Warum sind wir bereit, für Lebensmittel mit Bio-Siegel
deutlich mehr zu zahlen? Was bringt intelligente, seriöse
Bankmanager dazu, das Geld ihrer Anleger zu verzocken und Existenzen
zu vernichten? Warum gehen wir bei der Verteilung von Werten lieber
leer aus, als einen unfairen Anteil zu akzeptieren? „Man könnte
annehmen, wirtschaftliche Entscheidungen sind das Ergebnis logischer
Rechenexempel. Der Blick ins Gehirn verrät aber etwas anderes“,
sagt Prof. Christian Elger. Der leitende Epileptologe der Universität
Bonn forscht an der Schnittstelle von Neurologie und Ökonomie und
hat sich mit einem Taktgeber unseres Handelns beschäftigt: das
Belohnungszentrum im Gehirn.
„Aktivität in diesem neuronalen Netzwerk kann gierig machen,
süchtig oder leichtsinnig. Sie befeuert aber – das zeigen
neuroökonomische Untersuchungen – auch den Fortschritt und unser
soziales Miteinander“, erklärt Elger.
„Kasinomentalität
und Zockerwirtschaft sind Schimpfworte, die nicht über kranke
Spielsüchtige verbreitet werden. Sie werden bisweilen auch als
Attribute für Herren im grauen Zwirn in den Banken angestrengt, um
deren Gier nach mehr Geld und den damit verbundenen moralischen
Untergang zu beschreiben“, so Professor Elger. Was bringt manche
führende Manager einer überaus seriösen Branche trotz all ihrer
Intelligenz, Ausbildung und Erfahrung dazu? „Die Antwort ist
einfach: ein kleiner Teil des Gehirns, dessen Aktivität ein solches
Wohlgefühl vermittelt, dass es nicht zu überbieten ist. Wir nennen
es Belohnungssystem.“
Suchtfalle und treibende Kraft der
Evolution
Alle bisher untersuchten Säugetiere verfügen über
dieses besondere Netzwerk im Gehirn. Das Belohnungssystem hilft bei
der Evolution, da Risiken nur noch minimal wahrgenommen werden, wenn
es aktiviert wird. Rauschgifte können es aktivieren ebenso wie
Erfolg. Es macht gierig und wahrscheinlich süchtig, weil dieses
Wohlgefühl allzu schnell konditioniert wird. Es wird daher immer
schwerer, der Versuchung zu widerstehen. Evolutionär ist das
hervorragend. Wir wagen mehr, treiben die Dinge voran und haben sogar
Spaß dabei. Aber wir ignorieren die Gefahr, insbesondere dann, wenn
nicht nur der Erfolg aktivierend ist, sondern die Sache selbst, das
Geld. Der Banker, das arme Opfer seines Belohnungssystems? Die gute
Nachricht: Die Kultur hat uns gezeigt, dass wir die Gier überwinden
können. Denn auch schöne Musik, Ästhetik, gute Gespräche sind
aktivierende Faktoren des Belohnungssystems.
Das Gehirn strebt
nach Fairness
Das Belohnungssystem ist nicht nur schlecht. Das
so genannte Ultimatumspiel, ein klassischer psychologischer Versuch,
zeigt, dass das Belohnungssystem auch auf einer ganz anderen Ebene
bedeutsam ist und damit die Evolution fördert. Dieser Faktor heißt
Fairness. Beim Spiel muss die Person A eine Summe Geld mit B teilen,
der kein Geld hat. B hat aber die Macht, nein zu sagen, wenn ihm der
abgegebene Teil der Summe zu gering erscheint. In diesem Fall
verliert A all sein Geld. A ist daher bestrebt, die „Schmerzgrenze“
von B auszuloten. Es zeigt sich in zahlreichen Untersuchungen, dass
die gerechte Teilung 50 : 50 die höchste Wahrscheinlichkeit hat,
angenommen zu werden. Aber was veranlasst B, so zu handeln? B hat
nichts, und jede Summe wäre ein Gewinn. Untersuchungen des Gehirns
zeigen bei der Zurückweisung eines zu niedrigen Angebots von A eine
Aktivierung des Belohnungssystems von B. Diese Reaktion ist
offensichtlich besser als die Aktivierung durch das Geld, das A
bereit ist abzugeben. Diese Wechselwirkung schafft Fairness, denn
unfaires Verhalten wird sanktioniert. Ein großer Fortschritt für
die Menschen. Jeder hat dazu schon Alltagserfahrungen gemacht. Man
sieht aber auch: Wenn Computer statt Menschen Entscheidungen treffen,
verliert der Faktor Fairness an Einfluss und die Wirtschaft an
Menschlichkeit.
Verhaltensforschung im
Kernspintomografen
Die Neuroökonomie untersucht mit Methoden
der modernen Neurobiologie den Menschen bei seinen ökonomisch
relevanten Handlungen. Neben Verhaltensexperimenten kommen vor allem
die bildgebenden Verfahren für das Gehirn zum Einsatz. Beide müssen
sich ergänzen. Im Verhaltensexperiment kann eine große Gruppe
untersucht werden – die Gehirnbildgebung erklärt dann, warum etwas
so und nicht anders passiert.
Diese Untersuchungen geben einen
Einblick, warum wir für das berühmte Bio-Siegel bereit sind, über
50 % mehr auszugeben, oder warum wir leicht zu „Ebay-Junkies“
werden, uns aber das Lottospielen selten süchtig werden lässt.
Viele Untersuchungen zeigen auch, dass uns ein risikobehaftetes
visionäres Vorantreiben einer Sache schwerfallen kann, da wir
Verluste so unangenehm wahrnehmen.
Die Neuroökonomie gibt
ungeahnte Einblicke in das Verhalten des Menschen im ökonomischen
Zusammenhang. Wir fangen an zu verstehen, warum wir uns wie
verhalten. Dies kann der Schritt in einen Wandel sein, der den
Herausforderungen der modernen Ökonomie besser gerecht wird.
Prof.
Dr. Christian E. Elger ist Neurologe und leitet die Klinik für
Epileptologie des Universitätsklinikums Bonn. Zu seinen
Forschungsschwerpunkten gehört die kognitive Neurowissenschaft. Er
zählt zu den gefragtesten Experten in den Bereichen Neuroökonomie
und Neuromarketing. Christian Elger wurde mit zahlreichen
Wissenschaftspreisen ausgezeichnet und hält seit Jahren
Managementseminare. Was die Neuroökonomie uns über menschliches
Verhalten im Wirt-schaftsumfeld lehrt, erläutert Christian Elger
auch in seinem Festvortrag am 22. September 2016 bei der
Eröffnungsveranstaltung des 89. Kongresses der Deutschen
Gesellschaft für Neurologie (DGN).
Mensch im Blick –
Gehirn im Fokus. 89. Kongress der Deutschen Gesellschaft für
Neurologie vom 21. bis 24. September in Mannheim
Rund 6000
Experten für Gehirn und Nerven tagen im September in Mannheim. Von
Demenz bis Epilepsie, von Schlaganfall bis Multiple Sklerose – der
DGN-Kongress ist das zentrale Wissen-schafts-, Fortbildungs- und
Diskussionsforum der neurologischen Medizin in Deutschland.
Journalisten bietet er Gelegenheit zur Recherche sowie für
persönliche Gespräche mit den führenden Köpfen der deutschen und
internationalen Neuromedizin. Die DGN bietet ein gut ausgestattetes
Pressezentrum. Die Publikumspressekonferenz findet am Mittwoch, 21.
September, von 10.00 bis 11.00 Uhr statt, die Fachpressekonferenz am
Freitag, 23. September, von 11.30 bis 12.30 Uhr. Akkreditierung und
weitere Informationen:
www.dgnkongress.org/presse/presseservice
Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.,
Pressesprecher: Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen
Pressestelle der DGN
Deutsche
Gesellschaft für Neurologie
Mitteilung des idw – Informationsdienst Wissenschaft am
30.08.2016