Sonntag, 24. Mai 2015

Aspekte zum Tarifeinheitsgesetz

Gerade noch rechtzeitig vor Pfingsten endete ein Streik der Gewerkschaft GDL, der – mit einigen Unterbrechungen – seit Monaten hunderttausende Bahnreisende verunsicherte und zeitweise in Aufregung versetzte. Bekanntlich vertritt die GDL als Spartengewerkschaft die Lokführer, die durch ihre Streiks nicht nur den Personenverkehr der Bahn zeitweise lahm legte, sondern auch den Güterverkehr beeinträchtigte. Dabei ging es GDL-Chef Claus Weselsky nicht allein um Lohnforderungen, sondern gleichermaßen um die Erweiterung seiner Zuständigkeit für Zugbegleiter und sonstige Bedienstete des Bahnverkehrs. Weselsky – der meines Erachtens während der zeitweiligen Streikphasen seiner GDL mitunter den Eindruck eines alles beherrschenden Machers vermittelte - wertete die Beendigung des Streiks zugunsten einer Schlichtung schon mal als Erfolg seiner GDL.


Wenn dem so sein sollte, könnte das allerdings die letzte Streikaktion seiner GDL gewesen sein. Und aller anderen derzeit aktiven Spartengewerkschaften, nachdem der Bundestag am Freitag (gestern hatte ich irrtümlich Mittwoch geschrieben) das Tarifeinheitsgesetz verabschiedete. Bisher konnte jede Spartengewerkschaft wie die GDL (für Lokführer), die Vereinigung Cockpit (für Piloten) oder der Marburger Bund (für Ärzte) Betriebe quasi in die Knie zwingen , - man könnte auch sagen, erpressen - um Partikularinteressen durchzusetzen, schrieb das ManagerMagazin. Sie fürchten nun ihr Ende, obwohl das Gesetz auch Chancen eröffnet, so das MM. Mario Ohoven, Präsident des BVMW stellte nach der Verabschiedung fest (siehe meinen gestrigen Eintrag): „Union und SPD haben mit der Verabschiedung des Tarifeinheitsgesetzes den Standort Deutschland gestärkt. Damit werden die Möglichkeiten von Spartengewerkschaften beschränkt, Unternehmen in Arbeitskämpfe zu verstricken, die die Republik lahmlegen und die gesamte Wirtschaft mit täglich 100 Millionen Euro belasten.“ Das vorerwähnte ManagerMagazin stellte dazu klar (Auszug): Das Gesetz lässt zwar auch künftig zu, dass mehrere Tarifverträge in einem Unternehmen gelten können. Doch dort, wo Tarifkonflikte zwischen Gewerkschaften innerhalb eines Betriebes herrschen, - wie bei der Bahn - soll nur noch jene Abschlüsse machen dürfen, die die meisten Mitglieder hat. Mehrere konkurrierende Tarifverträge von Gewerkschaften für ein- und dieselbe Berufsgruppe innerhalb einer Firma werden dann der Vergangenheit angehören. Seit Jahren wird ein solches Gesetz diskutiert, seit Jahren immer wieder verworfen, doch die Streik-Exzesse der GDL haben den Prozess wahrscheinlich mehr beschleunigt, als ihr lieb ist.“ (Ende des Auszugs).“Maßlosigkeit ist nun mal kein Grundrecht. Es ist Gift, wenn es innerhalb eines Unternehmens unterschiedliche Bedingungen für gleichwertige Arbeit gibt. Wenn es Gutverdiener gibt, die auf weniger gut Verdienende herabschauen. Wenn für sie deshalb weniger da ist, weil die anderen besonders dreist aufgetreten sind. Das neue Gesetz privilegiert nicht die Großgewerkschaften - im Gegenteil: Es fördert den Wettbewerb. Die kleinen müssen nur attraktiv genug für alle sein, schon werden sie mehr Mitglieder bekommen - dann können sie auch wieder Tarifverträge abschließen.


Desungeachtet aber werden die Spartengewerkschaften gegen das Gesetz Sturm laufen, was allerdings auch in der gesamten Problematik begründet ist. Der Vorsitzende des Beamtenbundes Klaus Dauderstädt kündigte umgehend Verfassungsklage in Karlsruhe an. Und argumentiert: „Ein schwarzer Tag für die Grundrechte. Wenn die Abgeordnetenmehrheit die Koalitionsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger nicht mehr verteidigt, müssen die Richter des Bundesverfassungsgerichts diese Rolle übernehmen. Die heute beschlossene Regelung verstößt gegen das Grundgesetz, zerstört den Betriebsfrieden und treibt die Gewerkschaften in Deutschland in einen harten Konkurrenzkampf. Über die drohenden praktischen Probleme bei der Umsetzung eines solchen Gesetzes will ich gar nicht reden. Wer ermittelt die Gewerkschaftszugehörigkeiten und auf welcher rechtlichen Grundlage? Wer definiert die Betriebsmehrheit, zu welchem Stichtag? Alles ungeklärt. Die Bundesregierung stellt die deutschen Arbeitsgerichte vor unlösbare Aufgaben und bedroht die Existenz der Berufsgewerkschaften. Das werden wir auf keinen Fall hinnehmen." Und in der „Rheinischen Post“ las man (Auszug): Die kleinen Gewerkschaften wollen schnell und mit vielen Klagen gegen das Tarifeinheitsgesetz vorgehen. "Wir werden Klage beim Verfassungsgericht einreichen, sobald die Tarifeinheit im Gesetzblatt steht", sagte der Chef des Marburger Bundes, Rudolf Henke. „Der Beamtenbund kündigte für Juli eine Klage an. "Ich rechne fest damit, dass eine Vielzahl an Klageschriften beim Verfassungsgericht eingehen wird", sagte Klaus Dauderstädt, Chef des Beamtenbundes. Man werde sich mit anderen Gewerkschaften wie dem Marburger Bund und der Vereinigung Cockpit abstimmen: "Am Ende wird es aber getrennte Klagen geben." Für die Pilotenvereinigung Cockpit wird der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) die Klageschrift ausarbeiten, erfuhr die Zeitung von der Gewerkschaft.“(Ende des Auszugs). Und in der „Schwäbischen Zeitung heißt es (Auszug): „Doch womöglich wurde die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Das Bundesverfassungsgericht könnte die Tarifeinheit kippen, da sie gegen das Grundrecht der Koalitionsfreiheit verstößt. Sollten die kleinen Gewerkschaften gestärkt aus der Auseinandersetzung in Karlsruhe hervorgehen, müssten die großen ihren Mitgliedern nicht mehr nur erklären, warum sie in Tarifgesprächen weniger herausgeholt haben als die Konkurrenz. Sie müssten auch darlegen, warum die Menschen überhaupt noch Mitglied bei ihnen sein sollen.“(Ende des Auszugs). Und schließlich entnehme ich der „Stuttgarter Zeitung“ (Auszug):

Die große Koalition geht mit dem Gesetz sicherlich das Risiko ein, dass das Verfassungsgericht das Gesetz eines Tages kassieren könnte. Trotz der Unwägbarkeiten ist der Vorstoß der Regierung aber richtig. Seit 2010 wird in Deutschland über ein Gesetz zur Tarifeinheit diskutiert. Die Kritiker haben es geschafft, Stimmung gegen die Regelungen zu machen. Dabei sind die berechtigten Anliegen der Befürworter in den Hintergrund getreten. Das vom Bundestag beschlossene Gesetz stellt trotz juristischer Unsicherheiten den Versuch dar, die Tarifautonomie in Deutschland zu stärken. Das verdient Unterstützung.“(Ende des Auszugs und dieses Eintrags).

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