| Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
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| Klaus
Mertes SJ berichtet in seinem neuen Editorial (s.u.) von den großen
Demonstrationen gegen den Krieg in der Ukraine und fragt sich: „Wie
lange wird der Konsens halten“, der Hunderttausende auf die Straße
bringt? Längst
werden die Debatten um Aufrüstung, die Rolle der Bundeswehr,
Waffenlieferungen in Kriegsgebiete geführt. Neben der Politik sind hier
aber auch die Kirchen gefragt: „Auch die Kirchen werden zu harten Fragen Stellung nehmen müssen,
wie 1983, als sich die die US-amerikanischen Bischöfe differenziert und
kritisch zugleich zur NATO-Strategie der Abschreckung äußerten – ein
Text, den man wieder zu Hand nehmen sollte.
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wäre die Europäische Bischofskonferenz wieder mit einem großen
Hirtenbrief zum Thema Frieden dran. Sie müsste sich auch mit der Frage
befassen, wie sie die Zukunft der Ökumene mit der russisch-orthodoxen Kirche sieht, wenn diese Putins Krieg kulturpolitisch rechtfertigt“, so Mertes SJ. Auch
wir werden uns in den kommenden Monaten wieder verstärkt mit diesen
Fragen auseinandersetzen, mit Beiträgen aus dem Baltikum, Osteuropa und
auch russischen Stimmen, die den Krieg gegen die Ukraine verurteilen. Die Themen im April: Höchstrichterliche Entscheidungen zwingen die Gesetzgeber zur Neuregelung der Suizidassistenz,
nicht nur in Deutschland. Franz-Josef Bormann, Stefan Hofmann SJ, Laura
Palazzani und David Albert Jones erläutern die aktuellen juristischen
Entwicklungen in Österreich, Deutschland, Italien und Großbritannien und
benennen ethische Bedenken. Die Impfpflicht im Pflegebereich
polarisiert. Reinhard Brodehl schreibt: „Die Pandemie macht deutlich,
wie der Neoliberalismus die Pflegenden unter dem Druck von
Kostendämpfung und Effizienz schädigt, menschlich verarmen und die
Humanität ausbluten lässt.“ Auf dieser Basis sieht er Erklärungen für
Impfgegner ausgerechnet im Gesundheitsbereich, zeigt aber auch
konstruktive Handlungsperspektiven auf. Wird religiöses Verhalten und Erleben von unseren Genen und den Vorgängen im Gehirn bestimmt, wie es einige neurowissenschaftliche Studien
nahelegen? Wenn es so wäre: Welche Konsequenzen ergäben sich für die
Glaubwürdigkeit unseres Glaubens? Markus Kunze argumentiert aus
lebenswissenschaftlicher Sicht gegen vorschnelle Schlüsse. Lot, Abrahams Neffe, überlebte den katastrophalen Untergang Sodom und Gomorras.
Georg Langenhorst stellt Gedichte vor, in denen Lot – und dessen Frau –
durch die Literaturgeschichte hindurch immer wieder neu rezipiert und
aktualisiert werden. Armageddon nach der Pandemie: Stephen King
widmet sich in „The Stand“ von 1978 der Frage nach dem Sinn des
Leidens. Klaus Mertes SJ liest die Erzählung, die nach der weitgehenden
Auslöschung der Menschheit durch eine Pandemie einsetzt, und eröffnet
theologische Blickrichtungen. Außerdem lesen Sie im April einen Essay von Gustav Schörghofer SJ (Liebe zum Schatten) sowie Rezensionen aus Philosophie & Ethik. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre und – trotz allem – ein gutes Osterfest. Ihr
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| P. Stefan Kiechle SJ, Chefredakteur
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| Inhalt | |
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| | • | Klaus Mertes SJ: Solidarität mit der Ukraine |
| • | Franz-Josef Bormann / Stefan Hofmann SJ: Suizidassistenz I. Zur gesetzlichen Regelung in Österreich und Deutschland |
| • | David Albert Jones / Laura Palazzani: Suizidassistenz II. Zur gesetzlichen Regelung in Großbritannien und Italien |
| • | Reinhard Brodehl: Impfgegner im Pflegebereich. Ein Verstehensversuch aus gesundheitswissenschaftlicher Sicht |
| • | Markus Kunze: Nur Gene und Gehirne? Religiöses Verhalten und Erleben aus lebenswissenschaftlicher Sicht |
| • | Georg Langenhorst: Lots Kinder. Literarische Spiegelungen von Sodom und Gomorra |
| • | Klaus Mertes SJ: Armageddon nach der Pandemie. Stephen Kings apokalyptischer Roman „The Stand” |
| • | Gustav Schörghofer SJ: Liebe zum Schatten. Schale von Giampaolo Babetto |
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| Solidarität mit der Ukraine | |
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| Editorial: Klaus Mertes SJ
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| Am
Sonntag, 27. Februar, nahm ich an der großen Demonstration in Berlin
teil: „Solidarität mit der Ukraine.“ Die eindrucksvollen Bilder der
Hunderttausenden gingen um die Welt. Es war ein gutes Zeichen. Und
trotzdem ging ich zum Schluss mit einem schalen Gefühl nach Hause. Zu
viel Widersprüchliches klang in den Reden und auch in den
unterschiedlich verteilten Applauswellen mit. „Gegen Krieg“ zu sein
einte die Anwesenden, sicherlich auch „gegen Putins Krieg“ zu sein, also
gegen den Überfall der russischen Armee auf die Ukraine. Die
Bereitschaft, Geflüchtete aufzunehmen, war zu spüren, und auch die
Bereitschaft, „für die Ukraine zu frieren“, wie es auf Plakaten zu lesen
war: Verzicht auf Gas, Kohle, Öl, Bereitschaft zu wirtschaftlichen
Sanktionen also, die ins eigene Fleisch schneiden. Doch
woher kam dann das schale Gefühl? War es vielleicht meine Skepsis, ob
die Deutschen wirklich bereit sind, für die Ukraine zu frieren, wenn das
Frieren länger dauert als die Welle der Erschütterung und Empörung, die
jetzt aus gutem Grund durch das Land geht? Diese Skepsis könnte auch
unberechtigt sein. Waren es einige Redebeiträge, die mir zu schnell und
zu bruchlos vom Thema der Wirtschaftssanktionen gegen Russland auf
klimapolitisch positive Nebeneffekte solcher Sanktionen umschalteten?
Schon eher. Waren es die relativierenden Subtexte in einigen Beiträgen,
nach dem Motto, die Ukraine sei nicht nur Opfer einer Aggression durch
Russland, sondern auch Opfer des „Vorrückens des Westens“ in den letzten
Jahrzehnten? Ja, die russischen Truppen rücken in die Ukraine vor. Der
Westen rückt aber nicht nach Osten vor, sondern souveräne
mittelost-europäische Staaten haben den Beitritt zur NATO beantragt. Die
NATO hat sie aufgenommen. Sie ist nicht vorgerückt, und die Ukraine ist
nicht „auch“ Opfer dieses angeblichen Vorrückens. Für Ukrainer kann das
in der gegenwärtigen Lage nur zynisch klingen. Und
schließlich war da die Rede einer jungen Ukrainerin, die weniger
Applaus fand. Sie sagte zu Anwesenden, die Plakate mit dem Text „Nieder
mit den Waffen!“ trugen, dass die Menschen in der Ukraine mit solchen
Parolen zurzeit wenig anfangen könnten. Zeitgleich vollzog die
Bundesregierung, unterstützt von der CDU/CSU-Opposition, im
nahegelegenen Bundestag einen Paradigmenwechsel in der
Sicherheitspolitik: Aufrüstung der heruntergewirtschafteten Bundeswehr,
harte Wirtschaftssank-tionen und auch Waffenlieferungen für die Ukraine. Mein
bleibendes schales Gefühl bezieht sich auf die Frage: Stimmt das Bild
der Einheit, das ich in Berlin sah? Wie lange wird der Konsens halten,
der auf der Demonstration zu sehen war? Vielleicht wird er schon längst
zerbrochen sein, wenn dieses Editorial veröffentlicht ist. Wann wird das
Konfliktpotential, das hinter der gemeinsamen Empörung über den Angriff
auf die Ukraine lauert, in unserem Land aufbrechen? Es wird um Fragen
gehen wie: Schließt Solidarität mit der Ukraine die militärische Option
(Waffenlieferungen) ein oder aus? Soll sich Deutschland noch viel
entschlossener dazu bekennen, für die Sicherheit der baltischen Staaten,
Polens und der anderen mittelosteuropäischen Länder auch mit
militärischen Mitteln einzustehen (Abschreckung)? Und: Es waren die aus
der Friedensbewegung kommenden Grünen, die im Jahre 1999 in der
Kosovo-Frage die Debatte zwischen Bellizisten und Pazifisten
stellvertretend für die ganze Nation führten. In den kommenden Monaten
wird sich diese Debatte neu und gesellschaftlich viel breiter aufstellen
müssen. Die großen Themen aus den Zeiten des Kalten Krieges kommen
unter veränderten Bedingungen zurück. Der
pazifistische Konsens der Friedensbewegung aus den Zeiten des Kalten
Krieges ist schon länger dahin, beginnend mit den Balkankriegen nach dem
Fall der Mauer. Es gibt heute auch kaum jemanden mehr, der den Fall der
Mauer monokausal auf das Wirken der Friedensbewegung oder auf die
Wirkungen des NATO-Doppelbeschlusses zurückführt. Beides hat vielmehr
polyphon zusammengewirkt, wie sich aus der Rückschau ergibt. Auch die
Kirchen werden zu harten Fragen Stellung nehmen müssen, wie 1983, als
sich die die US-amerikanischen Bischöfe differenziert und kritisch
zugleich zur NATO-Strategie der Abschreckung äußerten – ein Text, den
man in diesen Tagen vielleicht wieder zu Hand nehmen sollte. Heute wäre
die Europäische Bischofskonferenz wieder mit einem großen Hirtenbrief
zum Thema Frieden dran. Sie müsste sich auch mit der Frage befassen, wie
sie die Zukunft der Ökumene mit der russisch-orthodoxen Kirche sieht,
wenn diese Putins Krieg kulturpolitisch rechtfertigt. Putin steht nicht
nur für Putin. Russland scheut jedenfalls nicht den Überfall auf
Nachbarstaaten, US-Amerika zieht sich nicht erst unter Trump mental aus
Europa zurück und wendet sich dem pazifischen Raum zu. Was hat die
Friedensbotschaft des Evangeliums unter diesen Bedingungen Europa zu
sagen? Das Evangelium bietet keine einfache Antwort. Es versteht
„Frieden“ nicht nur militärisch, als Schweigen der Waffen, sondern auch
politisch, als Frucht der Gerechtigkeit. Was das nach dem Überfall auf
die Ukraine bedeutet, muss neu ausbuchstabiert werden.
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