Mittwoch, 11. Januar 2017

Gemeinsame Stellungnahme

                            des deutschen und des französischen Migrationsbischofs
                          anlässlich des Welttags des Migranten und Flüchtlings 2017

In seiner Botschaft zum Welttag des Migranten und Flüchtlings 2017 lenkt Papst Franziskus unsere Aufmerksamkeit auf das Schicksal von Kindern und Jugendlichen, „die dreifach schutzlos sind“: weil sie minderjährig, weil sie fremd und weil sie wehrlos sind. Mit aufrüttelnden Worten erinnert er uns an die Leidensgeschichten der vielen minderjährigen Migranten, „die in die Prostitution geführt oder für Pornographie verwendet werden; die zu Sklaven in der Kinder- und Jugendarbeit gemacht oder als Soldaten angeworben werden; die in Drogenhandel und andere Formen der Kriminalität verwickelt werden; die zur Flucht vor Konflikten und Verfolgungen gezwungen werden.“ Diesen schwerwiegenden Verletzungen der Kinder – und Menschenrechte setzt der Heilige Vater eine klare ethische Perspektive entgegen: Gerade weil uns in den „Kleinsten und Schwächsten“ Jesus Christus begegnet, müssen wir alles in unserer Macht Stehende unternehmen, um ihre Würde in besonderer Weise zu schützen. Sein Appell richtet sich an alle, die in Staat, Kirche und Zivilgesellschaft Verantwortung tragen.
Im Jahr 2015 waren weltweit mehr als 65 Millionen Menschen auf der Flucht – über die Hälfte von ihnen Minderjährige. Angesichts dieses traurigen Höchststands ist es mehr denn je das Gebot der Stunde, den Fluchtursachen entschieden entgegenzutreten.
In Europa stellt uns die außerordentlich hohe Zahl unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge vor immense Herausforderungen. Da viele Kinder und Jugendliche keinen Asylantrag stellen, liegt ihre tatsächliche Zahl weitaus höher, als es die offiziellen Daten vermuten lassen. Doch können wir beim Blick auf die Statistik das Ausmaß des Anstiegs zumindest erahnen: Während 2014 in der Europäischen Union 23.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge einen Asylantrag stellten, waren es 2015 fast 100.000; im vergangenen Jahr dürften es sogar noch mehr gewesen sein. Hinter diesen Zahlen verbirgt sich unermessliches Leid: Familien wurden auseinandergerissen, Kinder und Jugendliche wurden Opfer von Gewalt und Ausbeutung, mussten schwere körperliche und seelische Verletzungen erleiden.
Als Christen kann uns dies nicht gleichgültig lassen! Vielmehr sind wir dazu aufgefordert, die Perspektive der Entrechteten einzunehmen, ihnen eine Stimme zu verleihen und mit tatkräftiger Nächstenliebe ihre Würde zu verteidigen. Jeder von uns muss sich fragen, wie er dazu beitragen kann, dass
die Wunden minderjähriger Migranten heilen und sie in unseren Ländern eine neue Heimat finden.
Mit ihren Schulen, Wohlfahrtseinrichtungen, Jugendorganisationen, kirchlichen Verbänden und Ordensgemeinschaften verfügt die katholische Kirche in Deutschland und in Frankreich über zahlreiche Ressourcen, um minderjährige Migranten auf ihrem Weg in ein selbstbestimmtes Leben zu begleiten. Angesichts der Größe der Herausforderung gilt es, bereits bestehende Angebote auszuweiten und weiterzuentwickeln. Im Mittelpunkt muss dabei stets der Grundsatz stehen, dass jedes Kind darin bestärkt wird, seine eigenen Fähigkeiten zu entfalten.
Gleichzeitig darf jedoch auch die Verantwortung der zuständigen staatlichen Stellen nicht aus dem Blick geraten. Als Vertragsstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention, der UN-Kinderrechtskonvention und anderer internationaler Abkommen erkennen Deutschland und Frankreich minderjährigen Migranten spezifische Rechte zu. Daher erinnern wir die politischen Verantwortungsträger unserer Länder an ihre Pflicht, die rechtlichen und administrativen Voraussetzungen dafür zu garantieren, dass minderjährige Migranten bei uns ein menschenwürdiges Leben führen können. Das Recht auf Kindheit ist unter allen Umständen zu respektieren. Dies bedeutet, dass jedes Kind – unabhängig von Herkunft und Status – die Möglichkeit haben muss, in einer sicheren Umgebung zu leben, zu lernen, zu spielen und zu lachen. Damit sie die Schatten der Vergangenheit hinter sich lassen können, brauchen minderjährige Migranten darüber hinaus auch spezielle Therapie- und Bildungsangebote.
Aus Anlass des Welttages des Migranten und Flüchtlings wollen wir von Herzen allen danken, die sich in unseren Ländern für das Wohl minderjähriger Migranten einsetzen: Erziehern, Lehrern, Sozialarbeitern, Therapeuten, pastoralen Mitarbeitern, Beratern, Juristen, und insbesondere allen, die sich ehrenamtlich für eine Kultur der Aufnahme und Solidarität engagieren. Wir begrüßen die gute Zusammenarbeit, die sich in vielen Bereichen zwischen kirchlichen, zivilgesellschaftlichen und staatlichen Akteuren herausgebildet hat. Ihnen allen ist es zu verdanken, dass viele minderjährige Migranten sich in unseren Gesellschaften als Menschen angenommen fühlen und eine Perspektive für ihre Zukunft sehen.
Gemeinsam mit Papst Franziskus wollen wir alle Christen dazu ermutigen, sich im Gebet und in Taten für minderjährige Migranten einzusetzen – auch und gerade angesichts widriger Umstände: „Werdet nicht müde, mit eurem Leben mutig das gute Zeugnis für das Evangelium abzulegen, das euch ruft, Jesus, den Herrn, der in den Kleinsten und Verletzlichsten gegenwärtig ist, zu erkennen und aufzunehmen.“
Erzbischof Dr. Stefan Heße (Hamburg), Vorsitzender der Migrationskommission und Sonderbeauftragter für Flüchtlingsfragen der Deutschen Bischofskonferenz, und
Bischof Georges Colomb (La Rochelle), zuständig für die Migrantenpastoral in der Französischen Bischofskonferenz

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen