Als Peer Steinbrück im November 2005 Bundesfinanzminister im Kabinett Angela Merkels wurde, bemängelten die Medien vor allem in Süddeutschland, dass Steinbrück doch weitgehend unbekannt sei. Obwohl er doch von 2002 bis 2005 sogar Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen war. Auf bundesdeutscher Ebene war er also bis 2005 kaum aufgefallen. Das ist lange her. Und obwohl er sich seitdem als Minister und Bundespolitiker sehr wohl Ansehen verschaffte, werden alle seine Aktivitäten und Auftritte im Bundestag zunehmend zurückgedrängt von Berichten über seine Nebeneinkünfte, die seit seiner Nominierung zum Kanzlerkandidaten der SPD Anfang Oktober Hauptthema der Medien sind. Einkünfte für Tätigkeiten, die bis dahin nie Thema in den Medien oder gar Anlass zur Kritik waren. Nun aber beschäftigen sich die Medien damit seit dem 1. Oktober in einer Weise, als hätte seine ganze Tätigkeit in den vergangenen Jahren hauptsächlich darin bestanden, gut bezahlte Vorträge zu halten. Und um nicht
die Übersicht über Zusammenhänge zu verlieren, halte ich hier einiges zur eigenen Kenntnis und Bewusstseinsbildung fest:
Richtig und hinlänglich bekannt ist ja inzwischen, dass Bundestagsabgeordnete bezahlte Nebentätigkeiten angeben müssen, dabei aber nur die Gehaltsstufen veröffentlichen.
[] Stufe eins sind Einkünfte über 1000 bis 3500 Euro brutto,[] Stufe zwei Einkünfte bis 7000 Euro,
[] Stufe drei Einkünfte mit mehr als 7000 Euro.
Steinbrück hat beim Bundestag für die seit 2009 laufende Legislaturperiode mehrere Dutzend Vorträge bei Banken, Versicherungen und anderen Unternehmen angegeben, für die er jeweils mehr als 7.000 Euro kassiert hat. Wie viel genau, muss er eigentlich nach dem Abgeordnetengesetz nicht offenlegen.
Dazu las man am 01.10.12 unter Berufung auf den WDR in der Presse, dass Peer Steinbrück ab diesem Datum – also seiner Nominierung zum Kanzlerkandidaten – auf bezahlte Reden verzichtet. Steinbrück selbst kündigte außerdem an, aus dem Aufsichtsrat des Stahlriesen Thyssen-Krupp auszuscheiden. Allein für diese Tätigkeit hatte er in den Jahren 2010 und 2011 insgesamt 114.945 Euro erhalten. Insgesamt beliefen sich die Einkünfte aus allen Nebentätigkeiten in dieser Wahlperiode auf 698.945 Euro.
Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer nahm das am 02.10. zum Anlass, Peer Steinbrück in BILD zur detaillierten Offenlegung seiner Nebeneinkünfte aufzufordern. In dem Artikel heißt es (Auszug):CSU-Chef Horst Seehofer (63) hat dem SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück (65) nahegelegt, seine Nebeneinkünfte z.B. aus Vorträgen detailliert offenzulegen. Seehofer zu BILD: „Für Nebeneinkünfte gibt es im Bundestag klare Regeln. Wer Transparenz von anderen, etwa von den Banken einfordert, muss sich daran messen lassen und darf sich auch nicht wundern, wenn sie von ihm persönlich eingefordert wird.“ (Ende des Auszugs)
Steinbrück reagierte prompt und stellte am 05.10. eine detaillierte Aufstellung in Aussicht. Aus der sich dann ergab, dass er insgesamt 1,25 Mio Euro an Honoraren einnahm. Daraufhin machte man ihm zu Vorwurf, seine Mitwirkung im Bundestag zugunsten solcher Vorträge – zu denen auch eine ganze Reihe unentgeltlich gehaltener zählen – vernachlässigt zu haben. Dazu erinnere ich mich an Ansprachen des derzeitigen Bundespräsidenten Joachim Gauck, in denen er die Politiker ermahnte, den Bürgern politische Vorgänge besser und ausführlicher zu erklären. Und mir ist ein Politiker, der mir in einer öffentlichen (oder auch geschlossenen) Veranstaltung solche Vorgänge erklärt, zumindest ebenso interessant wie einer, der im Bundestag Politik macht. (Ich denke da zum Beispiel an Manfred Grund (CDU), der erst am Montag im Kreisparteitag in Nordhausen die jüngsten Beschlüsse der Berliner Koalition recht ausführlich und leicht nachvollziehbar erläuterte).
Nun verband Peer Steinbrück die Offenlegung seiner Nebeneinkünfte mit dem Vorschlag, die Transparenzregeln des Deutschen Bundestages so zu verschärfen, dass alle Angeordnete auf Heller und Pfennig angeben müssen, von wem und wofür sie in welcher Höhe für eine Nebentätigkeit bezahlt worden sind. „Ich fordere Union und FDP auf, einer solchen Neuregelung zuzustimmen. Außerdem fordere ich CDU und FDP auf, Abgeordnetenbestechung in Zukunft endlich unter Strafe zu stellen. Ich bin gespannt, ob Frau Merkel, Herr Westerwelle und Herr Seehofer dies unterstützen.“
Sie unterstützen nicht, ganz im Gegenteil: Union und FDP sind geschlossen strikt gegen die genaue Offenlegung der Nebeneinkünfte von Abgeordneten. Im Bundestag lehnten am Donnerstag in namentlicher Abstimmung den Antrag von SPD und Grünen ab, künftig alle Zusatzverdienste auf Euro und Cent zu veröffentlichen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, Volker Beck, warf der Koalition deshalb "schäbige Heuchelei" vor. Sie hätten "die Backen aufgeblasen", um den designierten SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück wegen seiner Vortragshonorare aufs Korn zu nehmen. Ihre eigenen Abgeordneten seien aber nicht bereit, genau wie Steinbrück ihre Einnahmen publik zu machen. Für Becks SPD-Kollegen Thomas Oppermann misst die Koalition deshalb mit zweierlei Maß. Dabei gehen die Nebeneinkünfte einer ganzen Reihe von CDU-Politikern zum Teil weit in die Hunderttausend (Michael Glos z.B. 546 000 Euro, Heinz Riesenhuber 380 000 Euro oder Patrick Döring von der FDP 185 400 Euro allein an meldepflichtigen Einnahmen).
Das alles hielt die Medien nicht davon ab, allein den Knochen Steinbrück'scher Nebeneinkünfte weiter in einer Weise abzunagen, der schließlich bei den Bürgern (die angestrebte) Wirkung zeitigt: Heute schreibt u.a. Focus.online (Auszug): „Die Debatte über seine Nebeneinkünfte hat Peer Steinbrück erheblich geschadet: Der SPD-Kanzlerkandidat verliert dramatisch an Ansehen. Umso mehr freut sich die Union über ihren besten Umfragewert seit fünf Jahren. Peer Steinbrück (SPD) fällt in der am Donnerstag veröffentlichten Umfrage des Instituts Infratest dimap für die ARD-„Tagesthemen“ um neun Punkte zurück und erreicht mit 50 Prozent nur noch den sechsten Platz. Auch glauben zwei Drittel der Befragten, dass Steinbrück die Debatte um seine Nebeneinkünfte bei der Bundestagswahl schaden werde.“ (Ende des Auszugs) Und diese Debatte führen im wesentlichen die Medien im Rahmen ihrer Presse- und Meinungsfreiheit. Objektiv jedenfalls kann ich das schon deshalb nicht finden, weil sie das Ansinnen Steinbrücks nach Verschärfung der Transparentsregeln für Bundestagsabgeordnete zwar in ihrer Berichterstattung erwähnen, aber sonst kaum unterstützen. Und es gehört schon eine gehörige Portion rhetorische Gerissenheit dazu, bei dieser Sachlage allein Peer Steinbrück im Visier zu behalten. Ich denke, es wäre auch für die Medien an der Zeit, wieder zu einer ausgewogenen Sacharbeit und Berichterstattung zu kommen, der erwähnte Knochen scheint eh nichts mehr herzugeben.
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