| Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
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| Klaus
Mertes SJ berichtet in seinem neuen Editorial von einem neuen
Berlin-Neuköllner Projekt, der „Stelle gegen konfrontative
Religionsbekundungen“. Sie widmet sich dem religiös motivierten Mobbing
in Schulen, etwa wenn islamische Kinder ihre Klassenkameraden als
„Kreuzfahrer“ oder „Schweinefresser“ beleidigen, Mädchen zum Tragen
eines Kopftuches zwingen wollen usw. Einige befürchten, dass das Projekt
Islamophobie schüre – dem hält Mertes SJ entgegen, dass man
Schülerinnen und Schüler nur dann ernst nimmt, wenn man ihre religiösen
Überzeugungen anerkennt und einbezieht.
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| Die Themen im Februar: Wolfgang Beinert war langjähriger Weggefährte von Papst Benedikt XVI.
und ebenfalls Professor auf dem Lehrstuhl für Dogmatik an der
Universität Regensburg. In seinem Beitrag unterscheidet er zwischen der
Person Joseph Ratzingers und dem Amt Benedikts XVI. Christian
Lehnert, evangelischer Pfarrer, preisgekrönter Dichter und
Geschäftsführer des Liturgiewissenschaftlichen Instituts der VELKD in
Dresden, denkt über die Kirche nach. Biografisch kam er über eigentlich
religiöse Erfahrungen seiner sozialistischen Jugend in der DDR zur Kirche. Er zeigt einen neuen und freien Zugang zur Kirchlichkeit auf. Wer und was fehlt der katholischen Kirche, wenn Menschen austreten?
Was bleibt? Eva-Maria Faber, Prorektorin der Theologischen Hochschule
Chur, wirbt für einen behutsamen Umgang mit Ausgetretenen und für eine
bessere Differenzierung von Entfremdungsprozessen. Was Brautleute denken:
Rupert Scheule stellt eine empirisch-theologische Studie der
Universitäten Regensburg und Eichstätt vor. Darin geht es um eine
Evaluation kirchlicher Ehevorbereitungskurse und darum, was die
Verlobten selbst vom Sakrament der Ehe halten. Wenn
eine Nation ihren Gott als den überlegenen „Stammesgott“ gegen andere
Götter und Nationen in Stellung bringt, ist das „Henotheismus“. Klaus
Mertes SJ beschreibt das Phänomen mit Bezug auf die kulturelle Identität Russlands und den Zusammenhang zwischen Religion und Gewalt. Wer angesichts des russischen Krieges gegen die Ukraine für Frieden und Mediation wirbt, gerate aktuell ins moralische Zwielicht, schreibt Thomas Nauerth. Mit einem Blick in die Überlieferung des Franz von Assisi zeigt Nauerth einen Weg auf, Papst Franziskus‘ Aussagen zum Krieg besser nachzuvollziehen. Außerdem lesen Sie im Februar zwei Essays von Martin Maier SJ (Zum 75. Todestag des Komikers Karl Valentin) und Michael Braun (Bertolt Brecht zum 125. Geburtstag) sowie Rezensionen aus Geschichte & Biografie und Philosophie & Ethik. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre Ihr
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| P. Stefan Kiechle SJ, Chefredakteur
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| Inhalt | |
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| | • | Klaus Mertes SJ: Konfrontative Religionsbekundungen |
| • | Wolfgang Beinert: Die Körper des Papstes Benedikt XVI. Versuch einer Annäherung an die Gestalt Joseph Ratzingers |
| • | Christian Lehnert: Die Herausgerufenen. Kirche als Puls und Bewegung |
| • | Eva-Maria Faber: Wenn Menschen fehlen und gehen. Kirchenaustritte zwischen Säkularisierung und Missbrauchsskandalen |
| • | Rupert Scheule: Schönster Tag, undeutliches Sakrament. Was Brautleute denken |
| • | Klaus Mertes SJ: Kulturpolitischer Henotheismus. Die Wiederkehr der Stammesgottheit |
| • | Thomas Nauerth: Von Franziskus lernen. Der Schrei nach Frieden |
| • | Martin Maier SJ: Fremd ist der Fremde nur in der Fremde. Zum 75. Todestag von Karl Valentin |
| • | Michael Braun: Bibelkundiger Bürgerschreck. Bertolt Brecht zum 125. Geburtstag |
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| Konfrontative Religionsbekundungen | |
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| Editorial: Klaus Mertes SJ
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| In
Berlin-Neukölln wurde im Herbst vergangenen Jahres eine „Stelle gegen
konfrontative Religions-bekundungen“ eingerichtet, eine Anlauf- und
Registrierstelle für religiös begründetes „Dominanzverhalten“ von
Jugendlichen in der Schule. Damit ist gemeint: Mobbing von
Schweinefleisch essenden Mitschülern, Beschimpfung von als christlich
wahrgenommen Mitschülern als „Kreuzfahrer“, Gewalt gegen Mädchen, die
kein Kopftuch tragen, und so weiter. „Experten“
sollen nun auf Grundlage der Meldungen gezielt die entsprechenden Fälle
aufarbeiten. Die Stelle wird mit Bundesmitteln gefördert und ist vom
DEVI e.V. (Verein für Demokratie und Vielfalt in Schule und beruflicher
Bildung) getragen, der sich „schon mehrere Jahre lang erfolgreich in der
Prävention von konfrontativen Religionsbekundungen in Berliner Schulen
engagiert.“ (Bezirksamt Neukölln, Pressemitteilung vom 9.9.2021). Gegen
das Projekt meldete sich im Januar 2022 ein Bündnis von rund 120
Wissenschaftlern, Mitgliedern der Zivilgesellschaft und Organisationen
in einer Stellungnahme zu Wort. Aus pädagogisch-praktischer Sicht drohe
das Vorhaben „entgegen dem erklärten Ziel, zum Schulfrieden
beizu-tragen“, die Konflikte zu verschärfen. Es lägen keine „belastbaren
Kriterien“ für die Einordnung von Verhaltensweisen als „konfrontativ“
vor. Dies erhöhe das Risiko von Fehleinschätzungen aller Art.
Selbstverständlich: „Auch in Neuköllner Klassenzimmern sind – wie in der
gesamten Gesellschaft – Fälle von Antisemitismus, Homo- und
Transfeindlichkeit oder Sexismus ein ernst zu nehmendes Problem. Diese
Fälle sind hinlänglich bekannt und werden besonders im Hinblick auf
muslimisch wahrgenommene Schülerinnen und Schüler medial breit
verhandelt.“ Aber wenn nun Lehrkräfte aufgefordert werden, nicht näher
definierte Vorfälle „konfrontativer Religionsbekundungen“ an eine
externe Stelle zu melden, werde das bloß eine Kultur der Denunziation
etablieren und damit das Vertrauen zwischen Lehrern und Schülern
zerrütten. Stattdessen fordern die Unterzeichner die Einrichtung einer
unabhängigen Beschwerdestelle für Diskriminierungen in Schule und Kita,
die in Diskriminierungsfällen für Rechts- und Handlungssicherheit sorgen
soll. Schaut
man beim DEVI e.V. näher nach (Darstellung des Projekts in der
Vorabversion für das Bezirksamt Neukölln, Dezember 2021), so fällt
einerseits die Konzentration auf Islamismus-Prävention auf, mit
Seitenblick auf vergleichbare Probleme und auf Lösungsversuche in
Frankreich, insbesondere in den Pariser Banlieux. Der Verein wehrt sich
in diesem Zusammenhang gegen den Vorwurf der Islamophobie. Andererseits
will er mit der Prämisse der gängigen Präventionsphilosophie und -praxis
aufräumen, wie sie etwa auch im 16. Kinder- und Jugendbericht der
Bundesregierung (Berlin 2020) vorherrsche. Dort nähere man sich dem
Phänomen der religiösen/islamistischen Radikalisierung „nahezu
ausschließlich über strukturellen Rassismus und strukturelle
Diskriminierung“ in der Aufnahmegesellschaft. Die Jugendlichen würden so
„auf die Opferrolle abonniert“. Diskriminierungsdiskurse in der
Aufnahmegesellschaft, Markierung als Muslime (= Islamophobie) sowie tief
schlummernder Rassismus würden dann als die eigentlichen Ursachen für
religiöse Radikalisierung unter Schülerinnen und Schülern angesehen,
nicht die Religion selbst. Mit
Rückgriff auf die Entwicklungspsychologie von Erik H. Erikson stellt
der Verein die Gegenthese auf. Religiöse Herkunftswelten seien tief
eingewoben in das Gewebe der jugendlichen Psychologie. Diese nicht ernst
zu nehmen bedeute, die Jugendlichen selbst nicht ernst zu nehmen. „Die
Behauptung, dies alles habe mit dem Islam nichts zu tun, verweigert den
Jugendlichen in letzter Konsequenz jegliche Ernsthaftigkeit – und zwar
sowohl als Personen als auch im pädagogischen Prozess selbst.
Prävention, die die Jugendlichen wesentlich entlang von Opfernarrativen
wahrnimmt, begegnet ihnen in einer bevormundenden Haltung, die ihnen die
wenigen verbleibenden Mittel zur Lösung der existentiellen Krise, als
die Jugend mit Erikson beschrieben werden kann, aus der Hand nimmt“
(52). Dem
kann ich nur zustimmen. Aber das führt dann auch die Gesellschaft als
Ganze vor eine sehr grundsätzliche Frage: Anerkennt sie die „Frage nach
Gott“ überhaupt noch als eine ernsthafte Frage? Man kann ja die
religiöse Frage – nicht nur die von religiös geprägten Kindern und
Jugendlichen aus allen möglichen Konfessionen, sondern auch die aus
agnostischen und religionslosen Elternhäusern – als handelnde Lehrkraft
oder als von außen intervenierende Expertin nur dann ernst nehmen, wenn
man sie für sich selbst ernst nimmt, das heißt: für diskurswürdig hält.
Die „Frage nach Gott“ ist eben nicht nur bedeutsam für
Präventionskonzepte. Sonst nimmt man nämlich nicht nur diejenigen
Jugendlichen nicht ernst, die durch konfrontative Religionsbekundungen
auffallen, sondern auch alle die anderen nicht.
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