Montag, 25. Juni 2012

Ausstellung zu einen besonderen Thema

„Abstraktion trifft Realismus“ betitelt sich die am Freitag im Kunsthaus Meyenburg eröffnete Sonderausstellung. Und daraus ergibt sich fast notwendiger weise die Frage, was denn der Sinn dieses gewolltem Aufeinandertreffens ist? Die Antwort gab Kunsthistorikerin Susanne Hinsching in ihrer Laudatio

Es mag nicht einfach gewesen sein, für das Anliegen dieser Grafikausstellung die „richtigen“ Bilder auszuwählen. Immerhin verfügt das Kunsthaus über mehr als 600 Grafiken namhafter und berühmter Künstler der unterschiedlichsten Stilrichtungen. Das erfuhren die Gäste dieser Vernissage von Dr. Cornelia Klose, die namens der Stadt Nordhausen eine kurze Begrüßungsansprache hielt und in die Ausstellung einführte. Um dann überzuleiten zur Leiterin des Kunsthauses Meyenburg, Susanne Hinsching, die in der nun folgenden Laudatio anschaulich erläuterte, welche Motivation zu dieser höchst anspruchsvollen Ausstellung führte.

Danach ist es vorrangiges Anliegen dieser Ausstellung,Vorurteile gegenüber abstrakter Kunst abzubauen, wie Kunsthistorikerin eingangs ihrer Laudatio hervorhob. Um dann unter Hinweis auf die ausgestellten Grafiken die unterschiedlichen Sichtweisen von Abstraktion und Realismus in der Kunst zu erklären bzw. zu veranschaulichen. Konnte das zur Vernissage gekommene Publikum aus ihrem Munde erfahren, worum genau es geht, sind Besucher der Ausstellung in der Folgezeit nicht sich selbst überlassen: ein bedrucktes Transparent im Foyer des Kunsthauses gibt wesentliche Teile des Textes aus der Laudatio wieder.

Von den zwei hauptsächlichsten Fragen bei der Betrachtung von Kunst ging die Laudatorin bei ihren Ausführungen aus: „Was will uns der Künstler damit sagen“ und „Was sehe oder erkenne ich selbst?“
Darauf lässt sich angesichts gegenständlicher oder realistischer Kunst relativ leicht eine Antwort finden. Handelt es sich dagegen um abstrakte Kunst, kann es sehr viel schwerer fallen, Zugang zum Dargestellten und damit eine Antwort zu finden. Herrscht doch vielfach auch heute noch die landläufige Meinung, dass nur „realistische“ Kunst richtige Kunst ist. Gleichzusetzen etwa mit der Auffassung, „dass dieser Maler etwas kann“. Während man bei der Betrachtung abstrakter Kunst nicht selten Äußerungen hört wie „das kann ich doch auch“ oder „so malt mein Kind im Kindergarten“. Die Phase der einst gepriesenen „Naiven Kunst“ gab insbesondere Anlass dazu.

Die folgenden Erläuterungen in der Laudatio Susanne Hinschings waren dann ebenso grundlegend wie anschaulich: „Abstrakte Kunst will nicht nur das Abbilden, was der Künstler sieht, sondern zeigt eine andere Sichtweise, die noch eine zusätzliche Ebene mit einbezieht, nämlich die Innenwelt. Und das bedeutet, dass das Gesehene zuerst im Kopf verarbeitet – also abstrahiert – wird, um dann erst zur Darstellung auf dem Papier oder der Leinwand zu kommen. Deshalb verlangt abstrakte Kunst eigentlich und sogar noch mehr künstlerische Fähigkeiten. Wobei Hinsching ausdrücklich betonte, dass große Künstler natürlich beides vermögen: gegenständlich Abbilden und die abstrahierte Darstellung: bestes Beispiel sei Pablo Picasso.

Hinsching öffnete dann den Blick auf die Entwicklung der Abstraktion, die danach kein Phänomen der Gegenwart ist, wenn auch vielfach die Entstehung der abstrakten Malerei ziemlich präzis auf die Zeit um 1911datiert wird. Dabei dürfte als erstes abstraktes Werk ein Gemälde von Hilma af Klint aus dem Jahr 1906 angesehen werden – stilprägend aber waren es die Werke von Wassily Kandinsky oder Kasimir Malewitsch (etwa um die Wende zum vergangenen Jahrhundert). Allerdings – so die Laudatorin – lassen sich abstrahierte Tendenzen in der Kunstgeschichte schon sehr viel früher nachweisen. Und auch das Spannungsfeld zwischen Realismus und Abstraktion ist viel älter.

Sehr anschaulich beschrieb dann Susanne Hinsching diese schon in der griechischen Antike begonnene künstlerische Darstellung – sowohl in der Malerei als auch in der Plastik – über die folgenden Jahrhunderte in allen ihren (auch mystischen) Sinngebungen, Erscheinungen, aber auch Wandlungen und Gegensätzen.Wobei sie in ihrer Beschreibung schließlich der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vermehrte Bedeutung beimaß. In der der Aktionsbegriff in Bezug auf die Bildende Kunst eine ständige Erweiterung erfuhr. Abstrakte Malerei konnte schließlich fast jede beliebige Form einer vereinfachenden, die Natureindrücke reduzierenden Darstellung bezeichnen. Was soweit ging, dass zum Beispiel Marcel Duchamp 1913 einen beliebigen Alltagsgegenstand einfach zur Kunst erklärte. Diese „Readymades“ haben die gängige Idee von Kunst bis hin zur Institution Museum so nachhaltig verändert wie kaum eine Werk gewordene Idee der Kunst des 20. Jahrhunderts.

Nachdem sich die Laudatorin in ihren Ausführungen auch mit der „Informel-Bewegung“ der 50er Jahre beschäftigt hatte - also der Auflösung jeglicher Form - mit ihren Auswirkungen auf die Nachkriegskunst in Westeuropa, wies sie schließlich auf die höchste Steigerung der Abstraktion in der Kunst hin, die in den 70er Jahren durch den Künstler Joseph Beuys ihren Höhepunkt erreichte, in dem er die Loslösung des Kunstbegriffes vom Objekt propagierte. Um dann zu erläutern, dass in der zeitgenössischen Kunst beide Strömungen vertreten sind: „Abstraktion“ und „Realismus“. Die Kunst der Gegenwart zeigt heute die individuellen Vorlieben und persönlichen künstlerischen Handschriften jedes einzelnen Künstlers, die oft nicht mehr einer Kunstrichtung zuzuschreiben sind.

Damit näherte sich Susanne Hinsching in ihren Ausführungen den ausgestellten Grafiken, indem sie zunächst darauf hinwies, dass auch das, was wir auf den ersten Blick als realistisch wahrnehmbar ist, eine Abstrahierung der Wirklichkeit zeigt. So sei die die Darstellung der Realität allein, so wie sie der Künstler sieht oder zeigen will, demnach nicht maßgebend, um Kunst dem „Realismus“ zuzuordnen. Vielmehr sei es ein weiteres Ziel der Ausstellung, anhand der ausgewählten Motive wie Köpfe, Menschengruppen, Frauen Architektur, Landschaften und Tiere, die jeweils in einem Raum zusammengestellt sind, zu zeigen, wie verschiedenartig Kunst ist. Dabei geht es nicht um eine chronologische Aufreihung der Werke, die Zusammenstellung orientiert sich vielmehr meist am Abstrahierungsgrad. Was aber umso deutlicher werden lässt, wie Künstler in den vergangenen Jahrhunderten die verschiedenen Motive umgesetzt haben und wie stark, oder auch wie unterschiedlich sie die Wirklichkeit abstrahiert haben.

Mit dieser Ausstellung soll aber auch gezeigt werden, dass die abstrahierende Darstellung eben diese von der Kunsthistorikerin aufgezeigten langen Traditionen hat, und nicht nur den Zeitgeist entspricht. Dabei wies sie darauf hin, dass manchmal bewusst eine provokante Gegenüberstellung gewählt wurde, um die Gegensätze und Gemeinsamkeiten noch deutlicher zu machen. Und machte auf Beispiele dafür aufmerksam, etwa dem Motiv „Frauen“, die die abstrahierenden Darstellungen von Mirò oder Matisse auf der einen Seite zeigt, und den sehr wirklichkeitsnahen „Liegenden Akt mit Hummer“ von Richard Müller (zu sehen im obligatorischen Ausstellungs-Eröffnungsraum). Gemeinsam sei allen die Umsetzung der wichtigsten Eigenschaften in der Darstellung.

Nachdem Susanne Hinsching auf einige weitere Beispiele hingewiesen hatte, leitete sie auf ein „benachbartes“ Thema über, indem sie Realismus und Abstraktion nicht eng auf die Bildende Kunstbegrenzt verstanden wissen wollte, sondern den Blick des Publikums auf einen anderen Vorgang lenkte, der sich im Foyer des Kunsthauses wirklich abzeichnete: „Mit der Entwicklung der abstrakten Kunst setzten sich auch in der Musik Komponisten mit dem Thema auseinander. Die dissonante Freisetzung des Klangwertes der Einzeltöne und die Entfernung von der Melodie in der Musik sind vergleichbar mit der Loslösung der Farbe vom Gegenstand.

Was konkret gemeint war, trug den Titel „Xim-xim oder Regen auf Mallorca“ und stellte sich als Ballettminiatur dar, die anlässlich dieser Vernissage entstand.. Andràs Viràs und Paul Zeplichal waren die Akteure des Balletts, mit dem die jahrelange gute Zusammenarbeit des Kunsthauses Meyenburg mit dem Theater Nordhausen nun ihre Fortsetzung erfuhr. Und Auke Swen, den das Ballett-interessierte Publikum bisher als Tänzer erleben konnte, stellte sich mit „Xim-xim oder Regen auf Mallorca“ erstmals als Choreograph vor. Und setzte das Thema der Ausstellung „Abstraktion trifft Realismus“ in Tanz um. Auf sehr eindrucksvolle Weise, für die es viel Beifall des Publikums gab. Womit offenbart wurde, wie sich erst im Zusammenspiel der realistischen Bühnenhandlung mit der recht liebevoll gestalteten Abstraktion tänzerisches Spiel darstellt. Musikalisch begleitet wurde der Auftritt durch Frédéric Chopins Prélude op. 28 Nr 15 in Des-Dur. Der sich zwar verwahrte, in seinem auf Mallorca entstandenen Werk naturalistische Lautmalerei betrieben zu haben; der geläufige Name „Regentropfen-Prélude“ beschreibt den Höreindruck aber ziemlich genau: Regen auf Mallorca! Und „xim-xim“ ist ebenfalls eine Abstraktion, bezeichnet sie doch im Katalanischen einen langandauernden, leichten Regen. Hinschin empfahl allerdings vorsorglich zuvor den Zusehern, es beim Tanz der beiden Akteure zu halten wie beim Betrachten der ausgestellten Bilder: „Denken Sie nicht über die Theorie nach, sondern öffnen Sie Ihre Sinne, um den Künstlern zu folgen. Sie werden Ihnen – trotz Regen – viel Spaß vermitteln. Es schien befolgt worden zu sein.

Die Ausstellung setzt sich also ingesamt mit einem sehr diffizilen höchst anspruchvollen Thema auseinander, das ernsten Kunstinteressenten interessante Aufschlüsse vermittelt, für die der Kunsthistorikerin Susanne Hinsching zu danken ist. Während Menschen, die vornehmlich an der Betrachtung interessanter, anspruchvoller Bilder interessiert sind, dem Thema selbst wohl weniger Interesse entgegen bringen. Es ist immerhin eine hoch einzuschätzende Grafikausstellung, die des Besuches wert ist. Für den bis 09.09.2012 Gelegenheit gegeben ist

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