„Das Parlament“ - Reinhard Houben im Interview: „Am Ende ist das BIP das BIP“
Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag 30. Januar 2023)
- bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung -
Der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Fraktion und Obmann im Wirtschaftsausschuss, Reinhard Houben, will nach der Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichts noch keine Entwarnung geben: „Ich muss aber der Koalition und der Bundesregierung ein Kompliment machen; wir haben relativ kurzfristig viele Maßnahmen auf den Weg gebracht, die offensichtlich das Schlimmste verhindert haben“, sagte der Liberale im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag 30. Januar 2023). Aber dass man sich in einer besonderen Situation befinde und mit Milliardenbeträgen Strom- und Gaspreise subventioniere, könne kein Normalzustand sein, sagte Houben.
Der Wirtschaftspolitiker hält es nun für besonders wichtig, den Ausbau der Infrastruktur zügig voranzubringen. „Für mich erschließt es sich nicht, dass wir LNG-Terminals in einem halben Jahr genehmigen und bauen können, aber bei der Verkehrsinfrastruktur immer noch so einen Stau an Genehmigungen haben.“ Jedes Unternehmen in Deutschland, ob groß oder klein, hänge schließlich von der Infrastruktur ab, sagte Houben.
Zu der vom Bundeswirtschaftsministerium angestrebten Neuvermessung des Wohlstands in Deutschland anhand neu eingeführter Indikatoren sagt der Liberale, dies „schade sicher nicht“. Aber er halte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) weiterhin für den Gradmesser der wirtschaftlichen Lage, so Houben: „Am Ende ist das BIP das BIP.“ Es bleibe der entscheidende Faktor, auch weil man sich nur so im internationalen Wettbewerb vergleichen könne.
Das Interview im Wortlaut:
Das Parlament:
Herr Houben, der Jahreswirtschaftsbericht bringt positive Neuigkeiten:
Statt wie zunächst angenommen, kommt es wohl nicht zu einer Rezession,
sondern sogar zu einem - wenn auch minimalen - Wachstum. Heißt das also,
es gibt Entwarnung, die Krise ist vorbei?
Reinhard Houben:
Ich bin nicht der Meinung, dass man jetzt schon Entwarnung geben kann.
Ich muss aber der Koalition und der Bundesregierung ein Kompliment
machen; wir haben relativ kurzfristig viele Maßnahmen auf den Weg
gebracht, die offensichtlich das Schlimmste verhindert haben. Aber dass
wir uns in einer besonderen Situation befinden und dass wir mit
Milliardenbeträgen Strom- und Gaspreise subventionieren, kann ja kein
Normalzustand sein, vor allem für einen Liberalen.
Das Parlament:
Trotz der nun doch glimpflichen Lage bleiben viele Herausforderungen –
was sind die größten Hürden für die wirtschaftliche Entwicklung in
diesem Jahr?
Reinhard Houben: Alles steht und fällt
natürlich mit der Entwicklung in der Ukraine. Wenn zu für die Ukraine
akzeptablen Konditionen ein Frieden gefunden oder zumindest ein
Waffenstillstand vereinbart werden könnte, würde das der Wirtschaft
weltweit helfen und davon würden natürlich auch die deutsche und die
europäische Wirtschaft profitieren. Aber das haben wir nun nicht in der
Hand und deswegen wird dies ein Jahr voller Risiken werden.
Das Parlament: Welche Risiken sehen Sie da genau?
Reinhard Houben:
Da ist erstens einmal der Krieg als solcher. Zweitens sind das die
Auswirkung des Krieges auf die Lieferketten, angefangen beim Gas über
das Öl und die unterschiedlichsten Metalle und Rohstoffe bis hin zur
Lebensmittelsituation in der dritten Welt, die von Lieferungen aus der
Ukraine abhängt.
Das Parlament: Deutschland hat
ein Jahr voller Tiefpunkte hinter sich: Die höchste Inflation seit 1951,
zeitweise explodierende Energiepreise, Krieg in Europa – kann sich die
deutsche Wirtschaft davon wieder komplett erholen?
Reinhard Houben: Natürlich
haben wir große Chancen, wenn die Rahmenbedingungen wieder so sind,
dass die Wirtschaft sich entwickeln kann. Dazu gehört auch, dass wir als
Bundestag unsere Hausaufgaben vernünftig erledigen. Für mich erschließt
es sich beispielsweise nicht, dass wir LNG-Terminals in einem halben
Jahr genehmigen und bauen können, aber bei der Verkehrsinfrastruktur, ob
das nun Straße, Schiene oder Wasserstraße ist, immer noch so einen Stau
an Genehmigungen haben. Wenn wir das mal alles abräumen würden, würde
das zum einen eine Konjunktur für die Bauwirtschaft bedeuten. Außerdem
hängt jedes Unternehmen in Deutschland, ob klein oder groß, von der
Infrastruktur unseres Landes ab.
Das Parlament:
Dass mit einem Plus zu rechnen ist, hängt auch mit den massiven
Hilfspaketen zusammen. Waren Gas- und Strompreisbremse, Dezemberhilfe
und Co. die richtigen Entscheidungen – auch wenn sie eine
Neuverschuldung bedeuten?
Reinhard Houben: Wir
hatten ja das Glück, dass im Wirtschaftsstabilisierungsfonds noch Geld
vorhanden war. Das ist nun verwendet worden, um die Gas- und
Strompreisbremse zu finanzieren. Aber natürlich gibt es auch neue
Schulden. Wir können spekulieren und hoffen, dass die Nachfrage nach
Unterstützung vielleicht nicht so groß ist, wie wir projiziert haben,
aber am Ende werden wir Schulden machen und das kann uns nicht glücklich
machen. Deshalb ist es auch so wichtig, zumindest für den Kernhaushalt
die Schuldenbremse einzuhalten. So wie wir in Deutschland strukturiert
sind, mit vielen mittleren und kleinen Unternehmen, ist meiner Meinung
nach ein Neustart vor allen Dingen dann zu erreichen, wenn wir mehr
Abschreibungen ermöglichen, als Förderung zu verteilen. Wenn man der
Wirtschaft die Möglichkeit gibt, Investitionen schneller abzuschreiben,
dann bedeutet das am Ende für den Staat keinen Verlust an
Steuereinnahmen, sondern nur eine Verschiebung der Liquidität. Das ist
meiner Meinung nach einfacher, billiger und bietet mehr Anreiz als
irgendwelche Förderprogramme, für die man irgendwelche komplizierten
Formulare ausfüllen muss.
Das Parlament: Sind
Sie sich da einig mit dem grünen Koalitionspartner? Wirtschaftsminister
Habeck hat eine weitere Förderung auch an ein nachhaltigeres
Wirtschaften geknüpft und von einer „transformativen Angebotspolitik“
gesprochen.
Reinhard Houben: Ich finde es schwierig,
nur einige wenige Investitionen herauszupicken. Denn damit werden ja
all jene benachteiligt, die sich schon vorher um das Thema gekümmert
haben. Derjenige, der schon vor zwei Jahren eine Solaranlage angebracht
hat, bekommt dann keine Abschreibung mehr, aber der, der es jetzt erst
gemerkt hat, bekommt eine besonders gute Förderung.
Das Parlament:
Der Jahreswirtschaftsbericht enthält nun zum zweiten Mal ein
Sonderkapitel zum nachhaltigen Wohlstand. Wie sehr sollten diese
Indikatoren Ihrer Meinung nach Einfluss haben auf die Bewertung der
Wirtschaftslage nach bislang traditionellen Parametern?
Reinhard Houben:
Ich habe es in der Debatte im vergangenen Jahr schon so formuliert: Am
Ende ist das BIP das BIP. Es ist natürlich kein Fehler zu wissen, was
sonst noch an Faktoren aufgenommen wurde. Das schadet nicht, aber die
individuelle Frage, ob man sich als wohlhabend empfindet oder nicht, das
hat ja eine riesige Spanne. Das BIP ist und bleibt der entscheidende
Faktor, weil wir uns auch nur so mit anderen Ländern vergleichen können.
Das Parlament:
Aber hat die vielzitierte Zeitenwende, hat der Krieg in Europa, nicht
auch dazu geführt, dass viele Menschen hierzulande jetzt Wohlstand
anders einschätzen, unabhängig von finanziellen Mitteln?
Reinhard Houben:
Der Krieg und die Zeitenwende haben natürlich dazu geführt, dass die
Menschen in Deutschland und Europa anders auf ihr Leben und die
Gesellschaft schauen. Viele Selbstverständlichkeiten stellt man auf
einmal fest, sind gar nicht selbstverständlich. Zum Beispiel die Frage:
Wie gehe ich mit Energie um? Und es hat vielleicht zu einem
realistischeren Blick geführt auf das, was wichtig ist. Jetzt gehört zum
Wohlstand schon, dass man es zu Hause warm hat, sich satt essen und
frei leben kann.
Das Parlament: Ihr Parteichef
und Finanzminister Christian Lindner hat kürzlich davon gesprochen, dass
man sich die Rahmenbedingungen für neuen Wohlstand anschauen müsse. Was
meint er damit?
Reinhard Houben: Wirtschaftlicher
Wohlstand ist für uns, dass wir ein Wirtschaftssystem haben, das es
jedem Menschen ermöglicht, in Eigenverantwortung zu erwirtschaften, was
er meint, zum Leben zu brauchen. Da wären wir bei der berühmten Debatte
der Leistungsgerechtigkeit. Und wir müssen uns fragen, ob wir uns nicht
tot regulieren in unserem Land. Machen wir es uns nicht zu schwer im
wirtschaftlichen Umfeld? Stimmen die Verhältnisse noch? Regeln wir Dinge
so durch, dass wir uns selbst blockieren?
Das Parlament:
Aber braucht der Umbau der Wirtschaft zu einer sozial-ökologischen
Marktwirtschaft, wie von der Bundesregierung angestrebt, nicht auch
Regeln?
Reinhard Houben: Wir in der FDP wollen die
Wirtschaft nicht umbauen, sondern wir möchten, dass wir zu einer
Energieerzeugung und zu einem Energieverbrauch kommen, der eine
möglichst geringe CO2-Belastung bedeutet. Was das Unternehmen sonst
macht, das interessiert mich eigentlich nicht und geht mich auch nichts
an. Deswegen ist unser Ansatz: CO2 muss bepreist werden, das haben wir
ja auch eingeführt. Energie muss einen Preis haben, sie darf auch nicht
zu billig sein, sonst wird nicht ökonomisch gehandelt. Unser Ziel ist,
über eine Preisfindung zu erreichen, dass wir so wenig CO2 wie möglich
produzieren. Wir haben doch in dieser schwierigen Situation gemerkt,
dass wir viele Dinge viel schneller ändern können mit viel weniger
Regulierung. Lasst uns die Dinge einfach schneller und einfacher regeln.
Das schlägt dann nicht nur auf die Wirtschaft durch, sondern auch auf
das Leben der Menschen.
Das Gespräch führte Elena Müller.
Reinhard Houben ist seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages. Er ist wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion und deren Obmann im Wirtschaftsausschuss.
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