Pressemitteilung
„Das Parlament“ - Interview mit Prof. Johannes Vogel: „Die Liste der Sünden ist lang“
Prof. Johannes Vogel, Generaldirektor des Museums für Naturkunde in Berlin, im Interview zum Thema Artenschutz mit der Wochenzeitung „Das Parlament“
(Erscheinungstag 02. Januar 2023)
- bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung -
Johannes Vogel, Generaldirektor des Museums für Naturkunde in Berlin, hat eine kritische Bilanz der Weltnaturkonferenz gezogen, die im Dezember zu Ende ging. „Leider ist es nach wie vor so, dass die überragende Wichtigkeit des Themas in der Politik überhaupt nicht angekommen ist“, stellte Vogel fest. Hier gehe es „um den Ast, auf dem wir alle sitzen und an dem wir alle kräftig sägen. Wenn der bricht, dann ist es vorbei. Das ist noch nicht verstanden worden.“ Vogel begrüßte die Zusagen in Höhe von 20 Milliarden Euro jährlich ab 2025 für die armen Länder: „Das ist jede Menge Geld, keine Frage“, sagte Vogel. Aber man müsse das in Relation setzen: Derzeit gebe die Welt mindestens 150-mal so viel Geld zur Zerstörung der Natur aus - 3,1 Billionen Dollar jährlich - wie sie in Montreal für den Naturschutz zugesagt habe. Vogel appellierte an das Parlament: „Jetzt wäre doch die Zeit, dass der Bundestag eine Enquete-Kommission zum Thema einrichtet und Deutschland in den nächsten Jahren eine nationale Debatte zum Thema führt.“ Die Herausforderung seiI auch als Chance für die Demokratie zu begreifen.
DAS INTERVIEW IM WORTLAUT
Das Parlament:
Herr Vogel, knapp zwei Wochen haben rund 5.000 Delegierte aus fast 200
Ländern in Montreal getagt, gestritten und gerungen, 120 Minister wurden
eingeflogen – und am Ende steht ein neues Artenschutzabkommen. War die
15. Weltnaturkonferenz ein Erfolg?
Johannes Vogel: Leider
ist es nach wie vor so, dass die überragende Wichtigkeit des Themas in
der Politik überhaupt nicht angekommen ist. Anders als beim Klimagipfel
in Scharm el Scheich vor wenigen Wochen ist außer dem gastgebenden
kanadischen Premier Trudeau kein einziges Staatsoberhaupt gekommen. Das
ist kein gutes Zeichen. Denn hier geht es um den Ast, auf dem wir alle
sitzen und an dem wir alle kräftig sägen. Wenn der bricht, dann ist es
vorbei. Das ist noch nicht verstanden worden.
Das Parlament: Warum ist das so?
Johannes Vogel:
Als Menschen, so wie wir uns entwickelt haben in den letzten zwei
Millionen Jahren, denken wir, dass die Natur – sei es das Klima, das
Tier, die Pflanze, der Boden oder das Wasser – einfach da ist und wir
sie nutzen können. Es fehlt das Bewusstsein, wie wertvoll eine
funktionierende Natur für uns ist. Wir begreifen nicht, dass wir diese
riesige Erde und die komplexe Natur so verändern, dass die Folgen für
menschliches Leben dramatisch sein können.
Das Parlament: Das neue Artenschutzabkommen definiert 23 Ziele…
Johannes Vogel:
… wir haben vor zwölf Jahren eine ähnliche Jubelveranstaltung in Japan
gehabt, mit zahlreichen Vereinbarungen, von denen keine einzige
eingehalten wurde. Das darf uns nicht nochmal passieren.
Das Parlament: Gibt es Anlass zu der Hoffnung, dass das nicht wieder passiert?
Johannes Vogel:
Ja. Es gibt jetzt eine viel größere Aufmerksamkeit für das Thema.
Klimawandel ist in den letzten Jahren parteienübergreifend zu einem
Thema für die Politik geworden, weil es Wählerstimmen brachte. Ich
glaube, dass Natur und Biodiversität in den nächsten Jahren einen
ähnlichen Effekt auslösen werden.
Das Parlament:
In Montreal wurde hart ums Geld gestritten. Bundeskanzler Scholz hatte
schon vor Konferenzbeginn angekündigt, Deutschlands Beitrag auf 1,5
Milliarden Euro jährlich verdoppeln zu wollen. Insgesamt gibt es nun
Zusagen in Höhe von 20 Milliarden Euro für die armen Länder, in denen 80
Prozent der artenreichsten Regionen der Erde liegen. Das klingt nach
viel Geld – aber reicht es?
Johannes Vogel: Das ist
jede Menge Geld, keine Frage. Und es ist toll, dass die Bundesregierung
hier international sichtbar vorwegmarschiert. Wir müssen das Geld aber
in Relation setzen: Derzeit gibt die Welt mindestens 150-mal so viel
Geld zur Zerstörung der Natur aus - 3,1 Billionen Dollar jährlich - wie
sie in Montreal für den Naturschutz zugesagt hat.
Das Parlament: Woran denken Sie dabei?
Johannes Vogel:
Es werden zum Beispiel riesige Summen investiert, um nicht nachhaltige
Landwirtschaft zu pushen, Wälder zu roden, Gewässer zu regulieren,
unberührte Böden umzubrechen und nicht nachhaltige Fischerei. zu
subventionieren. Europa ist hier tatkräftig dabei. Die Liste der Sünden
ist lang. Das ist das eine. Das andere ist: Der deutsche Beitrag, 1,5
Milliarden Euro, entspricht gerademal den Kosten für sechs Wochen
kostenlose Corona-Tests für die Bürger während der Pandemie. Corona
insgesamt hat noch viel, viel mehr gekostet. Corona war eine
Auswirkung des Klimawandels plus einer nicht nachhaltigen Nutzung von
Natur: Der Klimawandel hat die Verbreitungsgebiete der Fledermäuse
verschoben, und beim Wildtierhandel und -Verzehr kam es zur Übertragung
des Erregers. Ich würde sagen: Für uns als - kapitalistische -
Gesellschaft würde es sich rechnen, in den Schutz von Natur zu
investieren, anstatt im Nachhinein ein Vielfaches dafür zu bezahlen,
dass wir nicht achtsam mit ihr umgegangen sind.
Das Parlament: Was muss die Politik konkret tun?
Johannes Vogel: Eine
lebenswerte Zukunft wird vor allem von uns große Anstrengungen und ein
Umdenken verlangen. Der Geldtransfer von Nord nach Süd ist das eine. Das
andere ist: In Deutschland, Europa, in der ganzen nördlichen Hemisphäre
müssen wir insgesamt sehr viel ressourcenschonender und bescheidener
wirtschaften. Ich weiß nicht, wie der Schaden, der jetzt angerichtet
wird, am Ende bezahlt werden soll. Wenn das so weitergeht, befürchte
ich, hält unser Wirtschaftssystem und auch unsere Demokratie das nicht
aus.
Das Parlament: Als eines der wichtigsten
Ergebnisse der Konferenz gilt die Vereinbarung mindestens 30 Prozent der
weltweiten Land- und Meeresflächen bis 2030 unter Schutz zu stellen.
Was ist davon zu halten?
Johannes Vogel: Lassen Sie
uns einmal nicht über andere, sondern über Deutschland reden: Hier haben
wir 18 Prozent der Landfläche unter verschiedenen Schutzstatus
zusammengefasst. Nur für zwei Prozent gilt, dass man der Natur freien
Lauf lässt. In den anderen 16 Prozent sind verschiedene Formen von
Fischerei, land- oder forstwirtschaftlicher Nutzung möglich. Mit
solchen Maßnahmen sind in den letzten Jahrzehnten 70 bis 85 Prozent der
Biomasse von Insekten verloren gegangen - eine Hiobsbotschaft. Es zeigt,
dass nur mit Schutzgebieten das Artensterben nicht reduziert oder
aufgehalten werden kann. Alle Flächen und Meere der Welt müssen
naturfreundlicher genutzt werden. Und das geht insbesondere, wenn wir
unsere Ernährung umstellen.
Das Parlament: Gibt es etwas, dass Sie hoffen lässt?
Johannes Vogel:
Ja, unsere wissensbasierte Demokratie. Ich glaube, dass es ähnlich wie
beim Klima-Thema neue breite gesellschaftliche Strömungen und neue
Koalitionen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft für ein
verändertes Verhältnis von Mensch und Natur geben – und da am Ende auch
die Politik mitgehen wird. Dafür könnte die Konferenz ein Startschuss
gewesen sein. Wir haben in Montreal zum Beispiel das erste Mal gesehen,
dass Business sich für das Thema Biodiversität interessiert. Wirtschaft
und Finanzwirtschaft sehen voraus, dass es früher oder später
Regulierungen geben wird, Ziele, die zu erreichen, Gesetze, die
einzuhalten sind – darauf bereitet man sich vor.
Das Parlament: Welche Schritte sollte die Bundesregierung jetzt als nächstes gehen?
Johannes Vogel:
Ich hätte eher einen Wunsch an das Parlament. Jetzt wäre doch die Zeit,
dass der Bundestag eine Enquete-Kommission zum Thema einrichtet und
Deutschland in den nächsten Jahren eine nationale Debatte zum Thema
führt. Ich war Co-Vorsitzender des Wissenschaftsjahres 2022
„Nachgefragt“: Vier Fünftel aller 14.000 Fragen aus der Gesellschaft an
die Wissenschaft drehten sich um die Themen Klima, Natur, Gesundheit -
eben das übergeordnete Thema „Gesunder Mensch - Gesunder Planet“. Dieses
immense Interesse sollte das Parlament nutzen, um das Thema groß zu
machen. Die Herausforderung ist auch als Chance für unsere Demokratie zu
begreifen.
Das Parlament: Inwiefern?
Johannes Vogel: Ich
glaube, dass die globalen Großkrisen mit Blick auf Natur und Klima viel
enger mit dem Überleben unserer Demokratie verknüpft sind als die
Politik sich eingestehen will.
Das Parlament: Können Sie das erklären?
Johannes Vogel:
Nur eine Gesellschaft, die zusammenhält, trägt in sich die Kraft großen
Herausforderungen zu trotzen – wie wir in der Ukraine gerade sehen. Auf
der anderen Seite sehen wir auch, wie Corona unsere Gesellschaft
verändert hat. Der Putschversuch sogenannter Querdenkers und
Reichsbürger zeigt das deutlich. Man kann also sehen, wie die
wissensbasierte Bekämpfung einer Pandemie, die durch nicht nachhaltige
Nutzung von Natur ausgelöst wurde, zu einer Radikalisierung eines Teils
der Bevölkerung geführt hat und dann zu demokratiefeindlichen Aktionen.
Was passiert erst, wenn Pandemien, Hitzejahre oder ausfallende Ernten
zur Norm werden? Für mich ist deshalb eine nachhaltige Nutzung der Welt
unmittelbar damit verbunden, dass wir ein gutes und demokratisches Leben
führen können.
Das Gespräch führte Michael Schmidt.
Johannes Vogel ist Professor für Biodiversität und Public Science an der Humboldt-Universität, Mitglied der Leibniz Sozietät der Wissenschaften zu Berlin und Generaldirektor des Museums für Naturkunde in Berlin.
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