Kardinal Marx zur gestrigen Verleihung des Internationalen Karlspreises
an Papst Franziskus
Anlässlich
der Verleihung des Internationalen Karlspreises an Papst Franziskus für
Verdienste um die europäische Einigung erklärt der Vorsitzende der
Deutschen Bischofskonferenz,
Kardinal Reinhard Marx:
„Papst
Franziskus ermahnt und ermutigt uns zugleich in einer großen
Gedankentiefe. Seine Ansprache ist ein starker Appell voll politischer
Kraft an uns alle, die europäische
Idee zu verlebendigen. Zur Seele Europas gehörten, betont Franziskus,
die Kreativität, der Geist und die Fähigkeit, sich wieder aufzurichten
und die eigenen Grenzen zu überschreiten. Ich bin dankbar, dass der
Papst uns daran erinnert, Mauern einzureißen anstatt
sie zu bauen: ‚Die Pläne der Gründerväter, jener Herolde des Friedens
und Propheten der Zukunft, sind nicht überholt: Heute mehr denn je regen
sie an, Brücken zu bauen und Mauern einzureißen. Sie scheinen einen
eindringlichen Aufruf auszusprechen, sich nicht
mit kosmetischen Überarbeitungen oder gewundenen Kompromissen zur
Verbesserung mancher Verträge zufrieden zu geben, sondern mutig neue,
tief verwurzelte Fundamente zu legen.‘ Sein Appell an die humanistischen
Ideale der Gründerväter Europas nimmt uns alle
in die Pflicht, daran zu arbeiten, dass Europa sich neu entfalten kann.
‚Am Wiederaufblühen eines zwar müden, aber immer noch an Energien und
Kapazitäten reichen Europas kann und soll die Kirche mitwirken. Ihre
Aufgabe fällt mit ihrer Mission zusammen, der
Verkündigung des Evangeliums‘, unterstreicht Papst Franziskus.
Schlüsselbegriffe
seiner Ansprache sind die ‚Fähigkeit zur Integration, Fähigkeit zum
Dialog und Fähigkeit, etwas hervorzubringen‘. Sie gelten der Politik,
der Gesellschaft
und der Kirche. Papst Franziskus ruft uns ins Gedächtnis, dass die
europäische Identität immer eine ‚dynamische und multikulturelle
Identität‘ ist und war. Während wir immer noch diskutieren, was Europa
ist und nicht ist, ist Papst Franziskus uns schon einen
Schritt voraus. Wir müssen uns anstrengen, Lösungen zu finden,
innovative Konzepte zu entwickeln, und vor allem unserer persönlichen
und sozialen Verantwortung gerecht werden. Es reicht nicht, Flüchtlingen
ein Dach über dem Kopf zu geben – wir müssen sie in
unserer Mitte, in unseren Herzen aufnehmen.
Das
Schlüsselelement von Integration ist der Dialog, unterstreicht Papst
Franziskus: ‚Wenn es ein Wort gibt, das wir bis zur Erschöpfung
wiederholen müssen, dann lautet
es Dialog … Die Kultur des Dialogs impliziert einen echten Lernprozess
sowie eine Askese, die uns hilft, den Anderen als ebenbürtigen
Gesprächspartner anzuerkennen, und die uns erlaubt, den Fremden, den
Migranten, den Angehörigen einer anderen Kultur als Subjekt
zu betrachten, dem man als anerkanntem und geschätztem Gegenüber
zuhört.‘ Franziskus appelliert an uns, dass die gegenwärtige Situation
‚keine bloßen Zaungäste der Kämpfe anderer‘ zulasse. Ich bin dankbar,
dass Franziskus diese deutlichen Worte findet, die
auch wehtun. Doch wir dürfen uns vor dieser Kritik nicht verstecken,
sondern müssen sie annehmen und die Probleme angehen. Nur so kann Europa
wieder aufblühen. Nur so können wir gemeinsam an einer Gesellschaft
arbeiten, die niemanden ausschließt, die menschlich
und menschenwürdig ist. Die Poesie und der Optimismus, mit denen
Franziskus uns Mut macht, Europa, ja, die Welt zu verändern, soll uns
allen ein Ansporn sein!
Explizit
richtet Papst Franziskus seinen Blick auch auf die Wirtschaft und
fordert ein Modell, das Chancen für alle eröffnet: ‚Wenn wir unsere
Gesellschaft anders konzipieren
wollen, müssen wir würdige und lukrative Arbeitsplätze schaffen,
besonders für unsere jungen Menschen.‘ Und das erfordere auch die Suche
nach neuen Wirtschaftsmodellen, die in höherem Maße inklusiv und gerecht
sind. ‚Sie sollen nicht darauf ausgerichtet sein,
nur einigen wenigen zu dienen, sondern vielmehr dem Wohl jedes Menschen
und der Gesellschaft. Und das verlangt den Übergang von einer
‚verflüssigten‘ Wirtschaft zu einer sozialen Wirtschaft‘, so Franziskus.
Ich freue mich, dass der Papst in diesem Zusammenhang
die Soziale Marktwirtschaft als Beispiel erwähnt, zu der auch seine
Vorgänger immer wieder ermutigt haben.
Zum
Ende seiner Ansprache gibt Papst Franziskus uns seine Visionen eines
‚neuen europäischen Humanismus‘ mit auf den Weg: ‚Ich träume von einem
jungen Europa, das fähig
ist, noch Mutter zu sein … Ich träume von einem Europa, das sich um das
Kind kümmert, das dem Armen brüderlich beisteht und ebenso dem, der
Aufnahme suchend kommt … Ich träume von einem Europa, das die Kranken
und die alten Menschen anhört und ihnen Wertschätzung
entgegenbringt … Ich träume von einem Europa, in dem das Migrantsein
kein Verbrechen ist … Ich träume von einem Europa, wo die jungen
Menschen die reine Luft der Ehrlichkeit atmen, … wo das Heiraten und der
Kinderwunsch eine Verantwortung wie eine große Freude
sind und kein Problem darstellen, weil es an einer hinreichend stabilen
Arbeit fehlt. Ich träume von einem Europa der Familien mit einer echt
wirksamen Politik, die mehr in die Gesichter als auf die Zahlen blickt
und mehr auf die Geburt von Kindern als auf
die Vermehrung der Güter achtet. Ich träume von einem Europa, das die
Rechte des Einzelnen fördert und schützt, ohne die Verpflichtungen
gegenüber der Gemeinschaft außer Acht zu lassen. Ich träume von einem
Europa, von dem man nicht sagen kann, dass sein Einsatz
für die Menschenrechte an letzter Stelle seiner Visionen stand.‘“
Hinweis:
Die Ansprache von Papst Franziskus ist in deutscher Sprache auf der Internetseite des Vatikans unter
www.vatican.va in der Rubrik
„Ansprachen“ verfügbar.
Mitteilung der Deutschen Bischofskonferenz am 07.05.2016
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen