Freitag, 4. Januar 2013

Trends, die sich erst mal schleichend vollziehen


Wolfgang Thierse meinte kürzlich angesichts des Zuzugstrend von Leuten aus anderen Bundesländern (er nannte als Beispiel die Schwaben ) in seinen Berliner Wohnbezirk Prenzlauer Berg, er müsse quasi „unter Artenschutz“ gestellt werden, nachdem inzwischen 90 Prozent seiner Nachbarn erst seit 1990 in die Hauptstadt gezogen seien.

An diese Bemerkung musste ich denken, als ich vor einigen Tagen von einem Datenschützer aus Schleswig Holstein (Thilo Weichert) las, der gegen den Klarnamenzwang bei Facebook zu Felde zieht und die Zulassung von Nutzern oder Mitgliedern dieses Netzwerkes unter Pseudonymen erzwingen will. Und offenbar auch wirklich die Chance hat, dies zumindest für den europäischen Raum zu erzwingen. Damit, so las man, könnte Thilo Weichert zum Popstar unter den deutschen Datenschützern werden. Der Mann, der Facebook zur Strecke brachte – das könnte man einmal über den 57-Jährigen Rechts- und Politikwissenschaftler sagen, wenn er so weitermacht. So jedenfalls wird er beschrieben.

Mit diesem Vorgehen wird quasi offiziell oder auch amtlich, was sich bisher eher schleichend vollzog: die Beteiligung von Leuten an der Kommunikation im Internet unter einem Pseudonym. Ein Trend, der seit Jahren in den Medien vielfach sogar angeregt wurde und wird. Und inzwischen von vielen Bürgern unter den unterschiedlichsten Gesichtspunkten und Begründungen akzeptiert wurde und praktiziert wird. In der Auswirkung reicht diese Beteiligung von inhaltlich durchaus interessanten Äußerungen und Kommentaren bis zu „wüsten anonymen Beschimpfungen“. Die unlängst sogar Bundesinnenminister Friedrich erreichten und verärgerten, der daraufhin vor „Chaos und Gesetzlosigkeit“ im Internet warnte. Und sich belehren lassen musste, dass ja doch alles der Rechtslage entspricht. Womit das Telemediengesetz gemeint ist, das „Recht auf Anonymität“ ausdrücklich zulässt.

Es ist also vieles (wenn auch nicht alles) über die Nutzung des Internets schon gesetzlich geregelt. Jedenfalls aber für „Diensteanbieter“. Und damit ist für Thilo Weichert auch der „Klarnamenzwang“ bei Facebook relevant. Nämlich die Pflicht, sich nur mit verifizierten persönlichen Daten bei diesem Netzwerk anmelden zu dürfen. Und das stünde im Widerspruch zu diesem Telediengesetz und damit dem "Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung".

Was ich bei der ganzen Problematik nicht nachvollziehen kann ist die Tatsache, dass in und von den Medien allenthalben für Facebook geworben wird und Leser angeregt werden, sich mit dem jeweiligen Medium in diesem Sozialen Netzwerk zu treffen und zu kommunizieren, wenn es doch gegen grundsätzliche gesetzliche Bestimmungen verstößt. Und das gesamte Geschäftsmodell von Facebook datenschutzwidrig, zumindest nach europäischen Regeln, ausgelegt sein soll. Andererseits aber scheint es ebenso Tatsache, dass jedes Mitglied die Bedingungen von Facebook akzeptiert und ebenso freiwillig wie freimütig und ohne Vorbehalte seine intimsten Daten geradezu offeriert „zur Auswertung durch Polizei und private Wirtschaft“ wie gerade in der „Welt“ zu lesen war. Und wer mit den Bedingungen von Facebook nicht einverstanden ist, braucht doch meines Erachtens nicht Mitglied werden!?

Wenn ich das alles richtig verstehe, ist der oben erwähnte Datenschützer dabei, aus prinzipiellen Erwägungen etwas durchzusetzen, an dem die Millionen Nutzer dieses Netzwerkes gar nicht interessiert sind. Und ihnen erst bewusst gemacht werden müsste, dass ja Datenschutz und das „Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung“ in der Anonymität bestehen soll. Ein Bewusstseinsprozess der sich zumindest beim Gros der Facebook-Nutzern offenbar noch nicht wirklich entwickelt hat. Gelingt es aber, Anonymität als Ausdruck und Standard des Datenschutzes einzubürgern, muss man wohl die Klarnamenanhänger demnächst wirklich unter Artenschutz stellen.

Prinzipiell aber wird interessant sein, wie Facebook auf die Forderungen Thilo Weicherts reagiert. Dessen gesamtes Geschäftsmodell ja auf Klarnamen aufgebaut ist. Und die kostenlose Nutzung dieses Netzwerkes wohl damit steht oder fällt.

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