Pressemitteilungen der Deutschen Bischofskonferenz
23.01.2023
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Sperrfrist: Montag, 23. Januar 2023, 18.00 Uhr!
Heiliger Vater, retten Sie uns!“ – Die Bittschreiben verfolgter Juden an Papst Pius XII.
Weihbischof Peters: „Wichtiger Teil des gegenwärtigen Kampfes gegen
Antisemitismus“
Rund
15.000 jüdische Menschen aus ganz Europa baten während des NS-Regimes
Papst Pius XII. und den Vatikan um Hilfe. Emotional schildern sie
Gräuel, Verfolgung und Todesangst.
Im Forschungsprojekt Asking the Pope for Help erfassen der
Kirchenhistoriker Prof. Dr. Hubert Wolf und sein Team der Universität
Münster diese Bittschreiben, die in den vatikanischen Archiven lagern,
und bereiten sie in einer kommentierten digitalen
Edition für die Öffentlichkeit auf.
Zum
Auftakt des Projektes hat heute (23. Januar 2023) in der Katholischen
Akademie in Bayern in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bischofskonferenz
bewusst im Vorfeld
des Gedenktags an die Opfer des Nationalsozialismus (27. Januar 2023)
eine öffentliche Debatte stattgefunden. „Wir sind froh, nach einem Jahr der Einrichtung den Auftakt unseres Projekts
Asking the Pope for Help sowohl mit Vertretern der katholischen
Kirche als auch der jüdischen Community begehen zu können. Gemeinsam mit
meinem erfahrenen Team haben wir uns als Historikerinnen und Historiker
lange auf die Öffnung der vatikanischen Archive
zu Papst Pius XII. vorbereitet“, erklärt Projektleiter Prof. Dr. Hubert
Wolf, Direktor des
Seminars für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte der Universität Münster, das Anliegen.
„Obwohl wir bereits jahrelang mit den vatikanischen Akten vertraut sind
und arbeiten, haben die Bittschreiben, die wir dort fanden, unseren
Blick auf die Rolle der katholischen Kirche im Zweiten Weltkrieg noch
einmal erweitert. Mit unserer Entscheidung, nicht
den Papst und sein Handeln, sondern die jüdischen Bittsteller in den
Fokus unseres auf zehn Jahre angelegten Projekts zu rücken, nehmen wir
einen Paradigmenwechsel vor“, so Prof. Wolf. Er fügte hinzu: „Neben dem
Ziel, jüdischen Menschen, deren Andenken die
Nationalsozialisten auslöschen wollten, wieder eine Stimme zu geben und
ihr Schicksal öffentlich sichtbar zu machen, werden wir dank
akribischer Auswertung dieser Einzelfälle Rückschlüsse zu übergeordneten
Fragestellungen ziehen können, wie etwa: Welche Schreiben
wurden dem Papst vorgelegt und welche nicht? In wie vielen Fällen
konnte der Heilige Stuhl helfen? Gab es einen Unterschied zwischen
getauften und nicht getauften Juden?“
Botschafterin
a. D. Annette Schavan würdigte den Einsatz für eine Erinnerungskultur,
die aufkläre und Illusionen zerstörte. Eine Erinnerungskultur „ruft
Fakten in Erinnerung, die vergessen waren
– weil das einfacher schien und weil es erlaubte, die Geschichte nach
dem je eigenen Geschmack und Interesse zu erzählen. Vergessen verklärt
die Vergangenheit und macht Gesellschaften hilflos bei dem Versuch, sich
selbst auf die Spur zu kommen und aus der
Vergangenheit zu lernen“, so Annette Schavan, die in der Akademie in
ihrer Eigenschaft als Kuratoriumsvorsitzende der Stiftung „Erinnerung,
Verantwortung und Zukunft“ sprach. In der Zeit nach den Zeitzeugen werde
mehr und mehr die Aufgabe deutlich, Weichen
für eine Erinnerungskultur in Zukunft zu stellen: „Dies ist umso
bedeutsamer, als offenkundig der Antisemitismus zunimmt und neue
Nationalismen in Europa die Europäische Union als großes Friedenswerk
gefährden. Zum Frieden in den Gesellschaften Europas und
zwischen ihnen gehört, Antisemitismus und jedweder Form von Rassismus
auf die Spur zu kommen und sie zu bekämpfen – auch mit der Kraft der
Erinnerung als einer der großen kulturellen Aufgaben jeder
Gesellschaft“, so Annette Schavan. Das dürfe sich nicht in
Rhetorik erschöpfen und könne nicht nur irgendwie allgemein gelingen.
Dazu brauche die Stiftung Partner in der Gesellschaft und könnten deren
konkrete Geschichten aufklärend wirken und deren Initiativen zu einer
künftigen überzeugenden Erinnerungskultur beitragen.
Annette Schavan fügte hinzu: „Erinnerung klärt auf und fordert in
diesem und in anderen Projekten, uns mit den Menschen, die Opfer wurden,
mit ihren Biographien und mit ihrem Leiden zu beschäftigen und
Verantwortung wahrzunehmen für das, was heute zu tun ist,
damit die Würde eines jeden Menschen unantastbar bleibt.“
Weihbischof
Jörg Michael Peters (Trier), der die Deutsche Bischofskonferenz und
deren Unterkommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum der
Ökumenekommission vertrat, hob hervor, dass
aus den Briefen der Juden die Verzweiflung von Menschen spreche, die
über Monate vieles unternommen hätten, um der Verfolgung und der
Deportation zu entgehen, und nun feststellen müssten, dass die
Fluchtwege verbaut seien. „Sie befinden sich in einer im Wortsinn
ausweglosen Lage. Man spürt förmlich, wie ihr Lebensraum sich immer
mehr zusammenzieht. Da sind die Briefe an den Papst die letzte
Möglichkeit, die letzte Hoffnung, doch noch dem Tod zu entkommen“, so
Weihbischof Peters. Die Bittgesuche ließen spüren, was
es für die Einzelnen mit ihren so unterschiedlichen Biographien
bedeutete, ausgeschlossen und verfolgt zu werden. Weihbischof Peters
fügte hinzu: „Als biographische Zeugnisse können die Bittgesuche aus den
Archiven des Vatikans ein wichtiger Teil unserer Erinnerungskultur
werden … Sie werden uns und den kommenden Generationen zumindest eine
Ahnung von dem geben, was es für die Einzelnen bedeutete, sozial
geächtet und verfolgt zu werden, was es bedeutete, um das Leben von
Familienangehörigen und von engen Freunden zu bangen
und mit dem Wissen um ihre Ermordung weiterzuleben.“ Die historische
Erforschung von Strukturen der geleisteten oder verweigerten Hilfe und
die Perspektive der verfolgten Juden seien für das Geschichtsverständnis
gleich wichtig. Weihbischof Peters: „Das gilt
nicht nur für unser Verständnis der Vergangenheit, sondern auch für die
gegenwärtige Auseinandersetzung mit einem leider noch immer nicht
überwundenen Antisemitismus. Die historisch informierte Erinnerung
daran, was der Antisemitismus in der Vergangenheit
angerichtet hat, wie er das Leben von Jüdinnen und Juden belastet,
eingeschränkt und schließlich zerstört hat, ist ein wichtiger Teil des
gegenwärtigen Kampfes gegen Antisemitismus.“
Hintergrund zum Projekt „Asking the Pope for Help“
Rund
15.000 jüdische Menschen aus ganz Europa baten während des NS-Regimes
Papst Pius XII. und den Vatikan um Hilfe. Emotional schildern sie
Gräuel, Verfolgung und Todesangst. Im Forschungsprojekt
Asking the Pope for Help erfassen der Kirchenhistoriker Prof. Dr.
Hubert Wolf und sein Team der Universität Münster diese Bittschreiben.
Sie bieten in einer Zeit, in der es immer weniger Überlebende des
Holocaust gibt, einmalige Möglichkeiten im Sinne
einer Anti-Antisemitismus-Bildung in Kirche und Gesellschaft. Zugleich
können sie wichtige Impulse für den jüdisch-christlichen Dialog und die
Versöhnung zwischen den Religionen geben. Die Stiftung „Erinnerung,
Verantwortung und Zukunft“ fördert das Projekt
nach einer Anschubfinanzierung durch die Krupp-Stiftung, gemeinsam mit
dem Auswärtigen Amt, der Bayer-Stiftung und SAP. Details zum Projekt
stehen im Internet unter:
https://www.uni-muenster.de/FB2/aph/index.html
zur Verfügung.
Die Deutsche Bischofskonferenz
ist
ein Zusammenschluss der katholischen Bischöfe aller (Erz-)Bistümer in
Deutschland. Derzeit gehören ihr 67 Mitglieder (Stand: Januar 2023) aus
den 27 deutschen (Erz-)Bistümern
an. Sie wurde eingerichtet zur Förderung gemeinsamer pastoraler
Aufgaben, zur Koordinierung der kirchlichen Arbeit, zum gemeinsamen
Erlass von Entscheidungen sowie zur Kontaktpflege zu anderen
Bischofskonferenzen. Oberstes Gremium der Deutschen Bischofskonferenz
ist die Vollversammlung aller Bischöfe, die regelmäßig im Frühjahr und
Herbst für mehrere Tage zusammentrifft.
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