Freitag, 30. November 2012

Erinnerungen an den Nordhäuser Mühlgraben


Obwohl der Gastraum des Restaurants „Sonneneck“ im Nordhäuser Gehege für städtische Verhältnisse recht geräumig scheint, hatten Gäste, die gestern knapp vor Beginn der Vortragsveranstaltung der Gästeführergilde kamen, schon Probleme, noch einen günstigen Platz zu erhalten. Und das hatte seinen Grund, denn der Vortrag hatte die Geschichte des Nordhäuser Mühlgraben zum Thema.

Und der wiederum hatte für Nordhausen über 1200 Jahre eine geradezu existenzielle Bedeutung für eine Vielzahl von Betrieben, die sich im Laufe der Zeit entlang dieses Wasserlaufes ansiedelten und von dessen Wasser konzipierten.

Werner Mogk, Mitglied der Nordhäuser Gästeführergilde, hatte sich schon vor Jahren dieses Themas angenommen, systematisch erforscht, ausgearbeitet und in einen dreiteiligen Vortrag gefasst. Von denen zwei in der Vergangenheit bereits gehalten wurden.

Und nun hatte die Gilde zum dritten Vortrag und damit zum dritten Teil des Mühlgraben-Verlaufes eingeladen und viele, meist Bürger gesetzteren Alters, waren gekommen, um sich von Werner Mogk erinnern zu lassen, „wie es damals war“, als nämlich der Mühlgraben noch durch die Nordhäuser Altstadt und durch die Unterstadt floss, um sich schließlich in der Bielener Aue wieder mit der Zorge zu vereinigen, von der sie in Höhe Krimderode ihr Wasser bezogen hatte.

Mogk machte es sich nicht leicht mit seinem Vortrag und beschränkte sich nicht einfach auf den angekündigten Teilverlauf des Mühlgrabens von der Bahnhofstraße bis zur Halleschen Straße, sondern rekapitulierte zunächst die Inhalte der beiden vorausgegangenen Vorträge, um erst danach auf diesen dritten Abschnitt einzugehen. Darauf hatte er sich sehr sorgfältig vorbereitet und die Technik zu Hilfe genommen, mittels der er einen Film mit vielen, teils historischen, Bildern und Texttafeln zusammengestellt hatte, den er nun ablaufen ließ und mit zusätzlichen Erklärungen begleitete.

Enttäuscht oder ungeduldig wurden die Zuhörer dadurch nicht, man schien sich sogar gern noch einmal an frühere Zeiten und den Verlauf des Mühlgrabens von seiner Entstehung in Krimderode bis zur Bahnhofstraße erinnern zu lassen, bevor man sich dann den weiteren Verlauf anhand des Films erklären ließ, denn nichts sonst lässt im heutigen Stadtbild erkennen, wo entlang er einmal floss.

Werner Mogk dankte zunächst den (Mit-)Autoren Rainer Hellberg und Fritz Schmalz für ihre geschichtliche Mitarbeit, um dann seinen Zuhörern in seiner inzwischen bekannten Art Geschichte und Verlauf des Mühlgrabens über 1200 Jahre ab dem steinernen Wehr am Schurzfell mit Wasser aus der Zorge in Richtung Nordhäuser Altstadt in Erinnerung zu bringen. Ganz klar scheint diese Enstehungsgeschichte allerdings nicht zu sein, die Texttafeln wiesen zunächst auf einen Carl Vocke hin, der in einer Chronik von Nordhausen 1852 schrieb, dass der Mühlgraben seinen Anfang am Fuße des Kohnsteins nahm. Womit allerdings nur gesagt ist, dass dort einer der zahlreichen einstigen Mühlgraben eines ganzen Systems begann, der aber nicht unbedingt der Nordhäuser Mühlgraben war. Der von Vocke erwähnte Graben diente wohl lediglich dem Antrieb der Schnabelmühle (Kohnsteinmühle) und mündete schon nach 200 Metern unterhalb der Harzbahnbrücke zurück in die Zorge. Auch heute noch ist dieses Gewässer vorhanden, ohne dass es allerdings noch eine Mühle antreibt.
Mogk wies dann auch noch auf eine weitere Erklärung zur Entstehung des Mühlgrabens hin, die der Lehrer und Heimatforscher Karl Meyer (1845-1935) erkundet hatte: danach gilt als erwiesen, dass der Nordhäuser Mühlgraben vor dem „Crimderöder Wehr“ am Schurzfell beim ehemaligen Preußensportplatz das Wasser aus der Zorge aufnahm. Nach der Überlieferung jedenfalls wurde bereits im Jahre 1638 in Krimderode in Schurzfellnähe abgeleitet. Und die Stadt Nordhausen konnte ohne besondere Genehmigung jederzeit den Mühlgraben „abschlagen“ (was immer das auch heißen mag). Sei der Vollständigkeit halber noch der Stadtarchivar Hermann Heineck (1860-1930) erwähnt, der über die territoriale Zuordnung die Meinung vertrat, dass der Mühlgraben damals etwa von der Siechenbrücke an abgeleitet war und beim Schlachthof wieder in das Feldwasser der Zorge hineingeleitet wurde. Diese Annahme wird bis heute von zahlreichen Stadthistorikern geteilt, denn es ist kaum wahrscheinlich, dass man sich vor über 1200 Jahren für den Antrieb nur einer oder eventuell zweier Mühlen, welche in der Gegend des Frauenberges standen, die Mühe machte, einen fünf Kilometer langen Mühlgraben anzulegen.

Wie dem auch sei, ergab sich aus dem Vortrag Mogks, dass das Wasser des Mühlgrabens in Höhe der Rotleimmühle noch als Badegewässer diente, um aber auch - mit entsprechenden Ableitungen - über Ober- und Unterkunst das Wasser für die Versorgung der Nordhäuser Einwohner zu liefern. Die Texttafeln geben über diese Art der Wasserversorgung vor über 400 Jahren (im Jahre 1598) anschaulich Auskunft über die für damalige Zeiten höchst bemerkenswerten Konstruktionen dieser Wasserleitungen, mit der u.a. auch die über die ganze Stadt verteilten Brunnen mit Wasser versorgt wurden. Davon unbeeindruckt floss der Mühlgraben weiter durch den unteren Teil der Stadt, um nach fünf Kilometern in der Bielener Flur wieder in die Zorge zu münden.

Diese fünf Kilometer entwickelten sich allerdings im Laufe der damaligen Zeit geradezu zur Lebensader der Stadt Nordhausen, der vielen Betrieben der verschiedensten Art entlang seines Laufes zur Existenzgrundlage wurde, vornehmlich als Brauchwasser-Lieferant. Mogk belegte in seinem Vortrag die enorme wirtschaftliche Bedeutung dieser Entwicklung mit zum Teil historischen Fotos, und ließ vor seinen Zuhörern mittels zahlreiche Texttafeln diese Geschichte Revue passieren, bevor er dann zum eigentlichen Kern seines Vortrags kam.

Auch diesen Teil veranschaulichte Mogk bildlich, wobei der einstige Verlauf freilich nur noch mit blauen Verlauflinien in die Bilder eingezeichnet sind. Und Texten, die über den Verlauf dieses Mühlgrabens von der Bahnhofstraße – gemeint ist die Höhe der Firma Nordbrand und die einstige Neustadt-Apotheke – über Marienweg, Rolandbrauerei bis zur Halleschen Straße Aufschluss geben.

Welche wirtschaftliche Bedeutung dieser Wasserlauf gerade in diesem Teil und damit insgesamt hatte, ließ Mogk in diesem Zusammenhang zu einem homogenen Bild werden: 11 Mühlen versorgte der Mühlgraben mit Wasser, 22 Gärtnereien lagen 1848 am oder in der Nähe des Mühlgrabens, eine ganze Anzahl an Gerbereien und andere Betriebe, die auf Brauchwasser angewiesen waren. Und natürlich die 35 Brennereien, von denen viele ebenfalls das Wasser des Mühlgrabens nutzten.

Neben den allgemeinen Entwicklungen und Geschehnissen um diesen Mühlgraben, wartete Mogk mit einer ganzen Reihe von Portraits einzelner Unternehmen auf, von denen die Entstehung des Anwesens in der Bahnhofstraße 25 – nämlich die Nordbrand Nordhausen GmbH – wohl das größte wie markanteste ist. Mogk zeigte Bilder von Stadtansichten, seiner Brunnenvielfalt und ließ dadurch ein Bild des alten Nordhausen entstehen, das nahezu einmalig in dieser Zusammenstellung ist. Und verband es mit Bildern der Zerstörung durch die Bombenangriffe 1945. Weil aber ein solcher Abschluss zu trist gewesen wäre, folgten dem einige weitere Aufnahmen vom heutigen Nordhausen, einschließlich Bilder der Landesgartenschau 2004. Der Vortrag ließ jedenfalls erkennen, dass Werner Mogk viel Zeit und Mühe aufwendete, um seinen Zuhörern und Zuschauern das Thema Mühlgraben zu veranschaulichen. Der Beifall zeigte, dass sein Vortrag angekommen war. Und die Stadt- und Gästeführergilde bewies damit einmal mehr, ihr profundes Wissen zur Stadtgeschichte Nordhausens, das ihre Mitglieder auch bei ihren Führungen den Gästen offerieren.

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