Donnerstag, 6. Juni 2013

Aufbruch im Nahen Osten – aber wohin?

Am Sonntag sah und hörte ich im TV unter anderen den Presseclub der ARD, wobei mir unwillkürlich eine Bemerkung von Prof. Dr. Ekkehard Schulz (Uni Leipzig) einfiel. In der Einleitung seines Vortrags am Donnerstag in der Kreissparkasse Nordhausen nämlich meinte er, dass es bei seinen Vorträgen doch im allgemeinen so ist, dass die Zuhörer schon alles wissen, manche sogar alles besser wissen manche allerdings auch weniger. Im übertragenen Sinne schien mir das auf die Gesprächsrunde zuzutreffen, die da im Presseclub ihre Kenntnisse und Ansichten zu den Problemen im Nahen Osten äußerte und austauschte.

Diskutiert wurde unter dem Motto „80 000 Tote und kein Ende – lassen wir die Syrer im Stich“über den Bürgerkrieg und die schlimme und unübersichtliche Situation in Syrien, wo auf der einen Seite Assads Truppen, auf der anderen Seite Terrorgruppen und tausende radikaler Fanatiker gegeneinander kämpfen, wie es in der Gesprächsrunde zum Ausdruck kam. Gut und Böse seien in Syrien kaum mehr zu unterscheiden. Die Hoffnung, dass ein Sieg der Opposition für Demokratie und Wandel in Syrien sorgen könnte, sei längst geschwunden. Eine Friedenskonferenz im Juni solle wenigstens Verhandlungen der Kriegsparteien ermöglichen. Und es ging um die Frage was „wir“ tun können, um den Syrern zu helfen.

Dazu also fiel mir der Vortrag des Leipziger Uni-Professors Ekkehard Schulz zum Thema „Naher Osten im Aufbruch – Wohin?“ ein und ich fragte mich, warum diese sonntägliche Gesprächsrunde nicht einen wirklichen Fachmann zu Rate zog, um sich über die aktuellen Verhältnisse im Nahen Osten informieren zu lassen? Anstatt Meinungen auszutauschen, die die tatsächliche Situation nur unvollständig und mangelhaft wiedergaben?

Ich halte mich dabei also an den Vortrag des Prof. Schulz – mit einzelnen Einschüben - und will das möglichst authentisch wiedergeben, was er dabei ausführte. Seit ich diesen Vortrag hörte, bin ich geneigt, seiner Einschätzung zu der Region des Nahem Osten unter der Vielzahl der angebotenen Informationen den größten Glauben zu schenken. Wobei ich einräume, lediglich ein allgemeines Interesse am Nahen Osten zu haben. Den Argumentationen des Professors stehe ich u.a. deshalb die größte Glaubwürdigkeit zu, weil er sich damit als wirklich profunder Kenner der Verhältnisse im Nahen Osten vorstellte. Aber auch die Art, wie er sich und das Institut vorstellte, in dem er wirkt, fand ich absolut überzeugend. Und seine Aussage, nach der er an keiner medialen Sendung mehr mitwirken wird, zu der er zu einem Thema wie dem Nahen Osten eingeladen wird. Weil das, was er dazu in der dafür notwendigen Zeit äußert, danach auf einen Bruchteil der Zeit zusammengeschnitten wird, die dann meist keinen vernünftigen, sachlichen Zusammenhang mehr erkennen lässt.

Zur Erklärung sei zu ersteren gesagt, dass Prof. Schulz das Orientalische Institut der Universität Leipzig, dem er zeitweise schon als Direktor vorstand, mit dem Hinweis vorstellte, dass es mit seinen 250 Jahren zu den ältesten seiner Art zählt und zu den Bachelor- und Master-Studiengängen u.a. auch die Ausbildung zum Konferenz- bzw. Simultandolmetscher für Arabisch gehört. „Das war“, so führte er dabei aus, „ein Beschluss des DDR-Politbüros von 1967, der bis heute ein segensreicher Beschluss ist. Wir sind die einzigen, die das überhaupt können, in Deutschland und auch in Europa.
Das Politbüro hat also nicht nur immer Blödsinn beschlossen, es gibt eben auch die andere Seite der Medaille.“ Und eine solche Aussage ist immerhin bemerkenswert. Und zu seiner Absage an verkürzte und zusammengeschnittene Statemants und Interviews, die ja heute üblich sind und allgemein bemängelt werden, könnte man diese Konsequenz ganz allgemein Politikern und Fachleuten empfehlen.

Sparkassendirektor Thomas Seeber hatte in Abwesenheit des Vorstandsvorsitzenden der Kreissparkasse Nordhausen, Wolfgang Asche, Prof. Dr. Ekkehard Schulz und die Teilnehmer an der Veranstaltung, begrüßt und auf das Thema des Vortrags eingestimmt.

Und der Professor begann sein Referat also mit dem oben erwähnten Bemerken und der Versicherung, er sei bemüht, sich auf sein jeweiliges Publikum einzustellen. Und regte an, ihn auch während seines Vortrags zu unterbrechen, wenn sich Fragen dazu unmittelbar ergäben. Dies war dann auch vereinzelt der Fall, hielt sich aber in Grenzen.

Dazu könnte es gut sein zu wissen, dass der Begriff des Nahen Osten, der Thema des Vortrags war, eine geographische Bezeichnung ist, die heute im Allgemeinen für arabische Staaten Vorderasiens und Israels benutzt wird. Ob man dazu auch Zypern, die Türkei, Ägypten und den Iran zählt, hängt oft von der jeweiligen Interessenlage ab. Im gehörten Vortrag hatte man den Eindruck, es wären das zum Teil Anrainerstaaten, allerdings mit großem Einfluss auf den eigentlichen Nahen Osten.

Prof. Schulz führte zunächst zum Thema aus, dass derzeit gern und vermehrt in Nachrichten und Berichten vom „arabischen Frühling“ die Rede ist, während dem die Ereignisse in den meisten arabischen Ländern von politischen Aufbrüchen in der Region künden. Dazu stellte der Referent klar, dass es im Nahen Osten eigentlich nur zwei Jahreszeiten gibt: Sommer und Winter. Frühling käme zwar mitunter in der Lyrik vor, sonst aber könne man sich eher derzeit im Winter des Nahen Osten wähnen. Und er begründete das auch ausführlich.

Nun erinnerte mich das, was Prof. Schulz vortrug, an ein Referat des Nahost-Korrespondenten der „Neuen Züricher Zeitung“, Victor Kocher, das ich in meinem Archiv habe. Das nämlich begann mit der Feststellung: „. . .Der Vordere Orient ist eine undankbare Region mit täglichen schlechten Nachrichten und voll skrupellosen Blutvergiessens. Das westliche Publikum bekundet immer mehr Unverständnis und Überdruss, da die Konflikte endlos scheinen. Einflussreiche westliche Politiker beschwören mit Vorliebe islamische Schreckgespenster.. .“ (Ende des Auszugs). Das Referat stammt aus dem Jahre 2007 und hat insoweit an Aktualität nichts eingebüßt

Den Einschub erachte ich deshalb als sinnvoll, weil Prof. Schulz gerade in diesen angeblichen Schreckgespenstern eine enorme gegenwärtig drohende konkrete Gefahr im Nahen Osten in Form einer Art Balkanisierung sieht, wie sie in der jüngeren Vergangenheit in Jugoslawien stattfand. Mit dem Bestreben einer Rückkehr zu den Grenzen von vor 1914. Das sich derzeit auch als Muster in der arabischen Welt generell abzeichnet. Also eine Rückkehr zu Strukturen, zu Grenzen, zu ethnischen Trennungen, zu religiösen, konfessionellen Abgrenzungen, wie das in langen Zeiten vor dem Ersten Weltkrieg üblich war.

Nachdem der Vortragende dargelegt hatte, auf welche Länder und deren Eigenheiten und Probleme er noch näher eingehen werde, wandte er sich zunächst der geschichtlichen Entwicklung des ursprünglichen Osmanischen Reiches und dessen weiterer Gestaltung zu. Illustriert durch zahlreiche gebeamte Bilder führte er aus, dass die sehr schmeichelhafte Bezeichnung „Erwerbungen“ bis 1520 zwar teilweise zutreffen mag, ansonsten aber mit „Eroberungen“ besser bezeichnet ist. Zu diesen Strukturen scheint sich derzeit die arabische Welt oder der Nahe Osten zurück zu bewegen. Wobei man „sich das genauer anschauen muss“. Das Osmanische Reich ist ja nach dem Ersten Weltkrieg neu strukturiert worden durch die europäischen Großmächte, die Kriegsgewinner sozusagen. Man hat das Osmanische Reich zurechtgestutzt oder unter Kontrolle gestellt und man hat Teile davon, um die es im folgenden gehen wird, zu einem britischen und französischen Mandatsgebiet gemacht.
In diesem Zusammenhang wies Prof. Schulz auf das Waffenembargo gegen Syrien hin, gegen dessen Verlängerung diese beiden Regierungen sind. Scheinbar in Ansehung ihrer historischen Rolle als Kolonialmächte.nach dem geheimen Sykes-Picot-Abkommen von 1916 (das Prof. Schulz nach seinem Inhalt erklärte) und der Teilung der arabischen Welt gemäß dem Vertrag von Sévres von 1920. Dabei sei Wert darauf gelegt worden, dass ethnische oder religiöse Grenzen beachtet wurden. Also darauf geachtet wurde, dass Kurden dort wohnten, wo Kurden waren, Sunniten wo Sunniten waren, Schiiten wo Schiiten waren. Um Konfliktpotenziale so gering wie möglich zu halten. Im weiteren Verlauf – und dem ökonomischen Fortschritt des Marktes – sind viele dieser Widersprüche und Kleinstaatereien überwunden worden. Also das Assad-Regime, das Gaddafi-Regime, und Saddam-Hussein-Regime haben viel dazu beigetragen, diese Unterschiede in Religion und ethnischer und Stammeszugehörigkeiten zu beseitigen. Ähnlich war es in Jugoslawien, dass also Sunniten mit Schiiten verheiratet waren, Kurden mit Arabern, Araber mit Christen, es gab also schon jede Form von Vermischungen.
Und einige meiner Kollegen, so führte Prof. Schulz aus, in Damaskus – der dortigen Universität - wohnen ebenso seit etwa 30 Jahren zusammen in einem Häuserblock, vollkommen gemischt, Christen , Sunniten, Muslime, Schiiten, Alawiten, alle gemeinsam. Und das ging etwa vierzig Jahre gut, und jetzt fangen sie alle an, sich gegenseitig umzubringen. Also ähnlich wie damals in Jugoslawien oder der Rest-Sowjetunion. Diese Auswüchse sind da und nur schwer zu beherrschen.


Der Professor richtete nun seinen Blick auf den Irak, den er kürzlich besuchte, der einen Flickenteppich gleicht aus verschiedenen ethnischen Gruppen, wobei gerade auch dort neuer Krieg droht – oder eine Fortsetzung des alten Krieges – zwischen Sunniten/Schiiten und Kurden. Wobei offen ist, ob sich die arabischen Sunniten auf die Seite der Kurden schlagen werden. Oder ob Araber gemeinsam gegen Kurden vorgehen werden. Kurdistan ist ein Ölemirat geworden, hat also Ölreserven wie die Emirate, also wie Abu Dhabi, pro Kopf gerechnet (je Einwohner), sie sind also auf dem Wege, ökonomisch
sehr stark zu expandieren und prosperieren, haben aber mehr Probleme, denn sie sind als Emirat eingefangen und suchen einen Weg im Norden durch Syrien zum Mittelmeer. Der Vater Assads hat an der Syrisch-Kurdischen Grenze – weil beiderseits Kurden wohnen – vor 40 Jahren den sogenannten Arabischen Gürtel eingeführt, indem er arabische Beduinen ansiedelte, die die Grenze schützen sollten. Also wie eine Art Kosaken. Damit der kurdische Schmuggel zwischen Türkei, Kurden und syrischen Kurden nicht florieren kann. Weil hunderttausende Kurden Staatsbürger beider Staaten waren. Ohne Pass allerdings. Eine Situation, die historisch gewachsen war. Was natürlich ein staatliches Gebilde zerstört, wenn man Grenzen hat, Zölle erhebt und einen Markt haben will. Und man schon deshalb Grenzen haben und schützen muss. Deshalb hat damals Assads Vater diese Araber angesiedelt an der Grenze zur sunnitischen Türkei, was auch von den Türken unterstützt wurde. Weil ja die Türken Probleme haben mit ihrer kurdischen Bevölkerung. Derzeit ist es allerdings so, dass sich diese Araber quasi zwischen Hammer und Amboß befinden und im Kurdengebiet eingeklemmt sind: rechts sind Kurden, links sind Kurden und die Araber dazwischen. Man bemüht sich also nun, die Araber zu vertreiben und wieder zu einem einheitlichen Kurdengebiet zu kommen,
eine recht komplizierte Situation, wie Prof. Schulz dazu bemerkte. Eine der Karten zeigt also, wie die Kurden das Gebiet gern hätten. Und um diese Grenzen wird gekämpft. Dabei sind die Städte Dohuk(?) und Mosul Brennpunkte, schon weil dort der welt- größte Ölreserven liegen. Die kurdische und irakisch-schiitische Armee stehen sich also dort gegenüber, um diesem Kampf um die Ölquellen auszutragen. Der Vortragende schilderte in diesem Zusammenhang etwas detaillierter die ausländischen Interessen an den Ölquellen des Landes und deren Verhältnis zu Kurdistan und dem Irak. Eine insgesamt brisante Situation, wie sie sich leicht nachvollziehbar darstellt.


Prof. Schulz ging nun auf die Lage in Syrien ein. „Wenn wir von Syrien sprechen, meinen wir im Grunde das Land, das heute Syrien ist. So jedenfalls wird es suggeriert“ führte er dazu aus, um festzustellen, dass dieses Land Syrien etwas anderes ist. Nämlich das koloniale Syrien, was die Kolonialmächte Briten und Franzosen getrennt haben. Davor gab es die sogenannte Levante, das heißt, ein Groß-Syrien. Und kolonial abgetrennt wurde dann der Libanon, Jordanien und ein Teil des
Irak. Ursprünglich aber war das vor dem 1.Weltkrieg ein einheitliches Gebiet. Und es scheint, als würde sich dieses Gebiet, mit den verschiedenen Gruppierungen darin, wieder „zusammen schütteln“ auf die Situation vor dem 1. Weltkrieg. Und wenn Assad sagt, Libanon ist seine Einflusssphäre, das gehöre zu Syrien, hat er, historisch gesehen, nicht unrecht. Der Libanon war immer ein Teil von Groß-Syrien. Syrien ist also weitgehend geteilt, in einen sunnitischen Teil an der Küste, den Küstenstaat der Alaviten. Im Grunde gibt es in der arabischen Welt die Sunniten und die Schiiten: 10 Prozent der religiösen Bevölkerung der Region etwa ist schiitisch, 90 Prozent und noch mehr sind sunnitisch. Die Alaviten in Syrien sind Schiiten. Das ist eine konfessionelle Untergruppe der Schiiten, die aber eine sehr aufgeklärte Islamvorstellung haben. Sie haben also bisher eine Islamvorstellung , wie wir sie gern in Westeuropa hätten. Sie gehen in die Moschee, sie bekennen sich zu einem einzigen Gott, aber sie nehmen alles nicht so absolut. Das ist der alavitische Teil der Muslime in Syrien. Es gibt dann dort auch noch Schiiten, die sind auch noch
offener (nach westlicher Tradition) eingestellt. Das hängt noch mit der Vergangenheit zusammen, begonnen mit den Kreuzzügen und den gewachsenen Handelsbeziehungen und ist auch eine der ältesten Kulturen der Welt. Die zu einer offeneren Geisteshaltung führte. Während die Kurden im Norden sehr viel strenggläubiger sind. Und dann gibt es auch noch die Christen, zwei- bis drei Millionen Christen, so genau weiß man es nicht. Die jetzt zunehmend zerrieben werden. Die Christen nämlich haben sich von Beginn an relativ deutlich zu Assad bekannt. Weil sie wissen, dass sie, wenn das Regime fällt, von den radikalen Sunniten massakriert werden. Die radikalen Sunniten schreiben auch im Internet, die Christen und die Kurden sollen lieber gleich gehen, bevor es zu spät ist.


So also ist die Argumentationslinie dieser radikalen sunnitischen Gruppen. Die eingestellte Karte zeigt also Syrien, zu dem einstens der Irak und Jordanien gehörte, und ein Groß-Syrien bildete. Prof.
Schulz erinnerte hier an den „Überfall“ des Irak auf Kuweit, mit dem – historische gesehen – Kuweit als Provinz eigentlich nur zum Irak zurückgeholt wurde. Der einstens nur von den Briten abgeteilt worden war. Es ist aber stets nur so dargestellt worden, dass der böse Saddam die guten Anderen überfiel. Als bemerkenswert schilderte der Fachmann, dass die Entwicklung mit sich brachte, dass der Irak als eigentlich ölreiches Land heute Öl importieren muss, weil die Ölpipelines nicht zu sichern sind. „Wenn die Bevölkerung nicht hinter den Interessen der ölfördernden Staaten (Firmen) steht, kann keine Pipeline gesichert werden, selbst wenn alle paar Meter ein Soldat steht. Und Tatsache ist, dass alle Ausschreibungen im Kuweit nach dem dortigen Krieg von Projekten der Ölförderung an die USA gingen. Was wiederum die Briten maßlos erboste. Während im Irak hunderte Milliarden von Dollars oder irakischen Dinars einfach durch (private) Gaunereien verschwanden

Der Professor kam nun zu den Emiraten und erklärte zunächst die geographische Situation auf den gebeamten Karten, auf denen es schon Unterschiede zur Sichtweise der Emiratis und der Saudis gibt. Nachdem sich die Saudis mit Gewalt einen Zugang zum Golf von Oman verschafften. Um durch eine durch dieses Gebiet gebaute Pipeline nicht mehr unbedingt für ihre Öllieferungen auf die Straße von Hormus angewiesen zu sein. Die hoheitsrechtlich iranisches Staatsgebiet ist. Und nachdem seit 1971 ein verschärfter Konflikt zwischen dem Iran und den Vereinigten Arabischen Emiraten um Abu Musa und die Tunb-Inseln besteht, droht der Iran mit der Sperrung der Straße von Hormus. Nun hat allerdings die Pipline durch Oman nicht genügend Kapazität und so sucht Saudi Arabien nach weiteren Möglichkeiten, um durch den Jemen oder Syrien (zum Mittelmeer) weitere Pipelines bauen zu können. Insofern ist Saudi Arabien natürlich am Verlauf des Bürgerkrieges in Syrien interessiert und unterstützt zusammen mit Katar die Opposition, allerdings nur die sunnitische, als ihre ethnischen Brüder. Dazu wies Prof.Schulz darauf hin, dass vor dem 1.
Weltkrieg die sunnitischen Beduinenstämme Syriens, Jordaniens, Iraks und auch Teilen von Saudi Arabiens (des heutigen Saudi Arabien) eine Gruppe (Gemeinschaft) war, die ethnisch alle verwandt sind. Und auch untereinander verheiratet sind, allerdings durch die schon erwähnten kolonialen Grenzen getrennt. Aber diese Grenzen nie wirklich respektiert haben. Und auch versuchen, dieses alte Schema wieder herzustellen. Und anhand der gebeamten Karten machte der Nahost-Kenner deutlich, dass es schon deshalb Dutzende Gründe gibt, Kriege vom Zaune zu brechen. Zumal die Grenzverläufe an zahlreichen Stellen durchaus ungeklärt sind. Und Saudi Arabien will nun das, was es in den letzten 70 Jahren „erworben“ hat, konsolidieren. Saudi Arabien ist ja in den zwanziger Jahren entstanden, ähnlich wie in Afghanistan gab es dort so etwas wie die Taliban, die im Laufe der Zeit die Nachbarstaaten überfielen und dieses Königreich Schritt für Schritt bildeten. Prof. Schulz erzählte in diesem Zusammenhang als Beispiel ein ihm bekanntes dortiges Einzelschicksal gemordeter Angehöriger eines Bekannten, der heute noch auf die Gelegenheit wartet, diese Morde zu rächen. Und solche Beispiele gäbe es viele. Erneut zog er dabei einen Vergleich zu Jugoslawien und dem dortigen Hass zwischen den ethnischen Gruppen. Es gibt also Probleme nicht nur zwischen den Emiraten und Saudi Arabien, es gibt auch Probleme zwischen Oman und den Emiraten, es gibt die omanischen Enklaven und Exclaven in den Emiraten – Dubai, Abu Dhabi u.s.w. - wo man sich streitet und eben auch dabei genügend Konfliktstoff vorhanden ist.


Professor Schulz ging dann auch auf den Demokratiebegriff im Zusammenhang mit dem Nahen Osten ein: diese Gesellschaften, Syrien vor allen Dingen, Afghanistan, Saudi Arabien, Irak – Ägypten ist etwas anders aber doch ähnlich – Lybien, auch Tunesien mit einigen Unterschieden, sind im Prinzip ethnisch und religiös gespalten (auch wie in Afghanistan). Wenn man dort Wahlen durchführt, wählt niemand außerhalb seiner Gruppe: kein Sunnit wählt einen Schiiten, kein Schiit wählt einen Sunniten. Kein Kurde einen Araber, kein Araber einen Kurden. Kein Christ einen Muslim, kein Muslim einen Christen.usw. Und wenn das so ist, in Afghanistan, in Lybien, Saudi-Arabien und im Jemen und jedenfalls auch in Syrien und Irak, warum macht man dann Wahlen? Man braucht doch nur die Bevölkerungsgruppen zählen, um zu wissen, wie die Wahlen ausgehen. Wahlen, jedenfalls das, was die Europäer oder die Amerikaner machen, Wahlen exportieren nach unserem Muster, heißt ja nicht, dass die Wahlen falsch sind, sondern die Art der Durchführung ist falsch.Und führt dazu, dass die Konflikte nicht gelöst, sondern verschlimmert werden. Weil bei den Wahlen,
dieses gegenwärtige natürliche Gleichgewicht des Schreckens (was derzeit besteht) zerstört wird: bestimmte Gruppen haben keinen Zugang zur Wahl, sind also im Parlament nicht vertreten. Und damit von vornherein Opposition zur bestehenden Machtverteilung. Bestimmte andere Gruppen werden nicht entsprechend ihrer Wichtigkeit im Parlament sitzen, sie haben im Jemen bestimmte Gruppen (Zaiditen zum Beispiel), das sind Nachkommen des Propheten, die wohl nicht einmal hunderttausend zählen und bei Wahlen nicht einmal die 1-Pozent-Hürde schaffen. Aber die müssen – historisch gesehen - im Parlament sein. Bestimmte Gruppen müssen einfach da sein. Monarchien arbeiten auch mit Minderheiten sehr gut zusammen, um sie gegen Mehrheiten nutzen zu können. Und stellen dadurch einen Ausgleich her. Wahlen also würden dazu führen, dass dieses historisch gewachsene Gleichgewicht zerstört wird. Sowohl in Afghanistan als auch in Groß-Saudi-Arabien, um Beispiele zu nennen.. Die Sozialstruktur, die kulturellen Entwicklungsstufen, die erreicht worden sind, sind vielleicht so wie in Deutschland vor dreihundert oder fünfhundert Jahren. Auch wenn sie dort Cadillac oder Landrover fahren. Aber wenn man in die Familien schaut, in die Strukturen, ist das so wie bei uns vor zweihundert Jahren, im Durchschnitt. Geht man also zurück, zweihundert Jahre in Deutschland: gab's da Universitäten für Frauen? Gab' promovierte Wissenschaftlerinnen? Gab's so etwas wie Menschenrechts-Diskussionen? Gab's politische Parteien? Nun ja, in gewisser Weise begann sich das alles zu entwickeln, aber bei weitem
nicht in der Weise wie heute. All das hat es zunächst nicht gegeben. Aber all das sollen diese Länder heute haben. Das aber ist ahistorisch. Es gab damals auch keine Wahlen. Man oktroiert da etwas, was zu den historischen Bedingungen noch nicht passt. Es gibt Länder wie etwa Bahrain, die sagen, wir machen Wahlen, aber wir wählen nur 10 Prozent. Und 90 Prozent der Mitglieder des Parlaments, Thronrat, Schurarat, Beratungsgremien des Emirs (des Scheichs) werden dagegen ernannt. Bei der nächsten Wahl, fünf Jahre später, vielleicht 15 Prozent. Also schrittweise versucht man das System umzustellen. Das aber ist ein Prozess, der vielleicht hundert Jahre oder länger dauert. Man kann einfach nicht solche Strukturen, wie sie bei uns historisch gewachsen sind, so 1:1 nach dort transportieren. Das Ergebnis sieht man in Afghanistan: de Maisiére hat unlängst gesagt, wir werden das afghanische Volk nicht im Stich lassen. Das klingt zwar großartig. Wer aber ist das afghanische Volk? Das sind die Paschtunen: 60 – 70 Prozent der Afghanen sind Paschtunen. Das sind auch die, die zu 99 Prozent die Taliban sind. Und die lassen wir nicht im Stich? Das ist doch Unsinn. Die neue Armee, die in Afghanistan aufgebaut wird, besteht etwa aus 4 Prozent Paschtunen. Der Bevölkerungsanteil 60 – 70 Prozent. Da ist von vornherein klar, dass eine solche Armee, auch wenn in sie massiv Steuergelder hineingepumpt werden, nie funktionieren kann. Ist auch nicht beabsichtigt. Bei der Ausbildung von Polizisten, sowohl in Afghanistan, aber auch im Irak, für die es ja Programme gibt, ist es das gleiche: wenn sich die NATO zurückzieht, dann bleiben die
nicht bei der Zentralarmee, sondern sie gehen zurück zu ihren Stamm, zu ihrer Gruppe, zu ihrer religiösen Gemeinschaft, weil nur dort Schutz gegeben ist. Alles andere macht für die Menschen vor Ort keinen Sinn. Wir bilden also sozusagen – wenn man so will – die Privatarmeen der künftigen Kriegsparteien aus. So traurig das auch ist, aber leider ist es so. Und deswegen ist das alles eine sehr problematische Situation, die dort gegeben ist. Wir hoffen nicht, aber wir rechnen, dass Saudi-Arabien in den nächsten Jahren eine Entwicklung wie der Balkan nehmen könnte. Die Konflikte sind da, es reicht nur der politische Wille noch nicht, der ist noch nicht entwickelt. Wenn der entwickelt wird, ist auch das sehr schnell möglich. Syrien wird also, wie es aussieht auf eine ethnische Teilung hinauslaufen, was noch die beste Variante wäre, die man sich vorstellen kann: dass sich jede Gemeinschaft auf ihr Gebiet zurückzieht und die Kriegshandlungen eingestellt werden. Das ist eine der Optionen die man hätte in Syrien. Also dass man zurückgeht auf diese ethnischen Territorien wie vor dem 1. Weltkrieg,. Sich also jeder mehr oder weniger eingräbt, wodurch kleinere Einheiten entstünden, die auch besser zu kontrollieren sind. Und die dann wieder in einem langen Prozess über Jahrzehnte vielleicht über einen Markt, wie sich das ja jetzt bei Ex-Jugoslawien andeutet, in einer Art Rückbesinnung auf gemeinsame Straßen, gemeinsame Handelswege münden kann, weil diese kleinen Einheiten halt doch ökonomisch schwer lebensfähig sind. So jedenfalls könnte es sich in Syrien entwickeln. Wir rechnen auch damit, dass Jordanien, was ja auch ein Kunstgebilde und kein gewachsener Staat ist, eine Gründung also der Kolonialmächte, sich in der Gefahr befindet, aufgelöst zu werden. Und sich anders zu strukturieren sceint, mit den Stämmen des Irak zusammen und Teilen von Saudi-Arabien. Die Christen haben in Syrien einen schweren Stand, im Irak sind sie fast alle vertrieben, wenn sie nicht nach Kurdistan flüchten konnten wo sie geschützt sind. In Syrien droht ihnen das gleiche Schicksal. Die Masse der Syrer, die bei uns in Deutschland aufgenommen worden sind, sind christlichen Glaubens, man hat also versucht, diese Wege zu öffnen. Lybien bewegt sich in Richtung einer Stammesgesellschaft, die sie ja auch gewesen ist. Sie war in Auflösung und jetzt ist es so dass man Ost- und Westlybien hat, also die Cyrenaika und Tripolitanien. Das war schon bei den Römern so, und auch bei den Kartagern. Und dieser alte Zustand hat sich jetzt wieder eingestellt. Bekannte des Prof Schulz berichten, dass das gesamte staatliche System Lybiens zusammengebrochen ist, Armee und Polizei wechseln wieder zurück zu einen Stammessystem, Stammesgerichtsbarkeit usw. Und das Staatliche ist nur noch die äußere Hülle. Also ehr kompliziert. Tunesien ist noch auf dem besten Wege dieser Länder, weil dort die Zivilgesellschaft sehr stark ist, dank der starken französischen Einflussnahme über Jahrzehnte. Es gibt dort auch sehr starke Gewerkschaften, die auch auf die Straße gehen und dabei auch Islamisten und Salafisten entgegen treten. Aber auch dort wird es problematisch. Zwar kämpfen die Kollegen (des Professors)an den Unis und sind auch erfolgreich in vielen Bereichen, ihre Rechte einzuklagen. Aber auch dort macht sich eine Radikalisierung bemerkbar, man bewaffnet sich, denn eine Alkaida gibt’s mittlerweile auch in Tunesien. Die lybischen Waffen, die herrenlos in ganz Afrika inzwischen vagabundieren, sind also jetzt auch im Süden Tunesiens angekommen. Und von dort beginnt eine Art militärische Rückeroberung eben auch zu einer Stammesgesellschaft, die man schon überwunden glaubte. Jetzt kommen diese tribalen Abhängigkeiten zurück, vor allem in Fragen der Krise. Wenn das Land, wenn die Familie bedroht wird, wenn die staatliche Schutzmacht nicht mehr funktioniert, ist die Großfamilie, ist das Dorf, wo man herkam, der einzige Schutz. Und die alten Verhältnisse stellen sich schnell wieder automatisch ein. Ganz problematisch also letztlich auch dort.(Es folgt noch ein weiterer Teil.)



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