Montag, 30. November 2015

Wann ist Fotografie Kunst ?


Am Mittwoch vergangener Woche präsentierte die „Thüringer Allgemeine“ u.a. die „Fotos des Jahres“. Ohne jeden Zweifel ausgezeichnete Fotografien, die tags zuvor im Erfurter Landtag prämiert wurden, wie die Zeitung berichtete. Und obwohl es ja in Nordhausen jüngst in der Galerie der Kreissparkasse eine Fotoausstellung (Dr. Christian-Robert Fiedler „Einblicke“) gab, und derzeit im Kunsthaus Meyenburg zwei Fotoausstellungen (Tilmann Graner und Daniela Wagner) zu sehen sind, wurde ich eigentlich erst durch diese „Fotos des Jahres“
angeregt, mir Gedanken darüber zu machen, wann Fotografien über das Festhalten von Situationen aus allen möglichen Bereichen – auch wenn sie noch so ausdrucksstark sind - den Anspruch von Kunst erheben können.
Es gibt zu dieser Überlegung eine recht umfangreiche Literatur – einiges davon steht in meinem Bücherregal – aber zu einem einheitlichen Ergebnis kommen die Autoren nicht, jedenfalls ist nicht jede Fotografie Kunst.


Und diese „Fotos des Jahres“ - sämtlich aus dem Bereich der Reportagefotografie – mögen ausgezeichnet sein, Kunst aber sind sie meines Erachtens nicht. Landtagspräsident Christian Carius meinte nach dem Bericht der TA (Auszug), das Bild an sich sei eine Botschaft, die über den Text hinausgeht. „In der Flut der Informationen ist das Betrachten eines Fotos der Moment, in dem wir innehalten.“(Ende des Auszugs). Und die Aufgabe eines Pressefotografen besteht nicht darin, ein Kunstwerk zu schaffen, sondern die gegebene Wirklichkeit mit der Kamera zu erfassen und wiederzugeben. Die dazu nötige Geistesgegenwart, eine Situation vorauszusehen, oder sie zu erkennen und im richtigen Moment den Auslöser der Kamera zu betätigen, steht da mehr im Vordergrund als künstlerisches Gestaltungsstreben. (Unter den in zunehmenden Maße wiedergegebenen Leserfotografien finden sich nicht selten auch solche, die nicht weniger spektakulär sind als die der Pressefotografen.) Unter diesem Gesichtspunkt beruht deren Tätigkeit und sind deren gelegentliche Ergebnisse eher hervorragende handwerkliche Arbeitsergebnisse. Ich erinnere mich bei dieser Gelegenheit an
Zeiten, in denen Abzüge von Kamerafilmen in Fotolabors der Redaktionen entstanden und oft genug „nachbehandelt“ werden mussten, bevor sie in Zeitungen und Zeitschriften ihren Platz finden konnten. Heute gibt es dafür genügend technische Mittel, um ein gutes Bild entstehen zu lassen, falls Nachbesserungen nötig werden.. Zu jener Zeit gab es neben den professionellen Fotografen auch zahllose Fotogemeinschaften, in denen man sich austauschte, um eigene Kenntnisse und Fertigkeiten zu verbessern (warum nur gibt es sie heute nicht mehr?).


Von diesen „Fotos des Jahres“ und meinen Überlegungen dazu leite über zu den Ausstellungen im Kunsthaus Meyenburg. Nicht nur zu den gegenwärtigen des Fagottisten Tilmann Graner und der Mezzosopranistin Daniela Wagner: 2007 zum Beispiel stellte der Nordhäuser Pressefotograf Roland Obst im Kunsthaus unter dem Motto „Der Mensch allein ist die Dominante“ aus. Damals zeigte Obst eine Auswahl seiner Bilder, die in den Jahren zuvor bei seiner Arbeit für
die Nordhäuser Lokalredaktion entstanden sind. Ich bin der Meinung, dass Obst auf Jeden Fall erwähnt gehört, wenn von ausgezeichneten Bildern von TA-Pressefotografen gesprochen und ihre Arbeiten beschrieben werden.


Und das umso mehr, als Roland Obst auch 2014 im Kunsthaus Meyenburg unter dem Motto „Faust im Bild“ ausstellte, wobei ich zu meinen oben erwähnten Überlegungen besonders interessant finde, was zu seiner Arbeitsweise berichtet wurde: Roland Obst zeigt in seinen Bildern die verschiedenartigen Produktionen, in allen sind aber die Geschichte und die Konflikte von Goethes "Faust" gut nachvollziehbar. Die Fotoarbeiten sind aber keine abbildenden Szenenfotos, sondern künstlerisch so bearbeitet, dass jedes einzelne Werk eine eigene Geschichte erzählt. Bewusst fügt Roland Obst verschiedene Fotographien zusammen, verkleinert oder vergrößert Details, hebt Ausschnitte
hervor, reduziert Hintergründe, spielt mit der Unschärfe, verfremdet Details, so dass die einzelnen Arbeiten jetzt eine komplexe Geschichte erzählen, die letztendlich den Mythos "Faust" besonders ausdrucksstark in den Fokus setzen.
Roland Obst verwendet sowohl verschiedene fotographische Techniken der Belichtung, als auch der nachträglichen Bildbearbeitung - etwas, das Pressefotografen sonst nicht tun - um diese faszinierenden Arbeiten zu schaffen. Einige Arbeiten wirken wie Collagen, andere wie Einzelbilder aus Negativfilmen, die dann à la Warhol in Reihe zusammengesetzt sind. Die Belichtung erinnert bei vielen Arbeiten an die intensiven s/w Kontraste der bekannten Stummfilme, in denen man durch den Einsatz von Licht und Schatten ganz phantastische Wirkungen erzielen konnte (Auszug aus einen Bericht der „Thüringer Allgemeine“ am 29.01.14). Das – so meine ich – rückt diese Art Fotografie dann schon sehr in den Bereich der Kunst. Und als Roland Obst Anfang diesen Jahres ausstellte, hieß es u.a.: „Viele seiner Fotographien suggerieren manuelle grafische Drucktechniken, wie Aquatinta-Radierungen, so dass der
Betrachter schon genau hinschauen muss, um die eigentliche Technik zu erkennen. Als Untergrund verwendet Roland Obst ein spezielles, mattes Papier, das die grafische Wirkung seiner Arbeiten noch verstärkt.“ Und das bedeutet, wie ich meine, dass Kunst Ergebnis kreativer Schöpfungsprozesse ist. Und dann durchaus den Bereichen Malerei, Grafik, Bildhauerei und Architektur zuzurechnen ist.


Und nun also die beiden Ausstellungen der Nordhäuser Theatermitglieder. Ich versage es mir, auf die Laudatio der Ausstellung Daniela Wagners näher einzugehen, die meines Erachtens mehr einer theatralischen Hommage an die Künstlerin entsprach. Soweit es die Vernissage zur Ausstellung Tilmann Graners betraf, ist es mir dagegen Anliegen, aus der Laudatio der Kunsthistorikerin Susanne Hinsching zu zitieren: „Einzigartig ist auch die Veränderung des jeweiligen Motivs durch das natürliche Licht, oder die Belichtung des Fotografen.
Interessant für mich ist auch, wie viele Farben Schnee und Eis haben können, von reinem Weiß, über schmutzigem Schwarz-Grau bis zu tiefdunklem Blau. Manchmal erkennt man Felsen oder Steine aus der weißen Fläche heraus ragen, manchmal kann man aber auch nicht zwischen Eis und Wasser unterscheiden. Die Farben der Natur sind auf den Fotografien stets original belassen, nur in wenigen Arbeiten hat Tilmann Graner die Farben etwas reduziert, um die gewünschte Aussage zu verstärken.


Erde und Himmel, Schnee und Wolken, Eis und Wasser verschmelzen in den Fotografien von Tilmann Graner zu einem Gesamtkunstwerk.
Viele seiner Arbeiten wirken sehr grafisch und erinnern damit eher an Radierungen als an Fotografien.
Graner hat das Auge für das Besondere, so erinnert die Fotoarbeit „Lammertal“ Österreich, die in ein
mystisches Blau getaucht ist, mit dem grazilen Baum im Vordergrund und der weißen Bergspitze im zentralen Hintergrund an japanische Holzschnitte.


Menschen findet man nur selten auf diesen Bildern, weil es natürlich sehr einsam und menschenleere Gegenden sind – wie im Himalaya oder in Grönland – in denen Tilmann Graner diese Motive findet. (Ganz im Gegensatz zu Roland Obst in dessen Ausstellung „Der Mensch allein ist die Dominante“). Aber gerade dadurch können wir – als Betrachter – auch in diesen faszinierenden Landschaften allein unterwegs sein und uns selbst auf die Reise begeben.
Manchmal finden wir das gleiche Motiv, wie z.B. einen Felsen vom „Chrstian Peak“, nur durch unterschiedliche Wolkenbilder so verändert, dass man schon genau hinsehen muss, um das reale Objekt wiederzuerkennen.“

Mit diesem Auszug aus der Laudatio Susanne Hinschings soll es hier und jetzt sein Bewenden haben. Und sollte als Anreiz verstanden werden, die Ausstellung zu besuchen, was noch bis 24. Januar 2016 möglich ist. Für mich ergibt sich als Fazit: Fotografie kann, muss aber nicht Kunst sein.
Fotos: Dr. Wolfgand Pientka

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