Wiederholt hatte mich Lothar Rechtacek
nach Holbach eingeladen, um ihn in seinem Wirkungsbereich als
Künstler, aber auch als Hundezüchter zu besuchen. Letzteres vor
allem, seitdem ich ihn erzählte, dass meine jüngste Tochter zwar
eine völlig andere Rasse – nämlich Neufundländer – züchtet,
die sich aber wohl in ihrer
Statur und Stärke gegenüber den Doggen
des Lothar Rechtacek nicht viel nachgeben. Ich schob die Einladung
immer wieder hinaus, und nun bleibt mir nur, seine Werke in der
Gedenkausstellung zu seinem 70. Geburtstag in der Galerie der
Kreissparkasse Nordhausen zu betrachten. Und heute die „Werkschau –
Lothar Rechtacek und Familie“ zu besuchen, um in dieser Form seiner
zu gedenken. Ich habe ihn außerordentlich geschätzt.
Am Dienstag besuchte ich bereits die
Vernissage der Ausstellung in der Galerie der Kreissparkasse und war
– ich gebe es zu – überrascht von der großen Zahl an
Aktbildern. Nun
halte ich mich ja nicht für prüde, aber diese
bemerkenswerte Freizügigkeit oder auch „verführerische“
Stellungen einzelner seiner weiblichen Modelle machten mich erst
einmal betroffen. Als ich die dann aber überwunden hatte, fiel es
mir nicht schwer, sie als Teil der Ausstellung zu sehen und sie –
wie auch sonst alle Bilder und Skulpturen - nach den verwendeten
Materialien und Farben, Techniken und natürlich ihrer
künstlerischen Inspiration und Ausdruckskraft zu betrachten. Das
aber mehr bei einem anschließenden neuerlichen Besuch der Galerie,
während dem ich das künstlerische Werk Lothar Rechtaceks auf mich
wirken lassen konnte. Während ja die Vernissage mehr ein
gesellschaftliches Ereignis darstellt, in der den Gästen Leben und
Wirken dieses doch höchst bemerkenswerten Künstlers noch einmal
nahe gebracht wurde.
Und das tat zunächst nach dem
musikalischen Ouvre durch das Trio Contrabass Wolfgang Asche,
Vorstandsvorsitzender der Kreissparkasse Nordhausen, der es immer
wieder gekonnt, also sachkundig, versteht, den jeweils ausstellenden
Künstler und dessen Werke vorzustellen. Er dankte sogleich nach der
Begrüßung der Gäste, unter denen sich auch OB Dr. Klaus Zeh mit
seiner Frau und die Beigeordnete Hannelore Haase befanden, Lothar
Rechtaceks Witwe Elke, Sohn Wulf und einer Familie Fischer für ihr
Engagement zur Gestaltung der Ausstellung. Und dem Künstler Jürgen
Rennebach für deren Planung und seine zu erwartende Laudatio.
Gleichzeitig stellte er das Trio Contrabass mit Martina
Zimmermann,
Stefan Blum und Stephan Messmer vor, denen auch die weitere
musikalische Gestaltung des Geschehens oblag. Und irgendwie passten
die Musikstücke, die sie ausgewählt hatten – darunter sogar ein
Walzer – recht gut zur Persönlichkeit Rechtaceks. Mit der
Ausstellung, so betonte Asche, wird ein Überblick durch alle
Schaffensperioden Rechtaceks gezeigt, alle Techniken denen sich der
Künstler bediente und seine Plastiken, die hohes handwerkliches
Können offenbaren. Seine Lieblingsmotive waren der weibliche Körper,
hob Asche hervor, und auch die Tierdarstellung. Wobei die
gegenständliche Darstellung Natürlichkeit und Ästhetik noch am
besten zur Geltung kommen lässt. Seine Kunst, so Asche, ist direkt
und ehrlich. Landschaften gehörten dagegen kaum zu seinen Motiven
und kommen auch in der Ausstellung kaum vor. Asche erwähnte aber
auch die Mystik in der Kunst Rechtaceks, deren Beschreibung er
allerdings Jürgen Rennebach überließ, der nach ihm und einem
musikalischen Zwischenspiel die Laudatio hielt.
Und der Leiter der Jugendkunstschule,
in der ja Lothar Rechtacek auch über Jahre wirkte, schilderte
zunächst den Lebenslauf seines im Januar verstorbenen
Künstlerkollegen. Danach wurde Rechtacek 1943 in Teplitz-Schönau,
dem heutigen Teplice, in Tschechien geboren. 1945 mussten seine
Eltern mit ihm und seiner älteren Schwester Tschechien für immer
verlassen. Als Folge des Faschismus und nach dem Ende des II.
Weltkrieges wurde die deutschböhmische Bevölkerungsmehrheit
bekanntlich entschädigungslos enteignet und aus der angestammten
Heimat ausgewiesen. Mit Koffern, Säcken und einem Handwagen
verschlägt es die Familie nach Niedersachswerfen bei Nordhausen,
führte Rennebach in seiner Laudatio aus und schloss mit dem
Bemerken: „Hier findet Lothar viele Freunde, geht zur Schule und
hinterlässt unauslöschliche Eindrücke bei der Dorfjugend.“
Diese letzte Darstellungspassage aber
kann so kommentarlos nicht einfach stehen bleiben. Denn es mag zwar
sein, dass der junge Lothar mit der Zeit in seiner neuen Heimat
Freunde fand, aber so ganz einfach war die Aufnahme und Integration
der Vertriebenen und damit der Familie Rechtacek in Niedersachwerfen
nicht, weiß zum Beispiel Erika Hesse aus Niedersachswerfen zu
berichten. Selbst Vertriebene und Schulkameradin Lothar Rechtaceks.
hat sie sich stets um ihre SchicksalsgenossInnen verdient gemacht.
Obwohl es ja jungen Menschen damals leichter gefallen sein mag, in
der ihnen zugewiesenen neuen Heimat Fuß zu fassen. Sie war es ja
wohl auch, die sich engagiert für das von dem Künstler Rechtacek
gestaltete Denkmal der Mutter mit ihren Kindern einsetzte, das an
die Vertreibung erinnert und vor einigen Jahren in Niedersachswerfen
eingeweiht werden konnte. Und auch das scheint mir der Erwähnung
wert.
Rennebach also ließ zunächst das
Leben Rechtaceks mit dessen Ausbildung und Wirken vor allem in Berlin
Revue passieren, schilderte den Künstler als geradlinig, offen, aber
auch kritisch in seinen Kreisen. Zu den „Modernen“ gehörte
Lothar Rechtacek nie, ließ Rennebach wissen. „Sein Ziel war es
niemals, mit einem derartigen Namen gekennzeichnet zu werden. Er
konnte nicht, um modern zu sein, seine Überzeugung ändern – nur
um eine Bezeichnung zu verdienen, von der man nicht wusste, ob sie
erstrebenswert sei,“ führte Rennebach dazu aus.
Interessant mag hier – neben seinem
künstlerischen Schaffen – noch einmal auch sein Ruf als Züchter
von Doggen erwähnt sein, zu dem er unversehens kam, nachdem ein
schwarzer Doggenrüde, der getötet werden sollte einstens bei Elke
und Lothar Rechtacek in Holbach Zuflucht fand. Und dadurch bei ihnen
die Lust an der Hundezucht erwachte. Interessant auch deshalb, weil
sich unter den Gästen der Vernissage mit Wolfgang Gierk auch ein
Rechtsanwalt aus dem Altenburger Land (Starkenberg) befand, der die
Rechtaceks wegen ihrer Doggen kannte und extra zu dieser Ausstellung
angereist war, um dem Züchter posthum damit Reverenz zu erweisen.
„Rechtacek ist eine Kraftnatur, ein
Draufgänger“, führte Rennebach weiter aus. „Selten sieht man
ihn vorzeichnen. Auf der Leinwand beginnt er sofort mit frischen
kräftigen Pinselhieben einen Akt hinzuhauen. Er malt unmittelbar mit
nasser Farbe auf die Leinwand. Und die Farbe verleugnet nie den
Koloristen. Kommen andere Maler feiner daher, so ist Rechtacek
unmittelbar und direkt. . . Viele seiner Modelle, die weiblichen,
tragen in den Sitzungen Rot im Gesicht. Egal, ob für ein Bild oder
eine Plastik. Schlachtreifer Speck! Sie wiegen sich vor seinen
lüsternen Augen. „Dem Maler-Metzger!“ Immer feiert er den
weiblichen Körper, mal als Hure, mal als Göttin, mal als Kindfrau,
mal als Vollweib. Ausnahmslos als Femme fatale. Die Frau, das Weib,
ist ihm zeitlebens stärkste Inspiration und Schaffensquelle. Eine
nackte Schulter, eine ausladende Hüfte oder ein runder Hintern
fordern seine Einbildungskraft ganz „automatisch“ heraus“, so
Rennebach. „Fleischliche Wirklichkeit setzt Rechtacek in
Sinnlichkeit der Farben um. Laszive Eindrücke stehen im Ergebnis. Er
arbeitet wahnsinnig schnell, mit Modell oder auch ohne. Mit seinen
breiten, kräftigen Händen modelliert er äußerst geschickt in
Wachs und Gips. Pinsel und Stift setzt er traumwandlerisch sicher auf
Leinwand und Papier. Es war eine Freude, ihm dabei zuzuschauen.
Die direkte Anschauung der Frauenkörper
gönnt er sich bei der Arbeit, zwingend braucht er sie jedoch nicht,
so sehr ist er mit der menschlichen Anatomie und ebenso der
tierischen vertraut.
Im Gegensatz zu Portraits und Akten
entstehen Stilleben- und Landschaftsbilder nur selten. „Ich bin
kein Landschafter“, zitiert ihn Rennebach.
Mythologische Themen treten als weitere
grundlegende Bildinhalte zu Liebe und Sexualität hinzu. Rechtacek
ist Kenner der antiken griechischen Mythen mit ihren Heroen, genauso
wie der römischen Götter. Doch die germanische Schöpfungsmythologie
hat es ihm am meisten angetan. Da geistern Nornen und geheimnisvolle
Runenzeichen auf den Leinwänden umher. Ein Gemälde zeigt den
behelmten, mit einer Lanze bewehrten Wotan und seinen ständigen
Begleitern, den Rabenbrüdern Hugin und Munin auf seinen Schultern.
Fast möchte man meinen, es ist der Künstler selbst, nur Wotans Bart
ist länger.
In seinen plastischen Bildwerken
versucht er konsequent, durch Verkürzungen und Überschneidungen
Räumlichkeit und Bewegung darzustellen. Er hat eine Vorliebe für
Detailtreue und Überschaubarkeit. Ein kontinuierlicher Fluss der
Umrisse und deutliche Zusammenhänge der Körperformen lassen eine
klare Ordnung entstehen. Arbeiten am Stein ist für ihn das Schwingen
zwischen Hinwendung und Distanz. Bauch und Kopf entscheiden darüber,
welche Form zur anderen gehört. Konkav zu konvex. Auch der Stein
verrät es ihm, selbst wenn der sich nicht nach Belieben formen und
verändern lässt. Er will aus ihm befreien, was in ihm steckt! Dabei
verzichtet Rechtacek auf Maschinen. Er muss den Hieb wiedererkennen
im wechselnden Licht, wo er den Stahl angesetzt hat.
Das ist was anderes mit Ton, Gips und
gegossenen Kunststein. Die dulden einen Schöpfer über sich. . .
Viele neue Werke schwebten Rechtacek
noch vor, selbst vom Krankenbett aus machte er große Pläne. Im Kopf
waren die Ideen bereits fest umrissen. Aufgestapelter Ehrgeiz. Bis
zum Ende war er da euphorisch. Gut so!
Wie stellt man einen Mann als Hahn mit
gezwirbelten Bart dar?
Nun werden wir nicht mehr erfahren, wie
die Portraitbüsten seiner Künstlerkollegen Form und Aussage in
Einklang gebracht hätten.
Rechtacek ist früh gegangen. Er hat
sein Leben gelebt, wie er es selbst sagte. Es war ein erfülltes,
reiches Leben. Mit ihm ist eine Persönlichkeit und Respektsperson
verbunden. Er war eine Autorität, er war ein Mann, von dem sich
viele Menschen gern an die Hand nehmen ließen. Er war wichtig und
prägend, nicht zuletzt für ungezählte dankbare Schüler der
Jugendkunstschule Nordhausen. Als Gründungsmitglied dieser
Kultureinrichtung und langjähriger Dozent übertrug er ungezählten
jungen und auch älteren Menschen seine Begeisterung am Kunstmachen.
So erhielten viele Mädchen und Jungen
zudem das Rüstzeug für eine erfolgreiche Ausbildung oder ein
künstlerisches Studium. Um es mit den Worten von Antoine de
Saint-Exupéry auszudrücken: Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann
trommle nicht Männer zusammen um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu
vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die
Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.
Der Mensch Lothar Rechtacek war allzeit
authentisch und hatte ein großes Herz. Er war immer ehrlich, zu sich
selbst und jedem anderen gegenüber. Ein ungewöhnlicher Mann. Lothar
imponierte mit seiner Vielseitigkeit, mit seiner Universalität. Er
war sehr breit angelegt!
Stellung hat er immer bezogen und
beziehen lassen. Mitunter war dies unbequem. Für ihn oder andere und
da sind nicht nur seine Künstlermodelle gemeint.
Soweit also die Laudatio Jürgen
Rennebachs. Das Trio Contrabass beendete den offiziellen Teil der
Vernissage, der mit einem Büffet seine aufgelockerte Fortsetzung
fand, die die Betrachtung der Werke des Künstlers und Gespräche
darüber leicht fallen ließen.
Und heute also die schon erwähnte
„Werkschau – Lothar Rechtacek und Familie“ um 19.00 Uhr im
Kunsthaus Meyenburg. Die dortige Laudatio wird die Leiterin des
Kunsthauses, Kunsthistorikerin Susanne Hinsching halten. Ich bin
gespannt.
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