Im
Rahmen des SOFI-Forschungskolloquiums am 11.12.2015 hat Julian
Nida-Rümelin in seinem Vortrag „Zur Krise beruflicher und
akademischer Bildung“ vor steigenden Akademikerquoten und der
Abwertung nicht-akademischer Ausbildungs- und Berufswege gewarnt.
Volker Baethge-Kinsky, Bildungsforscher am SOFI, hat den Vortrag
kritisch kommentiert.
Laut Nida-Rümelin ist der Anteil der Studienanfänger in Deutschland in den Jahren 2006-2012 von 36% auf 58% gestiegen – begleitet von hohen Abbrecherquoten. Gleichzeitig verweisen Prognosen auf einen drohenden Mangel an nicht-akademischen Fachkräften. Mit Blick darauf betonte Nida-Rümelin besonders die niedrigen Jugendarbeitslosigkeitsquoten in Ländern mit einem dualen Berufsbildungssystem (wie Deutschland) und das durchaus vergleichbare Durchschnittseinkommen von (ausgewählten) Hochschulabsolventen und nicht-akademischen Fachkräften, um auf die Vorteile beruflicher Bildung in Deutschland hinzuweisen.
Eine kritische Replik erfolgte durch Volker Baethge-Kinsky, Bildungsforscher am SOFI. Einig ist er sich mit Nida-Rümelin zunächst in einem Punkt: Das duale System der Berufsausbildung sollte stabilisiert und soweit möglich weiterentwickelt werden. Fraglich sei aber, ob Probleme des dualen Systems im Kern durch die Steuerung politischer Akteure verursacht und durch politische Steuerung revidierbar seien. Zwar hat laut Baethge-Kinsky die Bildungsreform der 60er Jahre breites Bildungsinteresse freigesetzt und zu einem kontinuierlichen Anstieg der Studienanfängerzahlen geführt. Die jüngste Krise der beruflichen Bildung habe jedoch – weit vor Bologna – mit der Expansion des sogenannten Übergangsystems (das keine berufsqualifizierenden Zertifikate vermittelt) in der zweiten Hälfte der 90er Jahre begonnen und äußere sich in einer seitdem anhaltenden Unterversorgung mit Ausbildungsplätzen. Das Hauptproblem sei daher nicht, dass Jugendliche (geblendet von einem „Akademisierungswahn“) zu wenig Interesse an einer Lehrstelle zeigten, sondern dass Betriebe immer weniger ausbildeten und zu wenig attraktive Ausbildungsplätze anböten. Hieran habe sich trotz vielfältiger Anstrengungen von Gewerkschaften, Kammern, Landes- und Bundespolitik nichts geändert. Wenn die Ausbildungsanfängerquote bei den Abiturienten seit geraumer Zeit niedriger als früher ausfalle, so Baethge-Kinsky, dürfte dies auch damit zusammenhängen, dass gerade in den für Abiturienten attraktiven Berufen das Ausbildungsangebot besonders schmal ausfällt.
Dr. Jennifer Villarama Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen (SOFI)
Mitteilung
des idw – wissenschaftlichen Dienstes am 22. Dezember 2015
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