Am Sonntag sah und hörte ich im TV
unter anderen den Presseclub der ARD, wobei mir unwillkürlich
eine Bemerkung von Prof. Dr. Ekkehard Schulz (Uni Leipzig)
einfiel. In der Einleitung seines Vortrags am Donnerstag in der
Kreissparkasse Nordhausen nämlich meinte er, dass es bei seinen
Vorträgen doch im allgemeinen so ist, dass die Zuhörer schon
alles wissen, manche sogar alles besser wissen manche allerdings
auch weniger. Im übertragenen Sinne schien mir das auf die
Gesprächsrunde zuzutreffen, die da im Presseclub ihre Kenntnisse
und Ansichten zu den Problemen im Nahen Osten äußerte und
austauschte.
Diskutiert wurde unter dem Motto „80
000 Tote und kein Ende – lassen wir die Syrer im Stich“über
den Bürgerkrieg und die schlimme und unübersichtliche Situation
in Syrien, wo auf der einen Seite Assads Truppen, auf der anderen
Seite Terrorgruppen und tausende radikaler Fanatiker gegeneinander
kämpfen, wie es in der Gesprächsrunde zum Ausdruck kam. Gut und
Böse seien in Syrien kaum mehr zu unterscheiden. Die Hoffnung,
dass ein Sieg der Opposition für Demokratie und Wandel in Syrien
sorgen könnte, sei längst geschwunden. Eine Friedenskonferenz im
Juni solle wenigstens Verhandlungen der Kriegsparteien
ermöglichen. Und es ging um die Frage was „wir“ tun können,
um den Syrern zu helfen.
Dazu also fiel mir der Vortrag des
Leipziger Uni-Professors Ekkehard Schulz zum Thema „Naher Osten
im Aufbruch – Wohin?“ ein und ich fragte mich, warum diese
sonntägliche Gesprächsrunde nicht einen wirklichen Fachmann zu
Rate zog, um sich über die aktuellen Verhältnisse im Nahen Osten
informieren zu lassen? Anstatt Meinungen auszutauschen, die die
tatsächliche Situation nur unvollständig und mangelhaft
wiedergaben?
Ich
halte mich dabei also an den Vortrag des Prof. Schulz – mit
einzelnen Einschüben - und will das möglichst authentisch
wiedergeben, was er dabei ausführte. Seit ich diesen Vortrag
hörte, bin ich geneigt, seiner Einschätzung zu der Region des
Nahem Osten unter der Vielzahl der angebotenen Informationen den
größten Glauben zu schenken. Wobei ich einräume, lediglich ein
allgemeines Interesse am Nahen Osten zu haben. Den Argumentationen
des Professors stehe ich u.a. deshalb die größte Glaubwürdigkeit
zu, weil er sich damit als wirklich profunder Kenner der
Verhältnisse im Nahen Osten vorstellte. Aber auch die Art, wie
er sich und das Institut vorstellte, in dem er wirkt, fand ich
absolut überzeugend. Und seine Aussage, nach der er an keiner
medialen Sendung mehr mitwirken wird, zu der er zu einem Thema wie
dem Nahen Osten eingeladen wird. Weil das, was er dazu in der
dafür notwendigen Zeit äußert, danach auf einen Bruchteil der
Zeit zusammengeschnitten wird, die dann meist keinen vernünftigen,
sachlichen Zusammenhang mehr erkennen lässt.
Zur
Erklärung sei zu ersteren gesagt, dass Prof. Schulz das
Orientalische Institut der Universität Leipzig, dem er zeitweise
schon als Direktor vorstand, mit dem Hinweis vorstellte, dass es
mit seinen 250 Jahren zu den ältesten seiner Art zählt und zu
den Bachelor- und Master-Studiengängen u.a. auch die Ausbildung
zum Konferenz- bzw. Simultandolmetscher für Arabisch gehört.
„Das war“, so führte er dabei aus, „ein Beschluss des
DDR-Politbüros von 1967, der bis heute ein segensreicher
Beschluss ist. Wir sind die einzigen, die das überhaupt können,
in Deutschland und auch in Europa.
Das Politbüro hat also nicht
nur immer Blödsinn beschlossen, es gibt eben auch die andere
Seite der Medaille.“ Und eine solche Aussage ist immerhin
bemerkenswert. Und zu seiner Absage an verkürzte und
zusammengeschnittene Statemants und Interviews, die ja heute
üblich sind und allgemein bemängelt werden, könnte man diese
Konsequenz ganz allgemein Politikern und Fachleuten empfehlen.
Sparkassendirektor
Thomas Seeber hatte in Abwesenheit des Vorstandsvorsitzenden der
Kreissparkasse Nordhausen, Wolfgang Asche, Prof. Dr. Ekkehard Schulz
und die Teilnehmer an der Veranstaltung, begrüßt und auf das Thema
des Vortrags eingestimmt.
Und
der Professor begann sein Referat also mit dem oben erwähnten
Bemerken und der Versicherung, er sei bemüht, sich auf sein
jeweiliges Publikum einzustellen. Und regte an, ihn auch während
seines Vortrags zu unterbrechen, wenn sich Fragen dazu unmittelbar
ergäben. Dies war dann auch vereinzelt der Fall, hielt sich aber in
Grenzen.
Dazu
könnte es gut sein zu wissen, dass der Begriff des Nahen Osten, der
Thema des Vortrags war, eine geographische Bezeichnung ist, die heute
im Allgemeinen für arabische Staaten Vorderasiens und Israels
benutzt wird. Ob man dazu auch Zypern, die Türkei, Ägypten und den
Iran zählt, hängt oft von der jeweiligen Interessenlage ab. Im
gehörten Vortrag hatte man den Eindruck, es wären das zum Teil
Anrainerstaaten, allerdings mit großem Einfluss auf den eigentlichen
Nahen Osten.
Prof.
Schulz führte zunächst zum Thema aus, dass derzeit gern und
vermehrt in Nachrichten und Berichten vom „arabischen Frühling“
die Rede ist, während dem die Ereignisse in den meisten arabischen
Ländern von politischen Aufbrüchen in der Region künden. Dazu
stellte der Referent klar, dass es im Nahen Osten eigentlich nur zwei
Jahreszeiten gibt: Sommer und Winter. Frühling käme zwar mitunter
in der Lyrik vor, sonst aber könne man sich eher derzeit im Winter
des Nahen Osten wähnen. Und er begründete das auch ausführlich.
Nun
erinnerte mich das, was Prof. Schulz vortrug, an ein Referat des
Nahost-Korrespondenten der „Neuen Züricher Zeitung“, Victor
Kocher, das ich in meinem Archiv habe. Das nämlich begann mit der
Feststellung: „. . .Der Vordere Orient ist eine undankbare Region
mit täglichen schlechten Nachrichten und voll skrupellosen
Blutvergiessens. Das westliche Publikum bekundet immer mehr
Unverständnis und Überdruss, da die Konflikte endlos scheinen.
Einflussreiche westliche Politiker beschwören mit Vorliebe
islamische Schreckgespenster.. .“ (Ende des Auszugs). Das Referat
stammt aus dem Jahre 2007 und hat insoweit an Aktualität nichts
eingebüßt
Den
Einschub erachte ich deshalb als sinnvoll, weil Prof. Schulz gerade
in diesen angeblichen Schreckgespenstern eine enorme gegenwärtig
drohende konkrete Gefahr im Nahen Osten in Form einer Art
Balkanisierung sieht, wie sie in der jüngeren Vergangenheit in
Jugoslawien stattfand. Mit dem Bestreben einer Rückkehr zu den
Grenzen von vor 1914. Das sich derzeit auch als Muster in der
arabischen Welt generell abzeichnet. Also eine Rückkehr zu
Strukturen, zu Grenzen, zu ethnischen Trennungen, zu religiösen,
konfessionellen Abgrenzungen, wie das in langen Zeiten vor dem
Ersten Weltkrieg üblich war.
Nachdem
der Vortragende dargelegt hatte, auf welche Länder und deren
Eigenheiten und Probleme er noch näher eingehen werde, wandte er
sich zunächst der geschichtlichen Entwicklung des ursprünglichen
Osmanischen Reiches und dessen weiterer Gestaltung zu. Illustriert
durch zahlreiche gebeamte Bilder führte er aus, dass die sehr
schmeichelhafte Bezeichnung „Erwerbungen“ bis 1520 zwar teilweise
zutreffen mag, ansonsten aber mit „Eroberungen“ besser bezeichnet
ist. Zu diesen Strukturen scheint sich derzeit die arabische Welt
oder der Nahe Osten zurück zu bewegen. Wobei man „sich das genauer
anschauen muss“. Das Osmanische Reich ist ja nach dem Ersten
Weltkrieg neu strukturiert worden durch die europäischen Großmächte,
die Kriegsgewinner sozusagen. Man hat das Osmanische Reich
zurechtgestutzt oder unter Kontrolle gestellt und man hat Teile
davon, um die es im folgenden gehen wird, zu einem britischen und
französischen Mandatsgebiet gemacht.
In diesem Zusammenhang wies
Prof. Schulz auf das Waffenembargo gegen Syrien hin, gegen dessen
Verlängerung diese beiden Regierungen sind. Scheinbar in Ansehung
ihrer historischen Rolle als Kolonialmächte.nach dem geheimen
Sykes-Picot-Abkommen von 1916 (das Prof. Schulz nach seinem Inhalt
erklärte) und der Teilung der arabischen Welt gemäß dem Vertrag
von Sévres von 1920. Dabei sei Wert darauf gelegt worden, dass
ethnische oder religiöse Grenzen beachtet wurden. Also darauf
geachtet wurde, dass Kurden dort wohnten, wo Kurden waren, Sunniten
wo Sunniten waren, Schiiten wo Schiiten waren. Um Konfliktpotenziale
so gering wie möglich zu halten. Im weiteren Verlauf – und dem
ökonomischen Fortschritt des Marktes – sind viele dieser
Widersprüche und Kleinstaatereien überwunden worden. Also das
Assad-Regime, das Gaddafi-Regime, und Saddam-Hussein-Regime haben
viel dazu beigetragen, diese Unterschiede in Religion und ethnischer
und Stammeszugehörigkeiten zu beseitigen. Ähnlich war es in
Jugoslawien, dass also Sunniten mit Schiiten verheiratet waren,
Kurden mit Arabern, Araber mit Christen, es gab also schon jede Form
von Vermischungen.
Und einige meiner Kollegen, so führte Prof.
Schulz aus, in Damaskus – der dortigen Universität - wohnen
ebenso seit etwa 30 Jahren zusammen in einem Häuserblock, vollkommen
gemischt, Christen , Sunniten, Muslime, Schiiten, Alawiten, alle
gemeinsam. Und das ging etwa vierzig Jahre gut, und jetzt fangen sie
alle an, sich gegenseitig umzubringen. Also ähnlich wie damals in
Jugoslawien oder der Rest-Sowjetunion. Diese Auswüchse sind da und
nur schwer zu beherrschen.
Der
Professor richtete nun seinen Blick auf den Irak, den er kürzlich
besuchte, der einen Flickenteppich gleicht aus verschiedenen
ethnischen Gruppen, wobei gerade auch dort neuer Krieg droht – oder
eine Fortsetzung des alten Krieges – zwischen Sunniten/Schiiten und
Kurden. Wobei offen ist, ob sich die arabischen Sunniten auf die
Seite der Kurden schlagen werden. Oder ob Araber gemeinsam gegen
Kurden vorgehen werden. Kurdistan ist ein Ölemirat geworden, hat
also Ölreserven wie die Emirate, also wie Abu Dhabi, pro Kopf
gerechnet (je Einwohner), sie sind also auf dem Wege, ökonomisch
sehr stark zu expandieren und prosperieren, haben aber mehr Probleme,
denn sie sind als Emirat eingefangen und suchen einen Weg im Norden
durch Syrien zum Mittelmeer. Der Vater Assads hat an der
Syrisch-Kurdischen Grenze – weil beiderseits Kurden wohnen – vor
40 Jahren den sogenannten Arabischen Gürtel eingeführt, indem er
arabische Beduinen ansiedelte, die die Grenze schützen sollten. Also
wie eine Art Kosaken. Damit der kurdische Schmuggel zwischen Türkei,
Kurden und syrischen Kurden nicht florieren kann. Weil
hunderttausende Kurden Staatsbürger beider Staaten waren. Ohne Pass
allerdings. Eine Situation, die historisch gewachsen war. Was
natürlich ein staatliches Gebilde zerstört, wenn man Grenzen hat,
Zölle erhebt und einen Markt haben will. Und man schon deshalb
Grenzen haben und schützen muss. Deshalb hat damals Assads Vater
diese Araber angesiedelt an der Grenze zur sunnitischen Türkei, was
auch von den Türken unterstützt wurde. Weil ja die Türken Probleme
haben mit ihrer kurdischen Bevölkerung. Derzeit ist es allerdings
so, dass sich diese Araber quasi zwischen Hammer und Amboß befinden
und im Kurdengebiet eingeklemmt sind: rechts sind Kurden, links sind
Kurden und die Araber dazwischen. Man bemüht sich also nun, die
Araber zu vertreiben und wieder zu einem einheitlichen Kurdengebiet
zu kommen,
eine recht komplizierte Situation, wie Prof. Schulz dazu
bemerkte. Eine der Karten zeigt also, wie die Kurden das Gebiet gern
hätten. Und um diese Grenzen wird gekämpft. Dabei sind die Städte
Dohuk(?) und Mosul Brennpunkte, schon weil dort der welt- größte
Ölreserven liegen. Die kurdische und irakisch-schiitische Armee
stehen sich also dort gegenüber, um diesem Kampf um die Ölquellen
auszutragen. Der Vortragende schilderte in diesem Zusammenhang etwas
detaillierter die ausländischen Interessen an den Ölquellen des
Landes und deren Verhältnis zu Kurdistan und dem Irak. Eine
insgesamt brisante Situation, wie sie sich leicht nachvollziehbar
darstellt.
Prof.
Schulz ging nun auf die Lage in Syrien ein. „Wenn wir von Syrien
sprechen, meinen wir im Grunde das Land, das heute Syrien ist. So
jedenfalls wird es suggeriert“ führte er dazu aus, um
festzustellen, dass dieses Land Syrien etwas anderes ist. Nämlich
das koloniale Syrien, was die Kolonialmächte Briten und Franzosen
getrennt haben. Davor gab es die sogenannte Levante, das heißt, ein
Groß-Syrien. Und kolonial abgetrennt wurde dann der Libanon,
Jordanien und ein Teil des
Irak. Ursprünglich aber war das vor dem
1.Weltkrieg ein einheitliches Gebiet. Und es scheint, als würde sich
dieses Gebiet, mit den verschiedenen Gruppierungen darin, wieder
„zusammen schütteln“ auf die Situation vor dem 1. Weltkrieg. Und
wenn Assad sagt, Libanon ist seine Einflusssphäre, das gehöre zu
Syrien, hat er, historisch gesehen, nicht unrecht. Der Libanon war
immer ein Teil von Groß-Syrien. Syrien ist also weitgehend geteilt,
in einen sunnitischen Teil an der Küste, den Küstenstaat der
Alaviten. Im Grunde gibt es in der arabischen Welt die Sunniten und
die Schiiten: 10 Prozent der religiösen Bevölkerung der Region etwa
ist schiitisch, 90 Prozent und noch mehr sind sunnitisch. Die
Alaviten in Syrien sind Schiiten. Das ist eine konfessionelle
Untergruppe der Schiiten, die aber eine sehr aufgeklärte
Islamvorstellung haben. Sie haben also bisher eine Islamvorstellung ,
wie wir sie gern in Westeuropa hätten. Sie gehen in die Moschee, sie
bekennen sich zu einem einzigen Gott, aber sie nehmen alles nicht so
absolut. Das ist der alavitische Teil der Muslime in Syrien. Es gibt
dann dort auch noch Schiiten, die sind auch noch
offener (nach
westlicher Tradition) eingestellt. Das hängt noch mit der
Vergangenheit zusammen, begonnen mit den Kreuzzügen und den
gewachsenen Handelsbeziehungen und ist auch eine der ältesten
Kulturen der Welt. Die zu einer offeneren Geisteshaltung führte.
Während die Kurden im Norden sehr viel strenggläubiger sind. Und
dann gibt es auch noch die Christen, zwei- bis drei Millionen
Christen, so genau weiß man es nicht. Die jetzt zunehmend zerrieben
werden. Die Christen nämlich haben sich von Beginn an relativ
deutlich zu Assad bekannt. Weil sie wissen, dass sie, wenn das Regime
fällt, von den radikalen Sunniten massakriert werden. Die radikalen
Sunniten schreiben auch im Internet, die Christen und die Kurden
sollen lieber gleich gehen, bevor es zu spät ist.
So
also ist die Argumentationslinie dieser radikalen sunnitischen
Gruppen. Die eingestellte Karte zeigt also Syrien, zu dem einstens
der Irak und Jordanien gehörte, und ein Groß-Syrien bildete. Prof.
Schulz erinnerte hier an den „Überfall“ des Irak auf Kuweit, mit
dem – historische gesehen – Kuweit als Provinz eigentlich nur zum
Irak zurückgeholt wurde. Der einstens nur von den Briten abgeteilt
worden war. Es ist aber stets nur so dargestellt worden, dass der
böse Saddam die guten Anderen überfiel. Als bemerkenswert
schilderte der Fachmann, dass die Entwicklung mit sich brachte, dass
der Irak als eigentlich ölreiches Land heute Öl importieren muss,
weil die Ölpipelines nicht zu sichern sind. „Wenn die Bevölkerung
nicht hinter den Interessen der ölfördernden Staaten (Firmen)
steht, kann keine Pipeline gesichert werden, selbst wenn alle paar
Meter ein Soldat steht. Und Tatsache ist, dass alle Ausschreibungen
im Kuweit nach dem dortigen Krieg von Projekten der Ölförderung an
die USA gingen. Was wiederum die Briten maßlos erboste. Während im
Irak hunderte Milliarden von Dollars oder irakischen Dinars einfach
durch (private) Gaunereien verschwanden
Der
Professor kam nun zu den Emiraten und erklärte zunächst die
geographische Situation auf den gebeamten Karten, auf denen es
schon Unterschiede zur Sichtweise der Emiratis und der Saudis gibt.
Nachdem sich die Saudis mit Gewalt einen Zugang zum Golf von Oman
verschafften. Um durch eine durch dieses Gebiet gebaute Pipeline
nicht mehr unbedingt für ihre Öllieferungen auf die Straße von
Hormus angewiesen zu sein. Die hoheitsrechtlich iranisches
Staatsgebiet ist. Und nachdem seit 1971 ein
verschärfter Konflikt zwischen dem Iran und den Vereinigten
Arabischen Emiraten um Abu Musa und die Tunb-Inseln besteht, droht
der Iran mit der Sperrung der Straße von Hormus. Nun hat allerdings
die Pipline durch Oman nicht genügend Kapazität und so sucht Saudi
Arabien nach weiteren Möglichkeiten, um durch den Jemen oder Syrien
(zum Mittelmeer) weitere Pipelines bauen zu können. Insofern ist
Saudi Arabien natürlich am Verlauf des Bürgerkrieges in Syrien
interessiert und unterstützt zusammen mit Katar die Opposition,
allerdings nur die sunnitische, als ihre ethnischen Brüder. Dazu
wies Prof.Schulz darauf hin, dass vor dem 1.
Weltkrieg die
sunnitischen Beduinenstämme Syriens, Jordaniens, Iraks und auch
Teilen von Saudi Arabiens (des heutigen Saudi Arabien) eine Gruppe
(Gemeinschaft) war, die ethnisch alle verwandt sind. Und auch
untereinander verheiratet sind, allerdings durch die schon erwähnten
kolonialen Grenzen getrennt. Aber diese Grenzen nie wirklich
respektiert haben. Und auch versuchen, dieses alte Schema wieder
herzustellen. Und anhand der gebeamten Karten machte der
Nahost-Kenner deutlich, dass es schon deshalb Dutzende Gründe gibt,
Kriege vom Zaune zu brechen. Zumal die Grenzverläufe an zahlreichen
Stellen durchaus ungeklärt sind. Und Saudi Arabien will nun das, was
es in den letzten 70 Jahren „erworben“ hat, konsolidieren. Saudi
Arabien ist ja in den zwanziger Jahren entstanden, ähnlich wie in
Afghanistan gab es dort so etwas wie die Taliban, die im Laufe der
Zeit die Nachbarstaaten überfielen und dieses Königreich Schritt
für Schritt bildeten. Prof. Schulz erzählte in diesem Zusammenhang
als Beispiel ein ihm bekanntes dortiges Einzelschicksal gemordeter
Angehöriger eines Bekannten, der heute noch auf die Gelegenheit
wartet, diese Morde zu rächen. Und solche Beispiele gäbe es viele.
Erneut zog er dabei einen Vergleich zu Jugoslawien und dem dortigen
Hass zwischen den ethnischen Gruppen. Es gibt also Probleme nicht nur
zwischen den Emiraten und Saudi Arabien, es gibt auch Probleme
zwischen Oman und den Emiraten, es gibt die omanischen Enklaven und
Exclaven in den Emiraten – Dubai, Abu Dhabi u.s.w. - wo man sich
streitet und eben auch dabei genügend Konfliktstoff vorhanden ist.
Professor
Schulz ging dann auch auf den Demokratiebegriff im Zusammenhang mit
dem Nahen Osten ein: diese Gesellschaften, Syrien vor allen Dingen,
Afghanistan, Saudi Arabien, Irak – Ägypten ist etwas anders aber
doch ähnlich – Lybien, auch Tunesien mit einigen Unterschieden,
sind im Prinzip ethnisch und religiös gespalten (auch wie in
Afghanistan). Wenn man dort Wahlen durchführt, wählt niemand
außerhalb seiner Gruppe: kein Sunnit wählt einen Schiiten, kein
Schiit wählt einen Sunniten. Kein Kurde einen Araber, kein Araber
einen Kurden. Kein Christ einen Muslim, kein Muslim einen
Christen.usw. Und wenn das so ist, in Afghanistan, in Lybien,
Saudi-Arabien und im Jemen und jedenfalls auch in Syrien und Irak,
warum macht man dann Wahlen? Man braucht doch nur die
Bevölkerungsgruppen zählen, um zu wissen, wie die Wahlen ausgehen.
Wahlen, jedenfalls das, was die Europäer oder die Amerikaner machen,
Wahlen exportieren nach unserem Muster, heißt ja nicht, dass die
Wahlen falsch sind, sondern die Art der Durchführung ist falsch.Und
führt dazu, dass die Konflikte nicht gelöst, sondern verschlimmert
werden. Weil bei den Wahlen,
dieses gegenwärtige natürliche
Gleichgewicht des Schreckens (was derzeit besteht) zerstört wird:
bestimmte Gruppen haben keinen Zugang zur Wahl, sind also im
Parlament nicht vertreten. Und damit von vornherein Opposition zur
bestehenden Machtverteilung. Bestimmte andere Gruppen werden nicht
entsprechend ihrer Wichtigkeit im Parlament sitzen, sie haben im
Jemen bestimmte Gruppen (Zaiditen zum Beispiel), das sind Nachkommen
des Propheten, die wohl nicht einmal hunderttausend zählen und bei
Wahlen nicht einmal die 1-Pozent-Hürde schaffen. Aber die müssen –
historisch gesehen - im Parlament sein. Bestimmte Gruppen müssen
einfach da sein. Monarchien arbeiten auch mit Minderheiten sehr gut
zusammen, um sie gegen Mehrheiten nutzen zu können. Und stellen
dadurch einen Ausgleich her. Wahlen also würden dazu führen, dass
dieses historisch gewachsene Gleichgewicht zerstört wird. Sowohl in
Afghanistan als auch in Groß-Saudi-Arabien, um Beispiele zu nennen..
Die Sozialstruktur, die kulturellen Entwicklungsstufen, die erreicht
worden sind, sind vielleicht so wie in Deutschland vor dreihundert
oder fünfhundert Jahren. Auch wenn sie dort Cadillac oder Landrover
fahren. Aber wenn man in die Familien schaut, in die Strukturen, ist
das so wie bei uns vor zweihundert Jahren, im Durchschnitt. Geht man
also zurück, zweihundert Jahre in Deutschland: gab's da
Universitäten für Frauen? Gab' promovierte Wissenschaftlerinnen?
Gab's so etwas wie Menschenrechts-Diskussionen? Gab's politische
Parteien? Nun ja, in gewisser Weise begann sich das alles zu
entwickeln, aber bei weitem
nicht in der Weise wie heute. All das hat
es zunächst nicht gegeben. Aber all das sollen diese Länder heute
haben. Das aber ist ahistorisch. Es gab damals auch keine Wahlen.
Man oktroiert da etwas, was zu den historischen Bedingungen noch
nicht passt. Es gibt Länder
wie etwa Bahrain, die sagen, wir machen Wahlen, aber wir wählen nur
10 Prozent. Und 90 Prozent der Mitglieder des Parlaments, Thronrat,
Schurarat, Beratungsgremien des Emirs (des Scheichs) werden dagegen
ernannt. Bei der nächsten Wahl, fünf Jahre später, vielleicht 15
Prozent. Also schrittweise versucht man das System umzustellen. Das
aber ist ein Prozess, der vielleicht hundert Jahre oder länger
dauert. Man kann einfach nicht solche Strukturen, wie sie bei uns
historisch gewachsen sind, so 1:1 nach dort transportieren. Das
Ergebnis sieht man in Afghanistan: de Maisiére hat unlängst gesagt,
wir werden das afghanische Volk nicht im Stich lassen. Das klingt
zwar großartig. Wer aber ist das afghanische Volk? Das sind die
Paschtunen: 60 – 70 Prozent der Afghanen sind Paschtunen. Das sind
auch die, die zu 99 Prozent die Taliban sind. Und die lassen wir
nicht im Stich? Das ist doch Unsinn. Die neue Armee, die in
Afghanistan aufgebaut wird, besteht etwa aus 4 Prozent Paschtunen.
Der Bevölkerungsanteil 60 – 70 Prozent. Da ist von vornherein
klar, dass eine solche Armee, auch wenn in sie massiv Steuergelder
hineingepumpt werden, nie funktionieren kann. Ist auch nicht
beabsichtigt. Bei der Ausbildung von Polizisten, sowohl in
Afghanistan, aber auch im Irak, für die es ja Programme gibt, ist es
das gleiche: wenn sich die NATO zurückzieht, dann bleiben die
nicht
bei der Zentralarmee, sondern sie gehen zurück zu ihren Stamm, zu
ihrer Gruppe, zu ihrer religiösen Gemeinschaft, weil nur dort Schutz
gegeben ist. Alles andere macht für die Menschen vor Ort keinen
Sinn. Wir bilden also sozusagen – wenn man so will – die
Privatarmeen der künftigen Kriegsparteien aus. So traurig das auch
ist, aber leider ist es so. Und deswegen ist das alles eine sehr
problematische Situation, die dort gegeben ist. Wir hoffen nicht,
aber wir rechnen, dass Saudi-Arabien in den nächsten Jahren eine
Entwicklung wie der Balkan nehmen könnte. Die Konflikte sind da, es
reicht nur der politische Wille noch nicht, der ist noch nicht
entwickelt. Wenn der entwickelt wird, ist auch das sehr schnell
möglich. Syrien wird also, wie es aussieht auf eine ethnische
Teilung hinauslaufen, was noch die beste Variante wäre, die man sich
vorstellen kann: dass sich jede Gemeinschaft auf ihr Gebiet
zurückzieht und die Kriegshandlungen eingestellt werden. Das ist
eine der Optionen die man hätte in Syrien. Also dass man zurückgeht
auf diese ethnischen Territorien wie vor dem 1. Weltkrieg,. Sich also
jeder mehr oder weniger eingräbt, wodurch kleinere Einheiten
entstünden, die auch besser zu kontrollieren sind. Und die dann
wieder in einem langen Prozess über Jahrzehnte vielleicht über
einen Markt, wie sich das ja jetzt bei Ex-Jugoslawien andeutet, in
einer Art Rückbesinnung auf gemeinsame Straßen, gemeinsame
Handelswege münden kann, weil diese kleinen Einheiten halt doch
ökonomisch schwer lebensfähig sind. So jedenfalls könnte es sich
in Syrien entwickeln. Wir rechnen auch damit, dass Jordanien, was ja
auch ein Kunstgebilde und kein gewachsener Staat ist, eine Gründung
also der Kolonialmächte, sich in der Gefahr befindet, aufgelöst zu
werden. Und sich anders zu strukturieren sceint, mit den Stämmen des
Irak zusammen und Teilen von Saudi-Arabien. Die Christen haben in
Syrien einen schweren Stand, im Irak sind sie fast alle vertrieben,
wenn sie nicht nach Kurdistan flüchten konnten wo sie geschützt
sind. In Syrien droht ihnen das gleiche Schicksal. Die Masse der
Syrer, die bei uns in Deutschland aufgenommen worden sind, sind
christlichen Glaubens, man hat also versucht, diese Wege zu öffnen.
Lybien bewegt sich in Richtung einer Stammesgesellschaft, die sie ja
auch gewesen ist. Sie war in Auflösung und jetzt ist es so dass man
Ost- und Westlybien hat, also die Cyrenaika und Tripolitanien. Das
war schon bei den Römern so, und auch bei den Kartagern. Und dieser
alte Zustand hat sich jetzt wieder eingestellt. Bekannte des Prof
Schulz berichten, dass das gesamte staatliche System Lybiens
zusammengebrochen ist, Armee und Polizei wechseln wieder zurück zu
einen Stammessystem, Stammesgerichtsbarkeit usw. Und das Staatliche
ist nur noch die äußere Hülle. Also ehr kompliziert. Tunesien ist
noch auf dem besten Wege dieser Länder, weil dort die
Zivilgesellschaft sehr stark ist, dank der starken französischen
Einflussnahme über Jahrzehnte. Es gibt dort auch sehr starke
Gewerkschaften, die auch auf die Straße gehen und dabei auch
Islamisten und Salafisten entgegen treten. Aber auch dort wird es
problematisch. Zwar kämpfen die Kollegen (des Professors)an den Unis
und sind auch erfolgreich in vielen Bereichen, ihre Rechte
einzuklagen. Aber auch dort macht sich eine Radikalisierung
bemerkbar, man bewaffnet sich, denn eine Alkaida gibt’s
mittlerweile auch in Tunesien. Die lybischen Waffen, die herrenlos in
ganz Afrika inzwischen vagabundieren, sind also jetzt auch im Süden
Tunesiens angekommen. Und von dort beginnt eine Art militärische
Rückeroberung eben auch zu einer Stammesgesellschaft, die man schon
überwunden glaubte. Jetzt kommen diese tribalen Abhängigkeiten
zurück, vor allem in Fragen der Krise. Wenn das Land, wenn die
Familie bedroht wird, wenn die staatliche Schutzmacht nicht mehr
funktioniert, ist die Großfamilie, ist das Dorf, wo man herkam, der
einzige Schutz. Und die alten Verhältnisse stellen sich schnell
wieder automatisch ein. Ganz problematisch also letztlich auch
dort.(Es folgt noch ein weiterer Teil.)
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