Pressemitteilung
„Das Parlament“: Grünen-Innenexperte Notz mahnt nach „Reichsbürger“-Razzia zu weiterer Wachsamkeit
Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 19. Dezember 2022)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung –
Nach
der Großrazzia gegen ein Netzwerk mutmaßlicher „Reichsbürger“ mahnt der
Grünen-Innenexperte Konstantin von Notz zu weiterer Wachsamkeit. Der
Generalbundesanwalt und die Sicherheitsbehörden hätten deutlich gemacht,
„wie wichtig es ist, entschlossen gegen extremistische,
verfassungsfeindliche Entwicklungen einzuschreiten und militanten
Verfassungsfeinden konsequent in die Parade zu fahren“, sagte der
Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages der
Wochenzeitung „Das Parlament“. Selbst wenn die jetzigen Ermittlungen
erfolgreich abgeschlossen werden und es am Ende zu Verurteilungen kommen
sollte, gebe es zahlreiche weitere Gruppen, „die ganz ähnlich ticken
und agieren“. Insofern müsse der Rechtsstaat aufmerksam bleiben und
seine Wehrhaftigkeit weiter unter Beweis stellen.
Der
Grünen-Fraktionsvize warnte mit Blick auf die „Reichsbürger“-Szene
zugleich davor, von der „Abwegigkeit und Abgründigkeit der Ideologien
von Extremisten“ auf deren Harmlosigkeit zu schließen. „Personen können
gefährlich sein, auch wenn ihre Thesen hanebüchen sind“, betonte das
Mitglied des Bundestags-Innenausschusses.
Das Interview im Wortlaut:
Frage:
Herr von Notz, zur Einordnung, da es ja immer wieder Berichte über
abstrus klingende Planungen sogenannter Reichsbürger und auch über
zahlreiche Gewalttaten von Mitgliedern dieser Szene gibt: Reihen sich
die durch die jüngste Großrazzia vereitelten mutmaßlichen Umsturzpläne
da ein oder sehen Sie eine neue Dimension erreicht?
Von Notz: Ich
glaube, die Razzia macht die wahre Dimension des Problems deutlich,
auch wenn wir derartige Strukturen in ähnlicher Form in den letzten
Jahren immer wieder gesehen haben. Verfahren wie das gegen Franco A.,
bei dem es ja auch zu einer empfindlichen Haftstrafe kam, haben die
massive sicherheitspolitische Gefahr wiederholt vor Augen geführt, die
von ihnen ausgeht. Insofern muss man die aktuellen Ermittlungen maximal
ernst nehmen. Explizit warnen möchte ich davor, von der Abwegigkeit und
Abgründigkeit der Ideologien von Extremisten auf deren Harmlosigkeit zu
schließen. Personen können gefährlich sein, auch wenn ihre Thesen
hanebüchen sind.
Frage: Nach dem Skandal um die
rechtsterroristische NSU-Zelle mussten sich die Sicherheitsbehörden
harte Vorwürfe anhören. Hat sich der Rechtsstaat diesmal hinreichend
wehrhaft gezeigt?
Von Notz: Ich finde:
ja. Der Generalbundesanwalt und die Sicherheitsbehörden haben deutlich
gemacht, wie wichtig es ist, entschlossen gegen extremistische,
verfassungsfeindliche Entwicklungen einzuschreiten und militanten
Verfassungsfeinden konsequent in die Parade zu fahren.
Frage:
Nicht nur die Zahl sogenannter Reichsbürger nimmt zu, die Szene scheint
auch immer mehr in die Mitte der Gesellschaft zu wachsen. Woran liegt
das?
Von Notz: Ich finde das Bild der Extremisten, die
ausschließlich am Rand der Gesellschaft agieren, schräg. Zu der
aufgeflogenen Gruppe zählen neben Prinzen auch ehemalige Abgeordneten
des Bundestags, Ärzte, Rechtsanwälte und Starköche. Auch Menschen mit
einem soliden Bildungslevel sind offenbar für extremistische Ideologien
anfällig. Das hat auch die deutsche Geschichte eindrücklich gezeigt. Ich
glaube aber, dass der überragende Anteil der Menschen in der
Bundesrepublik solche extremistischen Bestrebungen mit größter Sorge
sieht und unseren freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat, gegen den
sich das alles ja wendet, wertschätzt und bereit ist, diesen zu
verteidigen. Insofern haben die Sicherheitsbehörden hier die volle
Rückendeckung der – wenn Sie so wollen – Mitte der Gesellschaft. Damit
ist aber eigentlich die überragende Mehrheit der Gesellschaft gemeint,
die wehrhaft gegen Verfassungsfeinde steht.
Frage:
Bundesinnenministerin Faeser hat als eine Konsequenz eine Verschärfung
des Waffenrechts angekündigt, was indes in den Reihen der FDP auf
Widerspruch stößt.
Von Notz: Ich finde, dass das
bestehende Waffenrecht effektiv und konsequent durchgesetzt werden muss
und dass wir Extremisten und Menschen, die mit Waffen unverantwortlich
umgehen, entwaffnen müssen. Das ist der Anspruch, den wir für die
Sicherheit unseres Landes politisch konsequent durchsetzen müssen. Da
gibt es durchaus ein gemeinsames Fundament in der Ampel, aber auch mit
Blick auf die Union. Zunächst steht für uns jedoch die weitere
Sachaufklärung im Vordergrund.
Frage: Sehen Sie beim Waffenrecht auch gesetzgeberischen Handlungsbedarf?
Von Notz: Wir
sehen ja schon lange Handlungsbedarf bei der Frage der Entwaffnung von
Extremisten. Um aus den jüngsten Ermittlungen konkrete politische
Forderungen abzuleiten, muss man erst einmal deren Ergebnisse abwarten:
Sind die betreffenden Personen, die weiterhin in U-Haft sitzen, auf
legalem oder illegalen Weg an die Waffen herangekommen? Gibt es weitere
Waffen, die in den nächsten Tagen und Wochen noch gefunden werden? Am
Ende muss uns einen, dass Extremisten in einer freiheitlichen Demokratie
keinen Zugang zu gefährlichen Waffen haben dürfen.
Frage:
In der letzten Wahlperiode gab es einen vergeblichen Vorstoß für eine
Meldepflicht, die verhindern sollte, dass Menschen mit psychischen
Erkrankungen Waffen besitzen. Würde eine neue Initiative in diese
Richtung Sinn machen?
Von Notz: Ein solches Warnsystem
wäre ein bedeutsamer Schritt. Dabei dürfen Legalwaffenbesitzer wie
Sportschützen und Jägerinnen nicht unter einen Generalverdacht gestellt
werden. Vielmehr müssen wir zielgerichtet den Leuten den Zugang zu
Waffen entziehen, bei denen es konkrete Anlasspunkte für potentiellen
Missbrauch gibt. Losgelöst von den derzeitigen Geschehnissen ist es
richtig, dass man sich das nochmal sehr genau anschaut.
Frage:
Es gibt auch Bedenken, dass die Waffenbehörden in den Ländern und
Kommunen nicht hinreichend ausgestattet sind, etwa mit ausreichendem
Personal ...
Von Notz: Das ist tatsächlich ein
relevantes Problem. Es ist zwingend erforderlich, die bestehenden
Gesetze und vorgesehenen Kontrollmechanismen konsequent und einheitlich
in allen Bundesländern und Kommunen anzuwenden. Die einfache Forderung
nach einem schärferen Waffenrecht mag plausibel klingen, aber sie wird
der Komplexität der Lage nicht gerecht. Wir müssen genau prüfen, wo es
in der Umsetzung der bestehenden und vielfach guten Regelungen derzeit
hakt, um zielgerichtet nachsteuern zu können.
Frage: Die
Ministerin will auch mit einer Verschärfung des Disziplinarrechts
Verfassungsfeinde künftig schneller aus dem öffentlichen Dienst
entfernen lassen können. Wie sollte das genau aussehen?
Von Notz:
Es ist wichtig, dass der Staat nicht Menschen als Beamte beschäftigt,
die sich gegen dessen freiheitlich-demokratische Grundordnung richten.
Da sind die Reichsbürger ein gutes Beispiel. Daher braucht es
Regelungen, die bei konkreten und relevanten Vorfällen eine Entfernung
aus dem Staatsdienst nach objektiven Kriterien in einem
rechtsstaatlichen Verfahren ermöglichen. Die derzeit bestehenden
gesetzlichen Regelungen sind nicht ausreichend. Die Ampelpartner haben
sich daher darauf verständigt, eine Möglichkeit zu schaffen,
Verfassungsfeinde schneller als bisher aus dem Dienst zu entfernen. Wir
warten auf die konkreten Vorschläge aus dem Bundesinnenministerium. Eine
freiheitliche Demokratie wie unsere, die derzeit von vielen Seiten
angegriffen wird, kann es sich nicht leisten, das Vertrauen in
staatliche Institutionen zur Disposition zu stellen.
Frage: Gefordert wird auch eine genauere Überprüfung von Sicherheitskräften. Wo lässt sich da nachlegen?
Von Notz: Die
Sicherheitsüberprüfungen sind ein kompliziertes und langwieriges Feld.
Nachdem wir uns damit sehr lange beschäftigt haben, kann ich nur eine
Reform anmahnen. Diese Überprüfungen müssen differenzierter und
schneller werden und in bestimmten Fällen auch tiefenschärfer.
Frage:
Eine der jetzt Beschuldigten ist eine frühere Bundestagsabgeordnete der
AfD, weshalb der Ruf nach einer stärkeren Überwachung dieser Partei
durch den Verfassungsschutz zu hören ist.
Von Notz: Es
steht der Politik und gerade als Mitglied der Legislative mir nicht an,
das zu fordern. Das entscheiden die zuständigen Behörden im
Zusammenspiel und nach den Bewertungen von Sicherheitsbehörden und
Nachrichtendiensten unabhängig. Diese Entscheidungen werden von
Gerichten nach Recht und Gesetz überprüft. Ich habe vollstes Vertrauen
in diese Institutionen.
Frage: Müssen in Ihren Augen noch weitere Lehren gezogen werden?
Von Notz: Wir
müssen wachsam bleiben. Selbst wenn die jetzigen Ermittlungen
erfolgreich abgeschlossen werden und es am Ende zu Verurteilungen kommen
sollte, gibt es zahlreiche weitere Gruppen, die ganz ähnlich ticken und
agieren. Insofern muss unser Rechtsstaat aufmerksam bleiben und seine
Wehrhaftigkeit weiter unter Beweis stellen.
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