Fragen an Christoph Ehrenfellner, Composer in Residence der Theater Nordhausen/Loh-Orchester Sondershausen
GmbH, zur Uraufführung seiner Sinfonie Nr. 1 („Luther-Sinfonie“) im 3. Sinfoniekonzert am 11. und 12. November
Im 3. Sinfoniekonzert des Loh-Orchesters wird Ihre Sinfonie Nr. 1 uraufgeführt. Was bedeutet Ihnen
dieses Werk? Und was bedeutet der Konzertabend?
Dieses
Wochenende ist für mich als Komponist wieder mal so was wie
‚Geburtstermin’ ... Sie müssen verstehen,
dass ich als erfahrener Geiger, Kammermusiker und Dirigent die bald
300-jährige Geschichte der Sinfonie und alle ihre Protagonisten im
kleinen Finger habe, und dass es eben dadurch nicht so trallala ‚ich
schreib jetzt mal eben eine Symphonie’ ist für mich.
Ich kenne die Schuhgröße und Bedeutung meiner Gattungsvorbilder
Beethoven Nr. 9, Mendelssohn Nr. 2, Mahler Nr. 8, Bruckner Nr. 7 und
muss – wenigstens vor mir selbst und vor meinen Fachkollegen wie zum
Beispiel Daniel Klajner und dem Loh-Orchester – daneben
irgendwie bestehen können. Ich messe mich mit den großen deutschen
Sinfonikern. Ganz so tragisch wie Herr Brahms mit seiner Nr. 1 hab ich
zum Glück nicht kämpfen müssen, aber, glauben Sie mir, es war ein Kampf!
Wie kam es zur kompositorischen Beschäftigung mit dem Thema Luther? Was ist Ihr Bezug, Ihr persönlicher
Zugang zu dieser komplexen Gestalt?
Ich
habe mich richtig eingelesen, und bin begeistert und fasziniert von der
Tragweite der Ereignisse,
die von dieser Gestalt ihren Ausgang genommen haben. Mann, das ist ein
Herzstück europäischer Kulturgeschichte! Das Thema hat mindestens so
viel Substanz wie Wagners Nibelungen-Ring! Als begeisterter Europäer,
Idealist und unermüdlicher Mitarbeiter an unserer
freien aber solidarischen Individualgesellschaft singe ich von ganzem
Herzen und aus tiefster Überzeugung den Hymnus auf Luther, dessen
Impulse und Neuerungen so viel ausgelöst haben, was uns heute
selbstverständlich ist. All diese Gedanken und Gefühle nun
umzusetzen in Töne, und hineinzupacken in die Form einer Chorsinfonie,
das ist nun eben mein Job als Komponist. Ich habe den Auftrag mit
Freuden angenommen, er hat mich außerordentlich bereichert mit Horizont,
Einsicht und Erkenntnis.
Was werden die Zuhörer für Musik hören?
Inwiefern bezieht sie sich auf Luther? Skizzieren Sie seine Biografie in Tönen, oder hören wir eher ein musikalisches
Portrait?
Den
ersten Schlachtplan für die Symphonie zu erstellen war gar nicht
leicht. Der Anspruch, so eine gewaltige Sache
einzukreisen, ist enorm, und in zähem Ringen zwischen der Intendanz und
mir ist es gelungen, eine Dramaturgie zu erstellen, die der Gattung
‚Chorsinfonie’ auch entspricht. Ich erstelle mit den 4 Sätzen meiner 1.
Sinfonie so eine Art ‚emotionales Profil’ von
vier Momenten, die aus meiner Sicht für Martin Luther ganz wesentlich
waren: 1. Luthers geistig-seelischer Ausgangspunkt, die Apokalypse (die
Angst vor dem strafenden Gott). 2. Der Hilferuf der gequälten Seele ‚de
profundis clamavi’ und die leuchtende Erlösung
im Glauben. 3. Das irdische Leben und einige der gewichtigen
Statements, die Luther dazu zu sagen hatte. 4. Die Evokation des
Propheten, also das Einkreisen des Momentums, das Luthers Worte und
Gedanken zu einer Religions-stiftenden Macht erhoben hat, und
endlich der Hymnus an die Gemeinschaft im Glauben.
Die
Hörer werden auf eine emotionale, klangsinnliche Reise durch eben die
vier genannten Themenkomplexe mitgenommen,
und ich habe als Komponist gute Arbeit getan, wenn es gelingt, den
Hörern diese Reise aufregend, wohltuend und vor allem seelisch lohnend
zu machen.
Wie ist das Komponieren einer Sinfonie verglichen mit der Arbeit an Ihren bisherigen Werken?
Es
ist gar nicht so anders als beispielsweise die Arbeit an einer
Orchester-Fantasie (und da habe ich
ja bereits vier Werke gemacht), nur größer, indem es ja diesmal über
vier Sätze hinweg einen Zusammenhang geben soll. Ein guter Teil des
Zusammenhangs entsteht natürlich schon aus dem oben genannten Konzept.
Aber – auch darin lehne ich mich an Vorbilder wie
Beethoven Nr. 9 – das Zurückgreifen des Finales auf die vorangehenden
Sätze ist etwas, was der Sinfonie ganz besonders vorbehalten ist und
eine schöne, große thematische Klammer schafft um das Ganze. Man braucht
für eine etwa fünfzigminütige Chorsinfonie halt
einfach mehr Ausdauer, einen längeren Atem und größere Weitsicht in der
kompositorischen Vision als für eine zwanzigminütige Orchester-Fantasie
oder Ouvertüre. Mehr Reife also. Es war mir sehr recht, dass ich als
Komponist wenigstens zehn Jahre Schritte gemacht
habe, bevor dieser Auftrag kam.
Wie haben Sie die Sinfonie komponiert? Hatten Sie die Musik quasi im Kopf und haben sie „nur“ noch niedergeschrieben,
oder entstand die Musik vor allem beim Komponieren?
Sie
fragen mich nach dem Phänomen der Kreation, des Schaffensprozesses an
sich?! Das ist natürlich wahnsinnig individuell.
Bei mir ist es eine Mischung aus den in Ihrer Frage skizzierten
Positionen. Etwas, was nicht zuvor in Bauch und Kopf gebrütet ist, kommt
auch nicht beim Komponieren ... das Sich-Einfühlen und Bedenken, der
Instinkt also, ist nun mal der einzige Trieb und Spürhund
für das, was sich findet. Wenn sich Themen-Material und Visionen
klanglich in mir eingestellt haben, dann beginnt der Kampf mit der Form,
also, das Entwickeln und Umsetzen eines musikalischen Gedankens. So war
es immer beim Komponieren – man erinnere sich
an Bachs simples Beispiel der ‚Inventiones’ für Klavier, die jeder
Eleve mal spielt – so ist es im Wesentlichen auch heute noch: Wenn man
mal einen Einfall hat, was macht man dann damit?! Da verbinden sich nun
Kunst und Handwerk, Genie und ganz normale Meisterschaft.
Haben Sie schon Pläne für die nächste Sinfonie?
Nein! Aber ich weiß, dass auch das noch kommen wird...
Was ist Ihre nächste Arbeit als Composer in Residence der Theater Nordhausen/Loh-Orchester Sondershausen
GmbH?
Derzeit
sitze ich an der zweiten Hälfte des Balletts ‚Die Kraniche des Ibykus’.
Das Werk ist ebenso umfassend
wie groß dimensioniert, und beansprucht mich enorm. Am 16. Februar ist
Premiere am Theater Nordhausen – ich bin bereits unter Zugzwang, aber
das ist ein ganz normaler Zustand für Komponisten. Wer den Termindruck
nicht aushält, kann den Job unmöglich machen!
Auch bei den ‚Kranichen’ liegt meine persönliche Latte wieder hoch:
Strawinskis „Feuervogel“, „Le Sacre du printemps“, Prokofjews „Romeo und
Julia“ sind meine direkten Gattungsvorbilder, und ich messe mich an
ihnen. Die Kühnheit meiner Ansage besteht darin,
dass ich zu mir selbst sage: ich will in der Wirkung meiner Komposition
wenigstens an diese Giganten erinnern! Ob ein Wurf gelingt, das hängt
von vielen Faktoren ab, Zeit und Geld spielen eine nicht unwesentliche
Rolle dabei, und als Vater von drei kleinen
Kindern bin ich in sehr irdische Realitäten eingespannt. Aber, manchmal
bin ich ein echter Götterliebling, und bekomme einen tollen Einfall
geschenkt! Dann trägt mich die Begeisterung über den irdischen Kampf
hinweg und ich bin der Glücklichste!
Foto: Christoph Ehrenfellner mit der Partitur seiner „Luther-Sinfonie“ am neuen Nordhäuser Luther-Denkmal; Foto: Birgit Susemihl
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