Mittwoch, 27. März 2019

"Rechtspopulisten inszenieren sich als die Verteidiger des Abendlandes"

Zwei Monate vor der Europawahl und gut ein halbes Jahr vor der Landtagswahl in Sachsen wird mit einem Erstarken rechtspopulistischer Parteien gerechnet. Gerade im Wahlkampf nehmen Rechtspopulisten die christliche Religion für ihre Zwecke in Anspruch und schaffen so eine religiös-nationalistische Identität. Das hat Dr. Alexander Yendell von der Universität Leipzig zusammen mit Dr. Oliver Hidalgo und Dr. Philipp Hildmann beobachtet. Für die Hanns-Seidel-Stiftung haben sie sechs Thesen zu „Religion und Rechtpopulismus“ formuliert. Sie basieren auf einer Fachveröffentlichung in der „Zeitschrift für Religion, Gesellschaft und Politik“.

Warum die Diskussion, ob der „Islam zu Deutschland gehört“ den Rechtspopulisten in die Hände spielt und wo sich Konservative und Rechtspopulisten in der Religionsfrage unterscheiden, erzählt der Leipziger Soziologe im Interview.

Sie und ihre Co-Autoren behaupten in diesen sechs Thesen, dass in der politischen Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus der Religion eine Schlüsselrolle zukommt. Wie kommen Sie zu dieser Schlussfolgerung?

Dr. Alexander Yendell: Die Religion ist vor allem deshalb für rechtspopulistische Bewegungen und Parteien bedeutend, weil die Identifikation mit dem Christentum – auch wenn sie größtenteils sehr diffus ist – mit einer Erhöhung der eigenen Kultur und mit einer Abwertung anderer Kulturen einhergeht. Die Abwertung bezieht sich zurzeit vor allem auf den Islam und die Muslime. Der Bezug zum Christentum ist positiv konnotiert, der zum Islam negativ. Die christliche Kultur wird mit Toleranz, Nächstenliebe und Aufklärung in Verbindung gebracht, der Islam mit Fanatismus, Gewaltbereitschaft und Unterdrückung der Frau gleichgesetzt.
Hinzu kommt ein weiterer wichtiger Aspekt: Je erfolgreicher Rechtspopulisten in ganz Europa die christliche Religion für sich in Anspruch nehmen, desto mehr können sich Parteien wie die AfD, FPÖ und SVP, der Rassemblement National, die Lega Nord, Fidesz oder die polnische PiS als die „wahren“, im Zweifelsfall „einzigen“ Verteidiger des christlichen Abendlandes inszenieren.

Sie stellen in Ihrem Thesenpapier oftmals Konservative und Rechtspopulisten und ihre Ansichten zur Religion gegenüber. Wo ähneln und wo unterscheiden sich die beiden Gruppen?

Die Konfession spielt auch bei Wahlentscheidungen immer noch eine Rolle. Die AfD beispielweise weiß das und versucht mit Untergruppierungen wie den „Christen in der AfD“ zu kaschieren, dass viele Mitglieder und wichtige Funktionsträger keinen Religions- oder Kirchenbezug haben. Sie maßen es sich folglich nur an, im Namen von Religion und Christentum zu sprechen.
Rechtspopulisten und Konservative unterscheiden sich insbesondere hinsichtlich ihrer Politik der Religionsfreiheit. Während christliche Konservative die Fahne für die Demokratie und damit auch das Gebot der Religionsfreiheit hochhalten, wollen Rechtspopulisten im Grunde die Religionsfreiheit einschränken und damit vor allem die angebliche Unterwanderung durch den Islam unterbinden. Die Einschränkung der Religionsfreiheit ist natürlich mit den Grundsätzen der Demokratie nicht vereinbar.

Die Angst vor dem Verlust der westlichen Werte sei stärker einzuschätzen, als die Angst, Opfer eines Terroranschlags zu werden. Wie entstehen diese islam- und muslimfeindlichen Einstellungen?

Islam- und muslimfeindliche Einstellungen entstehen vor allem aus Ängsten und Gefühlen der Bedrohung. Während es Menschen gibt, die sich auf etwas Neues freuen und beispielweise eine zunehmende Pluralisierung sogar als etwas Bereicherung erleben, gibt es Menschen, die aus Angst lieber an Bewährtem festhalten und keine Veränderung wollen. Wir wissen aus der Analyse von Bevölkerungsumfragen, dass Menschen, die den Islam und die Muslime abwerten, eher Angst vor dem Verlust der eigenen Kultur und deren Werte als Angst vor einem Terroranschlag haben. Ein weiterer Grund für die Abwertung des Islam und der Muslime sind fehlende Kontakte vor allem im Osten Deutschlands. Wer Kontakte zu möglichst vielen Muslimen hat, baut Vorurteile in der Regel ab. Die Menschen kennen Muslime oftmals nur aus der negativen Berichterstattung über den islamistischen Terror. Das wirkt sich natürlich negativ auf die Haltungen gegenüber Muslimen aus.

Sie bezeichnen die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehöre, als eine „religionspolitische Fallgrube“ – ausgehoben von den Rechtspopulisten. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung und wie sollten Politiker dieser Frage begegnen?

Zunächst einmal ist die Aussage zur Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit des Islam schon deshalb problematisch, weil es DEN Islam nicht gibt. Es gibt sehr viele verschiedene Religionsgemeinschaften, die dem Islam zuzurechnen sind, genauso wie das der Fall im Christentum oder auch anderen Religionen ist. Eine solche Heterogenität wird mit einer solchen Aussage verschleiert, das allein ist schon problematisch. Zudem wird mit der Debatte eigentlich der Grundsatz der Religionsfreiheit in Frage gestellt. Man bietet darüber hinaus den extremen Rechten die Möglichkeit zu definieren, was aus deren Sicht eine deutsche oder europäische Identität ist und was nicht. Damit wird das „Freund-Feind“-Denken der Rechtspopulisten und -extremisten beflügelt. Wie mein Kollege Oliver Hidalgo richtig festgestellt hat: Es entsteht der Eindruck, als stünde es überhaupt zur Debatte, dass Muslime in diesem Land nicht willkommen sind, und das, obwohl die Religionsfreiheit grundsätzlich für alle gilt. Politiker tappen dann in die Falle, weil sie unweigerlich das Freund-Feind und Schwarz-Weiß-Denken der Rechtspopulisten fortsetzen, sofern man nicht deutlich macht, dass allein schon die Frage falsch gestellt ist.

Dipl.-Journ. Carsten Heckmann Stabsstelle Universitätskommunikation/Medienredaktion
Universität Leipzig

Foto: Reichholdt, Uni Leipzig
Mitteilung des idw – Informationsdienst Wissenschaft am 26.03.2019


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