Dienstag, 16. August 2016

Wer kennt schon„Taterndorf“?

Lesern historischer Romane muss Taterndorf nicht viel sagen, sie mag mehr die Romanhandlung selbst interessieren. Bewohner des Landkreises Nordhausen und des Eichsfeldes dürften da schon ein spezielleres und konkreteres Interesse an der Antwort auf diese Frage haben.

Diesen Eindruck jedenfalls konnte man leicht gewinnen, wenn man zu den Besuchern der
Kemenate der Burg Großbodungen anlässlich der Lesung der Großlohraer Autorin Simone Knodel gehörte, die dort am vergangenen Sonntag stattfand: der Vortragsraum fasste kaum die Besucher, die gekommen waren um von der Autorin des Buches „Taterndorf“ selbst zu erfahren, was es mit diesem Ort und seiner Geschichte auf sich hat, Hieß es doch in der Ankündigung sinngemäß, dass man noch heute Friedrichslohra, dem Ort also, um den es in diesem Buch geht, „Taternlohra“ nennt. Weil er im 19. Jahrhundert traurige Berühmtheit erlangte wegen seines Umgangs mit Zigeunern, der damals doch sehr ungewöhnlich war.
Eröffnet wurde die Veranstaltung mit der Begrüßung der Besucher durch Gastgeberin, Gräfin Dr. Gerlinde von Westphalen, die dabei die Autorin Simone Knodel vorstellte und kurz in die Veranstaltung einführte. Wobei offen blieb, warum Knodel das 2014 von ihr verlegte und
erschienene Buch „Taterndorf“ unter dem Namen Johanna Marie Jakob herausbrachte. Also unter einem Pseudonym. Dabei wurde in der Einführungsphase der Lesung, die der Vorstellung weiterer Bücher dieser Autorin gewidmet war, offenkundig, dass bereits der ein Jahr zuvor erschienene Roman „Das Geheimnis der Äbtissin“ (Knaur Taschenbuch Verlag) unter diesem Preudonym erschien.
Die Dauer dieser Buchvorstellungen brachte dann allerdings mit sich, dass die Lesung zur „traurigen Berühmtheit“ aus „Taterndorf“ nur recht verkürzt dargestellt wurde. Das wurde zumindest den Besuchern bewusst, die schon die Lesungen Simone Knodels zuvor in Nordhausen besucht hatten. Wer also insoweit „vorinformiert“ war, für den formte sich ein Bild, nach dem Ende des 18.Jahrhunderts Lohra keine Burg mehr war, sie war eine preußische Gutshof-Domäne. Man züchtete dort vorwiegend Schafe, die gute Wollträger waren. Die Wolle wurde von den Webern in Bleicherode zu Tuch verarbeitet, deren Hauptabnehmer Friedrich der Große war, der viel Tuch für die Uniformen seiner Soldaten benötigte. Die Wolle der Schafe musste allerdings zunächst im Eichsfeld
gesponnen werden, wo es entsprechende Spinnereien gab. Der Weg dorthin war weit, umständlich und zudem teuer. Lohra gehörte damals zu Preußen, das Eichsfeld zu Kurmainz. Man musste also auch noch Zoll zahlen.
Damit die Wolle von den Webern in Bleicherode billiger verarbeitet werden konnte, kam der Gutsherr von Amt Lohra auf die Idee, unterhalb der Burg (des Gutshofes) eine Ansiedlung entstehen zu lassen, und dort Spinner anzusiedeln. Friedrich II., der also viele Soldatenröcke brauchte, veranlasste daraufhin den Bau einer Siedlung. Eine Straße wurde gebaut mit 22 anliegenden Häusern. Noch heute heißt diese Straße deshalb „die 22-er“. Hinter den Häusern wurden kleine Gemüsegärten und ein kleines Feld angelegt, wo man zur eigenen Versorgung Kartoffeln und Gemüse anbaute. Den dort hinziehenden Spinnern gehörte das jeweilige Haus nach 15 Jahren, wenn sie fleißig waren und sich nichts zuschulden kommen ließen. Später baute man noch eine zweite Straße mit 60 Häuschen, „die 60-er“. Da die Menschen aus dem katholischen Eichsfeld kamen, baute man ihnen auch eine katholische Kirche in das ansonsten protestantische Preußen.

Die Zuwanderer verließen allerdings nicht ganz grundlos ihre Heimat, zum großen Teil hatten sie kriminelle Vergangenheiten und mussten deshalb anderswo, z.B. eben in „Friedrichslohra“ einen neuen Anfang versuchen. Nicht unproblematisch, denn um den kargen Spinnerlohn etwas aufzubessern, schmuggelten sie u.a. Schnaps und Kautabak aus Nordhausen über die preußische Grenze nach Kurmainz.

„Tatern“-Zigeuner streiften zu jener Zeit durch die Lande und verdienten sich etwas Geld mit Kesselflicken, Messerschleifen und Musizieren. Die Einheimischen schickten sie aber immer bald wieder weiter. Nicht so die Spinner in Friedrichslohra: sie vermieteten den Tatern während des Winters je einen Raum in ihren kleinen Häusern und/oder benutzten sie auch als Schmuggler und verdienten so auch an ihnen. Dadurch waren die Zigeuner so etwas wie seßhaft in „Taternlohra“ geworden.

Zu Beginn des 19. Jahrhundert kam auch König Friedrich II. auf den Gedanken, die Tatern für sich arbeiten zu lassen, wenn sie schon mal in Preußen lebten. Dazu musste man sie aber erst zu christlichen und arbeitsamen Menschen erziehen. Von einer Missionsstation in Naumburg kam ein erster Missionar, der aber bald wieder resigniert aufgab. Ein nächster wurde geschickt dem es gelang, wenigstens Ansätze für wirkliche Seßhaftigkeit und Bildung der Tatern zu schaffen. Das Dorf ist schließlich gespalten vom Gegensatz zweier Konfessionen, und den Webern und Wollspinnern, die ja selbst ein karges Leben fristeten. Die dadurch
entstehenden Probleme und die weiteren Verläufe mit den zunehmend mißgünstigen Großlohraern werden in dem Buch hochinteressant in Romanform geschildert.


Nach gut einer Stunde endete die Lesung mit dem Dank der Gastgeberin, Gräfin von Westphalen, und der üblichen Gelegenheit des Bücherkaufs und deren Signierung durch die Autorin. Und je nach Neigung, konnte man die Veranstaltung vor der Rückfahrt in die Heimatgemeinden in der angenehmen, gastlichen Atmosphäre der Gasträume und des Gartens um die Kemenate ausklingen lassen. Viele – auch Nordhäuser – kennen und schätzen Burg und Kemenate Großbodungen als anspruchsvollen Ausstellungs- und Veranstaltungsort und nehmen gern die Angebote der Burgeigner in Anspruch. Nächste Gelegenheit vielleicht der „Tag des offenen Denkmals“ am 11. September!?  

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