Fachkräftemangel: Eltern werden bei der Versorgung ihrer
schwerstkranker Kinder alleine gelassen
Thüringen / Tambach-Dietharz / Lenzkirch, 10.5.2017.
Durchwachte Nächte voller Sorge am Bett des schwerstkranken Kindes,
im besten Fall zwei, drei Stunden Schlaf am Stück, am Tag danach
dann einfach weiter funktionieren – und das ohne Pause über
Wochen, Monate oder Jahre: die Pflege eines unheilbar kranken Kindes,
das absehbar sterben wird, ist für dessen Eltern unvorstellbar
anstrengend. Zumal dann, wenn nirgends qualifiziertes Pflegepersonal
aufzutreiben ist, das sie unterstützen könnte. Genau das aber
erleben betroffene Eltern überall in Deutschland – und so auch im
Freistaat Thüringen. Darauf weisen der Trägerverein des Kinder- und
Jugendhospizes Mitteldeutschland in Tambach-Dietharz, der
ambulante Thüringer Kinderhospizdienst und der Bundesverband
Kinderhospiz e. V. anlässlich des internationalen „Tags der
Pflege“ am 12.5.2017 hin.
„ Wir erleben einen akuten Fachkräftemangel auch im stationären
Kinder- und Jugendhospiz Mitteldeutschland. Knapp 800 Familien mit
unheilbar kranken Kindern konnten wir bisher die Möglichkeit zu
dringend benötigten Entlastungsaufenthalten hier geben. “,
sagt Klaus-Dieter Heber, ehrenamtl. Vorsitzender des Trägervereins
für das Kinder- und Jugendhospiz Mitteldeutschland in
Tambach-Dietharz. „So mussten wir in diesem Jahr bereits schweren
Herzens Familien langfristig geplante Aufenthalte in
unserer Einrichtung absagen, da uns schlichtweg Pflegekräfte fehlen.
Solche Entscheidungen fallen natürlich schwer, gerade im Wissen, wie
wichtig die gemeinsame Zeit für die betroffenen Familien im
Kinderhospiz ist. Dennoch geht hier Qualität vor Quantität. Bei
jedem Kind muss eine individuelle und bedarfsgerechte Pflege und
Betreuung, 24 Stunden am Tag, sichergestellt sein. Ohne eine solche
erfahren die Familien nicht die so dringend benötigte Entlastung vom
kräftezehrenden Pflegealltag im häuslichen Umfeld.“
„Der allgemeine Fachkräftemangel betrifft eben nicht nur die
Alten- und Krankenpflege, sondern auch die Versorgung unheilbar
kranker Kinder mit verkürzter Lebenserwartung in ganz Deutschland“,
ergänzt Sabine Kraft, die Geschäftsführerin des Bundesverbands
Kinderhospiz (BVKH). Der BKVH setzt sich als Dachorganisation
ambulanter und stationärer Kinderhospize in Deutschland für die
bestmögliche Versorgung lebensverkürzend erkrankter Kinder ein und
engagiert sich politisch und gesellschaftlich für die Belange der
betroffenen Familien. „Wir hören aus den unterschiedlichsten Ecken
der Republik, dass Kinderkrankenpflegedienste offene Stellen wegen
Bewerbermangel nicht besetzen können und dass Eltern wochen- oder
gar monatelang vergeblich nach gut qualifiziertem Fachpersonal
suchen. Einige dieser Familien haben von ihren Krankenkassen sogar
eine 24-Stunden-Pflege für ihre Kinder bewilligt bekommen, haben
also theoretisch das Recht auf Unterstützung rund um die Uhr!
Tatsächlich aber sind die ambulanten Kinderkrankenpflegedienste in
ihrer Region heillos überlastet und können keine zusätzlich
nötigen Pflegezeiten mehr abdecken geschweige denn neue Patienten
aufnehmen.“ Die betroffenen Familien seien bei der Pflege ihrer
Kinder zu Hause dann auf sich allein gestellt – oftmals bis zur
völligen Überforderung und Erschöpfung. Auch viele der 15
stationären Kinderhospize in Deutschland, die den betroffenen
Familien Entlastungsaufenthalte anbieten, suchen dringend Verstärkung
für ihre Pflegeteams.
Die Pflege eines Kindes zu Hause ganz oder in Teilen alleine
bewältigen zu müssen, sagt Marion Werner, Koordinatorin des
ambulanten Thüringer Kinderhospizdienstes, sei für die Betroffenen
schlicht unzumutbar: „Denn diese Familien müssen ohnehin eine
unglaubliche Belastung aushalten: Für eine Mutter oder einen Vater
gibt es kaum etwas Schlimmeres als das Wissen, das eigene Kind in den
Tod begleiten zu müssen. Selbst wenn sie genügend Fachkräfte für
eine gute pflegerische Versorgung des Kindes zu Hause finden, leben
sie ein Leben in permanentem Ausnahmezustand. “
Es sei daher dringend nötig, etwas gegen den Fachkräftemangel zu
unternehmen, um die betroffenen Familien wenigstens bei der Pflege
ihrer Kinder zu entlasten, sagt BKVH-Geschäftsführerin Kraft : „Die
Kinderkrankenpflege muss als Berufszweig attraktiver werden. Ich bin
allerdings skeptisch, dass die unlängst beschlossene Reform der
Pflegekräfte-Ausbildung dieses Ziel erreichen wird. Zwar wird für
angehende Pflegefachkräfte von 2019 an kein Schulgeld mehr fällig;
das ist eine gute Nachricht. Ob Fachkräfte für Kinderkrankenpflege
künftig besser, schlechter oder genauso gut ausgebildet auf den
Arbeitsmarkt kommen wie heute, hängt aber noch stark davon ab, wie
die Reform im Detail in die Praxis umgesetzt wird. Und ob das
Pflegepersonal in Zukunft höhere Löhne erhält und ob sich die
Arbeitsbedingungen verbessern – das ist ebenfalls völlig offen.“
Zum Hintergrund:
Deutschlandweit sind weit über 40 000 Kinder und Jugendliche bis
18 Jahren so schwer krank, dass sie aller Wahrscheinlichkeit nach
nicht erwachsen werden. Etwa 5000 von ihnen sterben jedes Jahr.
Fachleute aus der Kinderhospizarbeit nennen die betroffenen kleinen
Patienten allerdings bewusst nicht „sterbenskrank“, sondern
„lebensverkürzend erkrankt“: Mit diesem Sprachgebrauch wollen
sie statt des Todes die noch verbleibende Lebenszeit in den Blick
nehmen, die sie den Kindern möglichst zufrieden und beschwerdefrei
gestalten wollen. Viele der kleinen Patienten sterben nämlich nicht
innerhalb weniger Tage oder Wochen nach der Diagnose, sondern leben
tatsächlich mehrere Jahre lang mit ihrer Erkrankung. Der
Kinderhospiz Mitteldeutschland Nordhausen e. V. ist Gründungsmitglied
des Bundesverbandes Kinderhospiz e. V. .
Bild1: pflege_1.jpg
BU1: Mitarbeiterin bei der Pflege eines kranken Gastes im Kinder-
und Jugendhospiz Mitteldeutschland in Tambach-Dietharz
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BU2: Mitarbeiterin bei der Pflege eines kranken Gastes im Kinder-
und Jugendhospiz Mitteldeutschland in Tambach-Dietharz
Quelle: www.Guido-Werner.com
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