Montag, 7. Mai 2012

Demografie auch im Gesundheitswesen wirksam


Die Kantine des Südharzkrankenhauses war am Freitag gut besucht zum 1. Nordhäuser Patientenseminar, gemeinsam veranstaltet von der Klinik für Orthopädie, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie und der Klinik für Neurochirurgie. Für mich als Berichterstatter, der ich mir den Verlauf der Veranstaltung zur Aufgabe machte, keine leichte Sache: die Vorträge richteten sich zwar an ein Laienpublikum, allerdings wohl zumindest teilweise vorbelastet als Patienten in dem einen oder auch anderen Bereich der Orthopädie, also durch Schäden ihres Knochengerüstes.

Durch die thematisch umfassend angelegten Vorträge – von der Wirbelsäule bis zu den Sprunggelenken – dürfte allerdings für jeden der vielen teilnehmenden Patienten etwas dabei gewesen sein dürfte, das ihn betrifft. Und das er demzufolge auch verstanden haben dürfte. Auf mich bezogen waren es zum Beispiel speziell die Vorträge, die Hüft-, Sprung- und Kniegelenke zum Thema hatten Allerdings ging es mir um der Berichterstattung willen um die gesamte Veranstaltung.

Die Vorträge waren – wie bemerkt - sachlich so angelegt und vor allem durch die gebeamten Bilder illustriert, dass der gesamte Themenkomplex für die Teilnehmer nachvollziehbar und allgemeinverständlich wurde. Und damit auch so ausführlich behandelt worden sein dürfte, dass sie dem vielfach eher suggerierten Anspruch von Patienten auf möglichst umfassende Informationen in jeweils ihrem Problembereich entsprachen. Und wie sich zeigte, nutzten einige der Teilnehmer im Anschluss an die Vorträge die Gelegenheit, noch zusätzlich spezielle Antworten zu ihrem Problem zu erfragen.

Bevor es dazu kam, hörten die Seminarteilnehmer im ersten Teil zwei Vorträge zu degenerativen Erkrankungen der Halswirbel- und Lendenwirbelsäule und deren konservative wie operativen Therapiemöglichkeiten. Dazu referierte der Oberarzt der Klinik für Neurochirurgie im Südharzkrankenhaus, Dr.med. Leonid Diel und ergänzend dazu dessen Chefarzt, Dr.med. Matthias Brucke. Und sie erläuterten anschaulich die vielfach auf die großen Leinwand. geworfenen Bilder

Wurde im ersten Thementeil bei Darstellung der notwendigen Behandlungsmöglichkeiten und -methoden der erkrankten Wirbelsäulenteile schon das Alter der jeweils beispielhaft bezuggenommenen Patienten berücksichtigt, war der zweite Teil des Seminars speziell auf Menschen zugeschnitten, die im fortgeschrittenen Alter orthopädischen Behandlungsbedarf haben. Hier war es zunächst Oberarzt Dr. med Holger Reichel von der Klinik für Orthopädie, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, dessen Thema sogar lautete: „Unfälle im Alter – welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?“ und ebenso ausführlich wie übersichtlich im Rahmen der zeitlichen Möglichkeiten behandelt wurde

Die außerordentlich informative Veranstaltung verstand sich offenbar auch im Zusammenhang mit dem Ausbau bzw. der Erweiterung der Klinik für Orthopädie, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie. Bekanntlich wurde ja erst kürzlich die Station 7b „Orthopädie“eröffnet, um den steigenden Behandlungsbedarf von Patienten mit Schäden durch Unfälle, aber auch altersbedingten Erkrankungen der Hüft- und Kniegelenke gerecht werden zu können. Zu letztgenanntem Teilgebiet referierte dann auch der Chefarzt dieser Klinik, Dr. med Kaith Letzel, dessen Vortrag sich „Arthrose der Hüft- und Kniegelenke – operative Behandlungsstrategien“ betitelte. Den Zuhörern wurden in beiden Vorträgen Behandlungsmöglichkeiten bzw. -strategien aufgezeigt, die sich anbieten oder als notwendig erweisen. Es ging dabei insbesondere bei notwendig scheinender operativer Behandlung um den Einsatz künstlicher Hüft- und Kniegelenke. Wobei grundsätzlich und insgesamt alle Themenfelder betreffend betont wurde, dass natürlich die konservative Behandlung im Vordergrund steht – die übrigens in der Klinik für Rehabilitation im Krankenhaus selbst möglich ist – und immer erst im äußersten Fall eine operative Behandlung in Betracht kommt und angeraten wird. Und für eine solche Behandlung heutzutage die Medizin Möglichkeiten, Techniken und auch technische Mittel zur Verfügung hat, die ein hohes Maß an Verträglichkeit, Zuverlässigkeit und Dauerhaftigkeit für den Patienten mit sich bringt In diesem Zusammenhang wurde auch im Zuge der Weiterentwicklung der Einsatz körpereigener Zellen erwähnt, die in geeigneten Fällen, statt technischer Hilfsmittel, zur Anwendung kommen kann. Und den Patienten tunlichst ermöglichen, alsbald wieder „auf eigenen Beinen“ laufen zu können. Die stationäre Behandlung also auf das unbedingt nötige Maß beschränkt und durch ambulante Weiterbehandlung abgelöst wird. Auch hier hilft die ambulante Rehabilitation – also die Physiotherapie – die den Patienten alsbald wieder Anschluss ans praktische Leben finden lässt. Die Medizin jedenfalls bietet viele Möglichkeiten, Vorgänge des Alterns, die die Hilfe des Orthopäden nötig macht, erträglich zu gestalten.

Hier will ich aber - sowohl der Vollständigkeit halber als auch im eigenen Interesse – erwähnen, dass sich die Entwicklung in der Orthopädie, die u.a. mit einer rasanten Zunahme von Operationen mit dem Einsetzen künstlicher Hüft- und Kniegelenke für bedürftige Patienten verbunden ist, nicht problemlos vollzieht. Schon 2003 äußerte ja der damalige Vorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder, dass man (aus Kostengründen) 85-Jährigen keine künstlichen Hüftgelenke einsetzen solle. Und erntete damit heftige Kritik. Damals hatte ich zumindest noch keine emotionale Einstellung zu dieser Äußerung und verfolgte sowohl Diskussion wie weitere Entwicklung recht sachlich. Die sich in den folgenden Jahren ja nicht nur auf alternde Menschen bezog. 2009 zum Beispiel meinte die Professorin für Biotechnologie und Biomaterialien an der FH Südwestfalen, Eva Maria Eisenbarth, dass Patienten, die Endoprothesen bekommen, heute immer jünger werden. Das zum einen an der zunehmenden Zahl schwerwiegender Sportverletzungen läge. Und zum anderen heute bereits Dreißigjährige mit Verschleißerscheinungen in den Gelenken operiert werden, die früher noch für viele Jahre vertröstet wurden.

Wenn also heute zum Beispiel von Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) unter Hinweis auf eine „enorme Fallzahl-Steigerung“ an solchen Operationen hinwies und sich für eine Senkung aussprach, müsste das jüngere Menschen ebenso betreffen wie Senioren. Das mag auch der Grund sein, dass Bahr vergangene Woche seine Aussage abschwächte und versicherte: „Jeder kann sich darauf verlassen, die notwendige Behandlung und Operation zu erhalten.“ Immerhin ist damit aber wieder eine Diskussion laut geworden und in Gang gekommen, die von den Krankenkassen und Gesundheitsexperten unterstützt wird. So warnt zum Beispiel auch die Krankenkasse KKH-Allianz vor einer Kostenexplosion: Ihre Zahlen zeigten, dass die Zahl der Hüft-OPs zwischen 2006 und 2011 um 19 Prozent gestiegen sei, die Zahl der Knie-OPs sogar um 29 Prozent. „Angesichts wirtschaftlich schwieriger Zeiten in manchem Krankenhaus ist nicht garantiert, dass immer ausschließlich zum Wohle des Patienten entschieden wird“, so Vorstandschef Ingo Kailuweit.

Gerade das aber ließ sich den Vorträgen im Rahmen jenes Patientenseminars nicht entnehmen, sondern ganz im Gegenteil, stellten die referierenden Fachärzte ausdrücklich fest, dass im Südharzkrankenhaus Operationen an Hüft- und Kniegelenken erst dann in Betracht kommen, wenn die konservative Behandlung durch Physiotherapie zu keinem Erfolg führte. Dass die Grenzen fließend und eng sind, wurde heute übrigens bei Peter Hahne im ZDF deutlich, in dessen Sendereihe „Bauer sucht Frau“ von Gesundheitsexperten beklagt wurde, dass die Krankenkassen auch bei der Genehmigung physiotherapeutischer Behandlungen zunehmend zurückhaltend werden. Und das könnte mit sich bringen, dass die Krankenkassen schließlich die Dauer konservativer Behandlungen bestimmen.

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