davon Schwarze,
über seinen Traum.
Amerika
werde das "Versprechen der Demokratie" verwirklichen, und
Kings vier Kinder würden einmal "in einer Nation leben, in der
man sie nicht nach der Farbe ihrer Haut, sondern nach dem Wesen ihres
Charakters beurteilt". Schwarze würden nicht mehr "auf
einer einsamen Insel der Armut in der Mitte eines weiten, weiten
Ozeans des materiellen Wohlstandes" existieren, lautete Kings
Vision. Die Kundgebung forderte Bürgerrechte, Gleichheit vor dem
Gesetz, Job-Programme und bessere Löhne.
Der
"Marsch auf Washington" und die folgende Rede des
Baptistenpredigers am Lincoln-Denkmal im Sommer 1963 gelten als ein
Schlüsselmoment der jüngeren US-Geschichte. Fast 250.000 Gegner der
Rassentrennung umjubelten ihn damals für seine Vision der Gleichheit
von Schwarz und Weiß.
Das
Jubiläum wird mit einem großen Festprogramm in der US-Hauptstadt
gefeiert. Bereits am Samstag kamen Zehntausende zu einer
Gedenk-Demonstration nach Washington. Am Jahrestag selbst sollen in
den Vereinigten Staaten landesweit Kirchenglocken läuten, Präsident
Barack Obama nimmt an einem Gottesdienst teil und wird eine Rede am
Lincoln Memorial halten.
Der
"Traum" ist noch nicht ganz in Erfüllung gegangen. Die
Armutsrate in der schwarzen Bevölkerung sei noch immer drei Mal so
hoch wie bei weißen Amerikanern, und ein kürzliches Urteil des
Obersten Gerichtshofes schwäche das Wahlrecht. Der ungesühnte
gewaltsame Tod des afro-amerikanischen Teenagers Trayvon Martin habe
die "Bedeutung des Jahrestages erhöht", sagt der Präsident
Marc Morial von der National Urban League.
Die
Kundgebung vor 50 Jahren war keine "feel good"-Veranstaltung.
Im Süden der Vereinigten Staaten herrschte Apartheid. Schwarze
durften nicht wählen, gegenüber der Polizei waren sie rechtlos.
1955 waren die Bürgerrechtsbewegung und King als ihr Sprecher ins
nationale Bewusstsein getreten mit dem Busboykott in Montgomery
(US-Staat Alabama). Vielerorts stießen die Bürgerrechtler auf
brutalen weißen Widerstand. Im Mai 1963 hetzte die Polizei in
Birmingham in Alabama Hunde auf Demonstranten, setzte Wasserwerfer
ein, und ließ Hunderte festnehmen, darunter zahlreiche Kinder.
Präsident
John F. Kennedy trat im Juni vor die Fernsehkameras und räumte ein:
Die USA steckten in einer "moralischen Krise". Doch er war
auch besorgt, die Kontrolle über die Bewegung zu verlieren. Und
Südstaaten-Politiker aus Kennedys Demokratischer Partei klammerten
sich am Status quo. FBI-Direktor John Edgar Hoover warnte vor
kommunistischem Einfluss. Wenige Wochen vor der Kundgebung ließ
Kennedy Telefone verdächtigter Bürgerrechtler abhören.
Viele
Weiße konnten sich offenbar keine friedliche afroamerikanische
Kundgebung vorstellen. In der Fernsehtalkshow "Meet the Press"
wurde gewarnt, es sei doch wohl schwierig, "mehr als 100.000
militante Schwarze" nach Washington zu bringen "ohne
Vorfälle und möglicherweise Unruhen". Washington verbat den
Verkauf alkoholischer Getränke, und Tausende Soldaten waren in
Alarmbereitschaft.
Kings
Ansprache dauerte 17 Minuten. Sie wurde im Fernsehen übertragen - es
war wohl das erste Mal, dass viele Weiße einem schwarzen Aktivisten
zuhörten. Der berühmte Satz "I have a Dream" stand gar
nicht im Manuskript, sagt Kings Biograph Taylor Branch. Während
seiner Ansprache habe sich der Prediger an den Emotionen der Zuhörer
orientiert. Die Gospelsängerin Mahalia Jackson habe ihm zugerufen,
"erzähle ihnen von deinem Traum, Martin". Und King sprach
vom Traum eines gerechten Amerika, wie er dies schon in manchen
Predigten zuvor getan hatte.
Präsident
Kennedy empfing Martin Luther King nach der Kundgebung. Doch in einem
FBI-Memorandum wird die Rede als demagogisch eingestuft. King sei
"der gefährlichste und effektivste schwarze Führer". Im
Oktober 1963 habe Justizminister Robert Kennedy angeordnet, King
abzuhören, sagt der Historiker David Garrow.
Doch
"I have a Dream" zeigte Wirkung. Knapp ein Jahr danach
unterzeichnete Kennedys Nachfolger Lyndon Johnson ein weitreichendes
Bürgerrechtsgesetz. Kennedy war im November 1963 einem Attentat zum
Opfer gefallen.
Bürgerrechtler
demonstrierten weiter, King predigte weiter: Für Gewaltlosigkeit,
gegen den Krieg in Vietnam, für Gleichberechtigung, für streikende
Arbeiter. Im November 1964 wurde der Prediger mit dem
Friedensnobelpreis geehrt. Im April 1968 wurde Martin Luther King von
einem weißen Rassisten ermordet. Seit 1993 wird in allen US-Staaten
jedes Jahr am dritten Montag im Januar der Martin Luther King Day
begangen. Am 28. August 2011 eröffnete der erste schwarze
US-Präsident Obama das "Martin Luther King, Jr. National
Memorial" in Washington.
(Aus
dem aktuellen Newsletter der EKD)
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