Lesern historischer Romane muss
Taterndorf nicht viel sagen, sie mag mehr die Romanhandlung selbst
interessieren. Bewohner des Landkreises Nordhausen und des
Eichsfeldes dürften da schon ein spezielleres und konkreteres
Interesse an der Antwort auf diese Frage haben.
Diesen Eindruck jedenfalls konnte man
leicht gewinnen, wenn man zu den Besuchern der
Kemenate der Burg
Großbodungen anlässlich der Lesung der Großlohraer Autorin Simone
Knodel gehörte, die dort am vergangenen Sonntag stattfand: der
Vortragsraum fasste kaum die Besucher, die gekommen waren um von der
Autorin des Buches „Taterndorf“ selbst zu erfahren, was es mit
diesem Ort und seiner Geschichte auf sich hat, Hieß es doch in der
Ankündigung sinngemäß, dass man noch heute Friedrichslohra, dem
Ort also, um den es in diesem Buch geht, „Taternlohra“ nennt.
Weil er im 19. Jahrhundert traurige Berühmtheit erlangte wegen
seines Umgangs mit Zigeunern, der damals doch sehr ungewöhnlich war.
Eröffnet wurde die Veranstaltung mit
der Begrüßung der Besucher durch Gastgeberin, Gräfin Dr. Gerlinde
von Westphalen, die dabei die Autorin Simone Knodel vorstellte und
kurz in die Veranstaltung einführte. Wobei offen blieb, warum
Knodel das 2014 von ihr verlegte und
erschienene Buch „Taterndorf“
unter dem Namen Johanna Marie Jakob herausbrachte. Also unter einem
Pseudonym. Dabei wurde in der Einführungsphase der Lesung, die der
Vorstellung weiterer Bücher dieser Autorin gewidmet war,
offenkundig, dass bereits der ein Jahr zuvor erschienene Roman „Das
Geheimnis der Äbtissin“ (Knaur
Taschenbuch Verlag) unter diesem Preudonym erschien.
Die Dauer dieser Buchvorstellungen
brachte dann allerdings mit sich, dass die Lesung zur „traurigen
Berühmtheit“ aus „Taterndorf“ nur recht verkürzt dargestellt
wurde. Das wurde zumindest den Besuchern bewusst, die schon die
Lesungen Simone Knodels zuvor in Nordhausen besucht hatten. Wer also
insoweit „vorinformiert“ war, für den formte sich ein Bild, nach
dem Ende des 18.Jahrhunderts Lohra keine Burg mehr war, sie war eine
preußische Gutshof-Domäne. Man züchtete dort vorwiegend Schafe,
die gute Wollträger waren. Die Wolle wurde von den Webern in
Bleicherode zu Tuch verarbeitet, deren Hauptabnehmer Friedrich der
Große war, der viel Tuch für die Uniformen seiner Soldaten
benötigte. Die Wolle der Schafe musste allerdings zunächst im
Eichsfeld
gesponnen werden, wo es entsprechende Spinnereien gab. Der
Weg dorthin war weit, umständlich und zudem teuer. Lohra gehörte
damals zu Preußen, das Eichsfeld zu Kurmainz. Man musste also auch
noch Zoll zahlen.
Damit die Wolle von den Webern in
Bleicherode billiger verarbeitet werden konnte, kam der Gutsherr von
Amt Lohra auf die Idee, unterhalb der Burg (des Gutshofes) eine
Ansiedlung entstehen zu lassen, und dort Spinner anzusiedeln.
Friedrich II., der also viele Soldatenröcke brauchte, veranlasste
daraufhin den Bau einer Siedlung. Eine Straße wurde gebaut mit 22
anliegenden Häusern. Noch heute heißt diese Straße deshalb „die
22-er“. Hinter den Häusern wurden kleine Gemüsegärten und ein
kleines Feld angelegt, wo man zur eigenen Versorgung Kartoffeln und
Gemüse anbaute. Den dort hinziehenden Spinnern gehörte das
jeweilige Haus nach 15 Jahren, wenn sie fleißig waren und sich
nichts zuschulden kommen ließen. Später baute man noch eine zweite
Straße mit 60 Häuschen, „die 60-er“. Da die Menschen aus dem
katholischen Eichsfeld kamen, baute man ihnen auch eine katholische
Kirche in das ansonsten protestantische Preußen.
Die Zuwanderer verließen allerdings nicht
ganz grundlos ihre Heimat, zum großen Teil hatten sie
kriminelle Vergangenheiten und mussten deshalb anderswo, z.B. eben in
„Friedrichslohra“ einen neuen Anfang versuchen. Nicht
unproblematisch, denn um den kargen Spinnerlohn etwas aufzubessern,
schmuggelten sie u.a. Schnaps und Kautabak aus Nordhausen über die
preußische Grenze nach Kurmainz.
„Tatern“-Zigeuner streiften zu
jener Zeit durch die Lande und verdienten sich etwas Geld mit
Kesselflicken, Messerschleifen und Musizieren. Die Einheimischen
schickten sie aber immer bald wieder weiter. Nicht so die Spinner in
Friedrichslohra: sie vermieteten den Tatern während des Winters je
einen Raum in ihren kleinen Häusern und/oder benutzten sie auch als
Schmuggler und verdienten so auch an ihnen. Dadurch waren die
Zigeuner so etwas wie seßhaft in „Taternlohra“ geworden.
Zu Beginn des 19. Jahrhundert kam auch
König Friedrich II. auf den Gedanken, die Tatern für sich arbeiten
zu lassen, wenn sie schon mal in Preußen lebten. Dazu musste man sie
aber erst zu christlichen und arbeitsamen Menschen erziehen. Von
einer Missionsstation in Naumburg kam ein erster Missionar, der aber
bald wieder resigniert aufgab. Ein nächster wurde geschickt dem es
gelang, wenigstens Ansätze für wirkliche Seßhaftigkeit und Bildung
der Tatern zu schaffen. Das
Dorf ist schließlich gespalten vom Gegensatz zweier Konfessionen,
und
den Webern und Wollspinnern, die ja selbst ein karges Leben
fristeten. Die dadurch
Nach gut einer Stunde endete die Lesung
mit dem Dank der Gastgeberin, Gräfin von Westphalen, und der
üblichen Gelegenheit des Bücherkaufs und deren Signierung durch die
Autorin. Und je nach Neigung, konnte man die Veranstaltung vor der
Rückfahrt in die Heimatgemeinden in der angenehmen, gastlichen
Atmosphäre der Gasträume und des Gartens um die Kemenate ausklingen
lassen. Viele – auch Nordhäuser – kennen und schätzen Burg und
Kemenate Großbodungen als anspruchsvollen Ausstellungs- und
Veranstaltungsort und nehmen gern die Angebote der Burgeigner in
Anspruch. Nächste Gelegenheit vielleicht der „Tag des offenen
Denkmals“ am 11. September!?
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