Dienstag, 5. Juni 2012

Neue Führung, gemeinsamer Kurs?


Der Bundesparteitag der LINKE in Göttingen „nur wenige Kilometer von Nordhausen entfernt“ ist vorüber und ich überlege bisher vergeblich, wie ich die dortigen Vorgänge und Reden – soweit sie in den verschiedenen Zeitungen wiedergegeben und kommentiert wurden – zu verstehen und einzuschätzen habe.

Als ganz allgemein am politischen Geschehen interessierter Mensch halte ich mich immerhin für einigermaßen informiert, nur habe ich offenbar angesichts dieser erwähnten Vorgänge die Entwicklung bei dieser Partei seit der Vereinigung von WASG und PDS 2005 nicht richtig verfolgt und deshalb Lücken in meinem Wissen. Und hoffte deshalb, dass diese zum Beispiel durch die lokale Presse, die mal einen Ausflug in die Große Politik machte, durch deren Berichterstattung geschlossen werden könnten. Zumal da ja nach dem ersten Tag dieses Parteitags mitgeteilt wurde, dass Matthias Mitteldorf „vor Ort“ sei und berichten würde. Was er tatsächlich berichtete war vielleicht aktuell im lokalem Sinne, aufschlussreich aber war es kaum. Und lag damit ganz auf der Linie einer schnellen, aber wenig in die Tiefe gehenden Themenbehandlung. Es beschränkte sich auch auf einen einzelnen Beitrag, in dem man immerhin erfuhr, dass Birgit Keller, die zukünftige Nordhäuser Landrätin, eine Rede gehalten hat. Und was ich in einem weiteren Bericht von Alexander Scharff las, zeigte auch nicht die Ursachen der Zerwürfnisse auf, die im Verlaufe dieses Parteitages zur Sprache kamen.

Da musste ich schon etwas tiefer in die Zeitungskiste greifen, um wenigstens in der überregionalen Presse etwas über die wirkliche Problematik zu erfahren, die in Göttingen offen ausgetragen wurden. Zwar gingen die Redner dabei auch nicht den Ursachen auf den Grund – zumindest wurden sie in der Berichterstattung kaum erwähnt – umso mehr aber wurden die Auswirkungen recht spektakulär wiedergegeben. Die vor allem in der Rede Gregor Gysi's sehr deutlich wurden. Der Fraktionschef der LINKEN im Bundestag zeigte sich danach offen frustriert vom innerparteilichen Streit, der seine Partei geradezu lähmen würde. Auf der einen Seite stünden dabei die ostdeutschen Pragmatiker, meist mit PDS-Vergangenheit. Auf der anderen die westdeutschen Landesverbände, deren Positionen meist radikaler und fundamentaler sind. Insoweit also gab es Aufschlüsse. Dabei wurde zum Beispiel in der ZEIT daran erinnert, dass die Schirmherren der Vereinigung damals Gregor Gysi und Oskar Lafontaine waren, einst enge Verbündete, inzwischen aber Vertreter fast gegensärtzlicher Auffassung von politischem Kurs und Parteiführung.

Gysi warnte in erwähntem Bericht seine Partei: Wenn "der Hass und das Nachtreten" zwischen diesen Flügeln nicht aufhöre, „wäre es besser, sich fair zu trennen". Er hält den West-Linken eine "Arroganz" vor, die ihn an die Arroganz der Wessis bei der Wiedervereinigung erinnere. Gysi diagnostiziert einen "pathologischen Zustand" innerhalb seiner Partei: Konflikte seien oft „nicht von der Sache geleitet". Der Umgang in Partei und Fraktion habe längst selbstzerstörerische Tendenzen angenommen. Er sei es leid und habe es satt, so Gysi nach dem Bericht.
Nichts davon las ich in jenen lokalen Zeitungen, obwohl es doch dort zunächst hieß: „Nie war ein Parteitag der LINKE so richtungsweisend wie dieser in der Göttinger Lokhalle. Wird die Partei zerbrechen oder wird es einen Neuanfang geben? Wer wird die Partei künftig führen? Antworten auf diese Fragen aktuell in . . . In Göttingen vor Ort ist Matthias Mitteldorf Und wenn Alexander Scharff in einer Befragung äußerte, „Wir müssen unseren Laden nun endlich personell in Ordnung bringen. Wenn Kipping und Riexinger das schaffen, um so besser. Wenn wir das nicht hinbekommen, dann können wir künftig auch Einkaufszettel beschließen", ist Scharff frustriert. Dabei würden mich zum Beispiel sehr die Umstände interessieren, die zur Wahl vor allem Bernd Riexingers führten, von dem vor diesem Parteitag niemand sprach. Es ist demnach möglich, dass da jemand erscheint und auch prompt gewählt wird, den bis dahin kaum jemand kannte. Von dem es dann hieß, er gehöre zum Flügel des Oskar Lafontaine. Wohl aber kannte man Dietmar Bartsch. Zumindest in den Ostverbänden. Und ich frage mich schon, wie es kommen konnte, dass man seitens der ostdeutschen Landesverbände, die doch gegenüber den westlichen Landesverbänden zahlenmäßig weit in der Mehrzahl sind, angeblich für Bartsch war. Und dann doch den unbekannten Riexinger vorzog. In keiner einzigen (westdeutschen) Zeitung wird mit der Wahl Riexingers die Hoffnung verbunden, dass die von Gysi so deutlich dargestellten Querelen zwischen Ost- und Westverbänden überwunden werden könnten, wie Scharff hofft. Im Bericht der ZEIT heißt es abschließend, dass Gregor Gysi in Göttingen erstmals offen aussprach, was viele ostdeutsche Bundestagsabgeordnete seit Längerem diskutieren. Ob man nicht besser wieder auseinandergehen sollte, bevor man sich gegenseitig weiter zerfleischt und gemeinsam untergeht. In einem Interview mit der „Leipziger Volkszeitung" im April hatte der thüringische Landtagsfraktionschef Bodo Ramelow: geäußert „Wir brauchen auf dem Personalparteitag in Göttingen eine Bestätigung unserer geschlechtsspezifischen Doppelspitze, aber ansonsten für die Führungsarchitektur keine Strömungslogik oder Himmelsrichtungsdebatte mehr." Im „Stern“ war gestern von ihm zu lesen (unter Berufung auf dpa), die neue Doppelspitze der Linken besitze die Fähigkeit, die Flügelkämpfe der Partei zu beenden. Beide Vorsitzende seien souverän gewählt worden. Man kann also gespannt sein, wie es weitergeht. „Hass und das Nachtreten" allerdings hat mit Flügelkämpfen wenig zu tun, sondern kommt aus tieferen Gründen und hat mehr mit Charakter zu tun als mit unterschiedlichen sachlichen Auffassungen

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