Dienstag, 25. Juni 2013

Zum Problem der „sozialen Herkunft“

Mit Verlaub und allen Respekt: derzeit wird wieder einmal eine Sau durch's Dorf getrieben, die man schon kennt: die Chancengerechtigkeit von Schulkindern. Derzeit aktuell durch die am Montag in Berlin stattgefundene Vorstellung des zweiten Chancenspiegels der Bertelsmann-Stiftung, der über die Leistungen und Schwächen der Schulsysteme in den 16 Bundesländern Auskunft gibt. Und bis auf die lokale Ebene durchgeschlagen ist. Sie wird einige Tage die Medien beschäftigen und dann wieder abgelöst werden durch andere Themen, die dann gerade wieder aktuell werden.
Was mich nach den natürlich interessanten Ergebnissen dieser Studie beschäftigt ist die Feststellung, dass der Schulerfolg eines Kindes nach wie vor ganz wesentlich von der sozialen Herkunft und der Vorbildung der Eltern bestimmt sein soll. Wie es in der Studie formuliert ist, und wie es lokal von der Presse kommentarlos wiedergegeben wird, klingt das sehr kategorisch und endgültig. Und ich frage mich auch angesichts der Formulierungen in dieser Studie, wie denn jene, die diesen sozial schwachen Schichten zugehören, die mit dieser Herkunft gemeint sind, verstehen sollen, was da festgestellt wird? Und dass sie gemeint sind? Und dass in ihrer Auffassung von Kindererziehung und -betreuung etwas nicht stimmt? Und ich denke, wenn diese Kinder bessere Chancen bekommen sollen, muss man zunächst deren Eltern die Einsicht vermitteln, dass sie (möglicherweise) etwas falsch machen, oder überfordert sind?
Dabei ergibt sich für mich die Überlegung, dass doch etwa zur Erlangung eines Führerscheines für ein Kraftfahrzeug eine gewisse Intelligenz nötig ist. Und man eigentlich noch nie gehört hat, dass dabei die soziale Herkunft und Vorbildung eine wesentliche Rolle spielt (abgesehen von Einzelindividuen ohne gesellschaftliche Zugehörigkeit).Und ähnlich dürfte es sich bei der Erlangung eines Führerscheines für Hunde verhalten, der neuerdings in Niedersachsen für die Haltung eines Vierbeiners Pflicht geworden ist. Wenn es also dazu reicht, müsste es doch auch bei einiger Einsicht (und Unterweisung) für die Erziehung eines Kindes reichen? Soweit müsste dann also eigentlich auch die Intelligenz bei jenen reichen, die man zu den sozial schwachen Schichten rechnet. Um allerdings zu verstehen, was unter Inklusion, Integrationskraft, Durch­lässigkeit, Kompetenzförderung und Zertifikatsvergabe zu verstehen ist, bedarf es dann doch um einiges mehr. Und wenn diese Studie mit ihren zum Teil recht spezifischen Begriffen gar nicht für die bestimmt ist, deren Kinder davon betroffen sind, brauchte die Presse doch erst gar nicht darüber berichten!?
Die Presse nimmt also diese Studie so hin und beschäftigt sich mit den Ergebnissen. Und da ist auf einmal diese Kluft zwischen den westlichen Bundesländern und Ostdeutschland wieder da. Hatte man sie nicht schon überwunden geglaubt? Da sind zum Beispiel die Schulabbrecher: vor allem – so heißt es – ist auffällig, dass in Ostdeutschland ein größerer Anteil die Schule ohne Abschluss verlässt als im Westen. Dies verweise auf einen  "Schereneffekt" mit verheerenden Langzeitfolgen für die betroffenen Länder, schreiben die Forscher. Während der Anteil der Schulabbrecher an der gleichaltrigen Wohnbevölkerung in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und im Saarland um die fünf Prozent liegt - und damit nahe an dem Ziel von Bund und Ländern -, rangiert der Wert in Brandenburg bei 8,6 Prozent, in Thüringen bei 7,9 Prozent sowie Berlin und in Sachsen bei ungefähr zehn Prozent. Sachsen-Anhalt (12,1 Prozent) und Mecklenburg-Vorpommern (13,3 Prozent) bilden die unrühmliche Spitze der Tabelle. Damit ist in der Hauptstadt sowie in den neuen Bundesländern das Risiko, ohne Abschluss die Schule zu verlassen, bis zu doppelt so hoch wie in den südlichen Bundesländern. Sollte das etwa noch mit dem einstigen „Arbeiter- und Bauernstaat“ zusammenhängen, in dem die Arbeiter der Faust doch stets den Intelligenzlern vorgezogen wurden? Oder gab es damals gerade deshalb das Problem der sozialen Herkunft gar nicht? Als „Zugereister“ weiß ich es nicht und es liegt inzwischen doch auch fast zwei Generationen zurück? Oder aber sind die „Bürgerlichen“ inzwischen mehrheitlich in den Westen gewechselt?

Man könnte darüber meditieren, nur lese ich gerade in der OTZ, dass der Freistaat Thüringen bei der Gerechtigkeit in der Bildung sogar bundesweit am besten abschneidet, wie sich aus diesem neuen „Chancenspiegel“ ergeben soll. Im Ländervergleich belegt Thüringen danach absolute Spitzenplätze bei der Durchlässigkeit zwischen den Schularten und der Kompetenzförderung an den Schulen. Dieses vorgeblich bundesweit beste Ergebnis wird aber doch etwas relativiert durch den Direktor des Instituts für Schulentwicklungsforschung an der Technischen Universität Dortmund, Professor Wilfried Bos, der feststellt: „Kein Land allerdings ist überall spitze oder überall Schlusslicht, zeigt die Studie. Die Bundesländer haben jeweils Stärken und Schwächen, alle aber haben Nachholbedarf.“ Und in der Studie liest man, dass die Macher Stagnation etwa bei den Lesekompetenzen von Grundschülern sehen, die sich auf nahezu demselben Niveau wie vor zehn Jahren bewegten- und dies sei weiterhin stark abhängig von der sozialen Herkunft. Damals wie heute liegen die Kinder aus niedrigen Sozialschichten bei der Lesekompetenz durchschnittlich um ein Jahr zurück. Dabei berufen sich die Autoren auf jüngste Leistungsstudien. Immerhin: Nach einer Zusammenfassung durch das Thüringer Landesbildungsministerium schlugen hier vor allem der hohe Anteil der Ganztagsschulen, das sehr gute Abschneiden in den vergangenen Leistungsstudien, die geringe Quote von Klassenwiederholungen und die gute Förderung schwächerer Schüler für Thüringen positiv zu Buche. Wenn damit allerdings die Förderschulen gemeint sind, von denen es ja gerade auch in Thüringen zahlreiche gibt, bleibt nach der Studie festzustellen, dass im Jahr 2011 mehr als die Hälfte der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss aus dieser Schulform kamen. Inwieweit das auf Thüringen zutrifft soll hier erst einmal offen bleiben, ich will das aber doch zum Anlass nehmen, bei den hiesigen Förderschulen nachzufragen.

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