Mit Verlaub und allen Respekt: derzeit wird wieder einmal eine Sau
durch's Dorf getrieben, die man schon kennt: die Chancengerechtigkeit
von Schulkindern. Derzeit aktuell durch die am Montag in Berlin
stattgefundene Vorstellung des zweiten Chancenspiegels der
Bertelsmann-Stiftung, der über die Leistungen und Schwächen der
Schulsysteme in den 16 Bundesländern Auskunft gibt. Und bis auf die
lokale Ebene durchgeschlagen ist. Sie wird einige Tage die Medien
beschäftigen und dann wieder abgelöst werden durch andere Themen,
die dann gerade wieder aktuell werden.
Was mich nach den natürlich interessanten Ergebnissen dieser
Studie beschäftigt ist die Feststellung, dass der Schulerfolg eines
Kindes nach wie vor ganz wesentlich von der sozialen Herkunft und der
Vorbildung der Eltern bestimmt sein soll. Wie es in der Studie
formuliert ist, und wie es lokal von der Presse kommentarlos
wiedergegeben wird, klingt das sehr kategorisch und endgültig. Und
ich frage mich auch angesichts der Formulierungen in dieser Studie,
wie denn jene, die diesen sozial schwachen Schichten zugehören, die
mit dieser Herkunft gemeint sind, verstehen sollen, was da
festgestellt wird? Und dass sie gemeint sind? Und dass in ihrer
Auffassung von Kindererziehung und -betreuung etwas nicht stimmt? Und
ich denke, wenn diese Kinder bessere Chancen bekommen sollen, muss
man zunächst deren Eltern die Einsicht vermitteln, dass sie
(möglicherweise) etwas falsch machen, oder überfordert sind?
Dabei ergibt sich für mich die Überlegung, dass doch etwa zur
Erlangung eines Führerscheines für ein Kraftfahrzeug eine gewisse
Intelligenz nötig ist. Und man eigentlich noch nie gehört hat, dass
dabei die soziale Herkunft und Vorbildung eine wesentliche Rolle
spielt (abgesehen von Einzelindividuen ohne gesellschaftliche
Zugehörigkeit).Und ähnlich dürfte es sich bei der Erlangung eines
Führerscheines für Hunde verhalten, der neuerdings in Niedersachsen
für die Haltung eines Vierbeiners Pflicht geworden ist. Wenn es also
dazu reicht, müsste es doch auch bei einiger Einsicht (und
Unterweisung) für die Erziehung eines Kindes reichen? Soweit müsste
dann also eigentlich auch die Intelligenz bei jenen reichen, die man
zu den sozial schwachen Schichten rechnet. Um allerdings zu
verstehen, was unter Inklusion, Integrationskraft, Durchlässigkeit,
Kompetenzförderung und Zertifikatsvergabe zu verstehen ist, bedarf
es dann doch um einiges mehr. Und wenn diese Studie mit ihren zum
Teil recht spezifischen Begriffen gar nicht für die bestimmt ist,
deren Kinder davon betroffen sind, brauchte die Presse doch erst gar
nicht darüber berichten!?
Die Presse nimmt also diese Studie so hin und beschäftigt sich
mit den Ergebnissen. Und da ist auf einmal diese Kluft zwischen den
westlichen Bundesländern und Ostdeutschland wieder da. Hatte man sie
nicht schon überwunden geglaubt? Da sind zum Beispiel die
Schulabbrecher: vor allem – so heißt es – ist auffällig, dass
in Ostdeutschland ein größerer Anteil die Schule ohne Abschluss
verlässt als im Westen. Dies verweise auf einen
"Schereneffekt" mit verheerenden Langzeitfolgen für die
betroffenen Länder, schreiben die Forscher. Während der Anteil der
Schulabbrecher an der gleichaltrigen Wohnbevölkerung in
Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und im Saarland um die fünf
Prozent liegt - und damit nahe an dem Ziel von Bund und Ländern -,
rangiert der Wert in Brandenburg bei 8,6 Prozent, in Thüringen bei
7,9 Prozent sowie Berlin und in Sachsen bei ungefähr zehn Prozent.
Sachsen-Anhalt (12,1 Prozent) und Mecklenburg-Vorpommern (13,3
Prozent) bilden die unrühmliche Spitze der Tabelle. Damit ist
in der Hauptstadt sowie in den neuen Bundesländern das Risiko, ohne
Abschluss die Schule zu verlassen, bis zu doppelt so hoch wie in den
südlichen Bundesländern. Sollte das etwa noch mit dem
einstigen „Arbeiter- und Bauernstaat“ zusammenhängen, in dem die
Arbeiter der Faust doch stets den Intelligenzlern vorgezogen wurden? Oder gab es damals gerade deshalb das Problem der sozialen
Herkunft gar nicht? Als „Zugereister“ weiß ich es nicht und es
liegt inzwischen doch auch fast zwei Generationen zurück? Oder aber
sind die „Bürgerlichen“ inzwischen mehrheitlich in den Westen
gewechselt?
Man könnte darüber meditieren, nur lese ich gerade in der OTZ,
dass der Freistaat Thüringen bei der Gerechtigkeit in der Bildung
sogar bundesweit am besten abschneidet, wie sich aus diesem neuen
„Chancenspiegel“ ergeben soll. Im Ländervergleich belegt
Thüringen danach absolute Spitzenplätze bei der Durchlässigkeit
zwischen den Schularten und der Kompetenzförderung an den Schulen.
Dieses vorgeblich bundesweit beste Ergebnis wird aber doch etwas
relativiert durch den Direktor des Instituts für
Schulentwicklungsforschung an der Technischen Universität Dortmund,
Professor Wilfried Bos, der feststellt: „Kein Land allerdings ist
überall spitze oder überall Schlusslicht, zeigt die Studie. Die
Bundesländer haben jeweils Stärken und Schwächen, alle aber haben
Nachholbedarf.“ Und in der Studie liest man, dass die Macher
Stagnation etwa bei den Lesekompetenzen von Grundschülern sehen, die
sich auf nahezu demselben Niveau wie vor zehn Jahren bewegten- und
dies sei weiterhin stark abhängig von der sozialen Herkunft. Damals
wie heute liegen die Kinder aus niedrigen Sozialschichten bei der
Lesekompetenz durchschnittlich um ein Jahr zurück. Dabei berufen
sich die Autoren auf jüngste Leistungsstudien. Immerhin: Nach einer
Zusammenfassung durch das Thüringer Landesbildungsministerium
schlugen hier vor allem der hohe Anteil der Ganztagsschulen, das sehr
gute Abschneiden in den vergangenen Leistungsstudien, die geringe
Quote von Klassenwiederholungen und die gute Förderung schwächerer
Schüler für Thüringen positiv zu Buche. Wenn damit allerdings die
Förderschulen gemeint sind, von denen es ja gerade auch in Thüringen
zahlreiche gibt, bleibt nach der Studie festzustellen, dass im Jahr
2011 mehr als die Hälfte der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss
aus dieser Schulform kamen. Inwieweit das auf Thüringen zutrifft
soll hier erst einmal offen bleiben, ich will das aber doch zum
Anlass nehmen, bei den hiesigen Förderschulen nachzufragen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen