Dienstag, 22. Mai 2012

Kultur gut gestärkt?


Gestern fand auf dem Platz vor dem Nordhäuser Rathaus ein Lesemarathon statt, an dem etwa oder genau 40 Vorlesende teilnahmen. Als Zuhörer einer Reihe von Lesevorträgen überlege ich seitdem, wie ich diese Veranstaltung ganz persönlich einzuschätzen habe. Oder sollte ich stillschweigend darüber weggehen?

Nordhausen berühmt sich, „Stadt der Vielfalt“ zu sein. Und der gestrige „Welttag der kulturellen Vielfalt“ war offensichtlich Anlass, einen „Lesemarathon mit Promis“ vor dem Alten Rathaus zu veranstalten, wie es in einer Pressemitteilung (PM) der Stadtverwaltung hieß.

Und schon die so formulierte Ankündigung bereitete mir einige Schwierigkeiten, schon weil aus dieser PM nicht hervorging, wer überhaupt an diesem Marathon teilnehmen würde. Ich weiß auch wenig mit „Promis“ und der Häufung von Schlagworten in Verbindung mit dieser Ankündigung anzufangen. Da hieß es zum Beispiel, der Aktionstag „Kultur gut stärken“ stünde unter dem Motto „Wert der Kreativität“ und „Wir machen uns gemeinsam stark für den Erhalt des kulturellen Reichtums in Deutschland“ Etwas viel des Anspruchs, wie ich meine.

Und dann begann „pünktlich um 9.00 Uhr OB Barbara Rinke...den Lesemarathon vor dem Alten Rathaus, wie die nnz schon gestern um 10.36 Uhr berichtete. Offenbar die erste der gemeinten prominenten Vorleserinnen. Und erst in diesem Zusammenhang wurde den Lesern mitgeteilt, dass es „wohl gerechtfertigt sei“, die Beteiligten zu nennen. Und die wurden dann namentlich aufgezählt. Mir ist auch unklar, was dieses „gerechtfertigt“ bedeuten sollte? War etwa auch da zunächst Anonymität vorgesehen? Oder solte da ein Überraschungseffekt erzeugt werden?

Ich war also nach diesem nnz-Beitrag im Laufe des Tages zeitweiliger Zuhörer verschiedener Vorlesebeiträge, ohne und mit Ansehung der jeweiligen Person. Und fand interessant, was da von wem vorgelesen wurde. Und in welcher Art das geschah. Darauf näher einzugehen verbietet allerdings die Fairneß, wie ich finde. Schon denen gegenüber, die ich nicht hören konnte. Weil es ja unmöglich war, während des ganzen Tages zuzuhören. Was ich aber hörte, war durchweg gute Vorlesekultur. Und auch die jeweils damit vorgestellte Literatur war beachtlich bis ausgezeichnet, ob es sich nun um Astrid Lindgren (Pippi Langstrumpf), Friedrich Schiller („Die Bürgschaft“), Christoph Hein (?), Heinrich Heine (Harzreise), Gedichte der Nordhäuserin Erika Schirmer oder Erzählungen eines Autors über seine Erlebnisse in französischer Gefangenschaft im Zweiten Weltkrieg, schließlich aber auch „Meines Großvaters Geschichten“ eines Nordhäuser Autors handelte, um nur einige zu nennen, die ich hörte.

Im Resümee meine ich, dass dieser Lesemarathon als „Aktion der Vielfalt“ von den Nordhäuser Bürgern kaum zur Kenntnis genommen wurde. Eine Zuhörerschaft von jeweils etwa vier bis zehn Personen bei einer Vielzahl bereitgestellter Stühle stellt der vorerwähnten „Stadt der Vielfalt“ zumindest in literarischer Hinsicht ein Armutszeugnis aus. Und dürfte auf die Vorlesenden kaum motivierend gewirkt haben. Obwohl es ja hieß, dass es ganz egal sei, wie viele Leute zuhören würden.

Der Platz vor dem Rathaus erwies sich auch durch den umgebenden Lärm aus einer Vielzahl von Quellen und wegen des Durchgangsverkehr, der kaum Rücksicht auf die Veranstaltung nahm, als wenig geeignet. Wenn ein solcher Lesemarathon schon als „open air“-Event vorgesehen wird, wäre er vor dem Theater wenigstens abseits des unmittelbaren Verkehrs- und Baulärms. Und die beschämende Resonanz seitens der Bürger wäre weniger augenfällig.

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