Pressemitteilung
„Nicht überhitzt handeln“
Die stellvertretende
wirtschaftspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Verena Hubertz, im
Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“
Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag 21. März 2022)
- bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung -
Die stellvertretende wirtschaftspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Verena Hubertz, warnt zu vorschnellen Reaktionen auf die ökonomischen Folgen des Krieges in der Ukraine. „Die Gefahr ist, dass wir durch Schnellschüsse tatsächlich in eine Wirtschaftskrise rutschen und dann wären auch Arbeitsplätze in Gefahr“, sagte die Sozialdemokratin im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag 21. März 2022). Natürlich werde der Krieg Einfluss auf die Konjunktur und das Wachstum in Deutschland haben. „Aber deshalb haben wir noch keine Wirtschaftskrise.“ Es gelte, einen kühlen Kopf zu bewahren und den Menschen und Unternehmen zielgenau zu helfen, wenn es nötig sei.
Die Wirtschaftspolitikerin betonte die Wichtigkeit von Sanktionen, auch um die Unterstützung der Bevölkerung in Russland für Präsidenten Wladimir Putin zu schwächen. Hubertz lehnte aber ein Öl-Embargo ab. Sie schloss sich in der Abschätzung der Folgen für die deutsche Wirtschaft Bundesminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) an, der vor „Lieferunterbrechungen, Armut und Massenarbeitslosigkeit“ im Falle eines Öl-Embargos gewarnt hatte. In „diesen extremen Zeiten“ müsse man „mit extremen Szenarien kalkulieren“, befürchtet Hubertz. „Wenn wir jetzt ein komplettes Embargo einleiten, könnte es durchaus zu gravierenden Folgen kommen.“
Das Interview im Wortlaut:
Das
Parlament: Frau Hubertz, die Spritpreise sind durch die Decke gegangen,
in den Supermarktregalen wird das Sonnenblumenöl knapp: Die
wirtschaftlichen Folgen des Krieges in der Ukraine bekommen nun auch
immer mehr die Menschen in Deutschland zu spüren. In der Koalition gibt
es derweil Unmut über das Vorpreschen von Finanzminister Christian
Lindner beim Thema Tankrabatte. Mit welchen Entlastungen ist zu rechnen?
Verena
Hubertz: Derzeit arbeitet eine koalitionsinterne Taskforce an weiteren
Entlastungen. Unser Ziel ist es, zielgenau die Menschen zu entlasten,
die besonders unter den hohen Energiepreisen leiden. Erste Ergebnisse
haben wir in der vergangenen Woche auf den Weg gebracht: Den
Heizkostenzuschuss haben wir von 135 auf 270 Euro verdoppelt. Diese
Entlastung kommt Wohngeld- und Bafög-Berechtigten sowie Azubis zugute –
das sind insgesamt über zwei Millionen Menschen. Außerdem haben wir die
Abschaffung der EEG-Umlage beschlossen, damit sinken die Strompreise ab
Juli deutlich. Wir dürfen aber auch die Gründe für die Teuerungen nicht
aus dem Blick verlieren. Es scheint als komme diese nicht von einer
Verknappung, sondern ist auch das Produkt von Spekulationen. Der
Rohölpreis ist verhältnismäßig stabil, aber die Gewinnmargen, die von
den Mineralölkonzernen und Zwischenhändlern abgeschöpft werden, sind
teilweise enorm. Dieses Vorgehen wird nun auch kartellrechtlich geprüft.
Um Entlastung zu erreichen, müssen wir Stabilität in drei Feldern
schaffen: Strom, Wärme und Mobilität. Beim Thema Mobilität ist uns
wichtig, nicht nur auf die Autofahrer zu schauen, sondern auch
verkehrsmittelunabhängig für Entlastungen zu sorgen.
Das Parlament: Sie lehnen den Tankrabatt also ab?
Verena
Hubertz: Für uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist
wichtig, dass wir nicht einen Tankrabatt für alle machen, der sowohl für
den Arzt als auch für die Krankenschwester gilt. Wir wollen sozial
gerechte Entlastungen: Wer weniger hat, bekommt mehr. Die Situation ist
kritisch und wir müssen schnell weitere Schritte einleiten.
Das
Parlament: Nicht nur die Verbraucherinnen und Verbraucher, auch die
Unternehmen leiden unter den Sanktionen gegen Russland und den Folgen
des Krieges in der Ukraine, unter anderem die Stahl- und die
Automobilindustrie. Es fehlen Teile und Rohstoffe, die Energiepreise
machen lohnendes Wirtschaften zum Teil unmöglich. Sollte die
Bundesregierung feste Hilfszusagen machen?
Verena Hubertz:
Natürlich brauchen auch die Unternehmen Entlastung bei den
Energiepreisen, besonders in den energieintensiven Branchen. Die
Wirtschaft kommt gerade aus der Pandemie beziehungsweise steckt noch
mittendrin und jetzt kommt der nächste Schlag. Wir sind dabei zu prüfen,
welche Liquiditätshilfen in Form von Kreditprogrammen möglich sind.
Wobei ich auch der Meinung bin: Kredite helfen zwar, aber die
Fremdkapitalaufnahmefähigkeit mancher Unternehmen ist bereits derart
strapaziert, dass da kaum noch was möglich ist.
Das
Parlament: Der Vorsitzende des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft,
Oliver Hermes, kritisiert den stetig wachsenden Druck auf Unternehmen,
die in Russland tätig sind. Wie viel politisches Engagement darf die
Politik Ihrer Meinung nach den Unternehmen abverlangen?
Verena
Hubertz: Ich finde, in dieser Zeit sollte jeder das für sich Mögliche
und Verantwortbare tun. Die Unternehmen spüren die Sanktionen und man
muss schon schauen, wem man was zumuten kann. Ich appelliere an eine
weiterhin große Solidarität, die wir nicht nur bei den Bürgerinnen und
Bürgern, sondern auch bei den Unternehmern und Unternehmerinnen sehen.
Das
Parlament: Es sind vereinzelt Stimmen aus der Politik zu hören, die
davor warnen, eine Krise in Deutschland „herbeizureden“. Die Ökonomen
und Ökonominnen korrigieren die Zahlen zum Wachstum zwar nach unten,
sagen aber auch, dass die gesamtwirtschaftlichen Verluste verkraftbar
seien. Der Krieg in der Ukraine und zwei Jahren Pandemie: Wie viel Krise
hält die deutsche Wirtschaft aus?
Verena Hubertz: An das
Thema muss mit Weitsicht herangegangen werden. Die Gefahr ist, dass wir
durch Schnellschüsse tatsächlich in eine Wirtschaftskrise rutschen und
dann wären auch Arbeitsplätze in Gefahr. Ich fordere deshalb, die
Contenance zu bewahren. Natürlich wird der Krieg auf unsere Konjunktur
und unser Wachstum Einfluss haben. Aber deshalb haben wir noch keine
Wirtschaftskrise. Und wir wissen auch nicht, wie die Situation in zwei
Monaten aussehen wird. Deswegen müssen wir jetzt auf Sicht fahren und
dürfen nicht überhitzt irgendwelche Maßnahmen rausfeuern, die mal hier
10 Milliarden und da 15 Milliarden Euro kosten sollen. Jetzt gilt es,
einen kühlen Kopf zu bewahren und zielgenau zu unterstützen, wenn es
nötig ist.
Das Parlament: Der ukrainische Präsident
Wolodymyr Selenskyj forderte am vergangenen Donnerstag in seiner
Videobotschaft an den Bundestag mehr Unterstützung durch Sanktionen und
bezeichnete die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 als „Waffe“. Sie haben
bereits die Arbeitsplätze angesprochen, Wirtschaftsminister Robert
Habeck wurde noch deutlicher und warnte im Falle eines Öl-Embargos vor
„Lieferunterbrechungen, Armut und Massenarbeitslosigkeit“ – hierzulande.
Teilen Sie diese drastische Einschätzung?
Verena Hubertz:
Wenn wir damit wirklich die Bänder zum Stehen bringen würden: Ja, dann
kann das so kommen. Das wären natürlich die extremsten Folgen, aber in
diesen extremen Zeiten muss man mit extremen Szenarien kalkulieren.
Deswegen ist es umso wichtiger zu überlegen, welchen Stein man ins
Rollen bringt und welche Auswirkungen das haben könnte. Wenn wir jetzt
ein komplettes Embargo einleiten, könnte es durchaus zu gravierenden
Folgen kommen.
Das Parlament: Denken Sie, dass die -
teilweise beispiellosen - Sanktionen, die die USA, die EU und weitere
Staaten eingesetzt haben, wie beabsichtigt wirken werden? Wie lange
müssten sie in Kraft bleiben, um eine Wirkung zu erzielen?
Verena
Hubertz: Zunächst zeigt die starke Antwort des Westens, wie eng wir
zusammenstehen. Die Welt verurteilt Putins Angriffskrieg, das ist ein
wichtiges Signal. Mit den Sanktionen treffen wir zum einen die
unmittelbar um Präsident Putin herum existierenden Machtsysteme, die
Oligarchen. Außerdem richten sich die Sanktionen gegen die russische
Wirtschaft, damit Putin seinen Krieg nicht fortsetzen kann. Letztlich
spürt auch die Bevölkerung die Folgen der Sanktionen. Damit sinkt
hoffentlich Putins Rückhalt in der russischen Gesellschaft.
Das
Parlament: Selbst wenn der Krieg in zwei Wochen vorbei wäre, müssten
die Sanktionen nicht länger laufen, um ein Umdenken herbeizuführen?
Verena
Hubertz: Bestenfalls kommen zumindest die militärischen Aggressionen
durch Friedensgespräche zu einem Ende. Jeder Tag, an dem Russland seinen
Krieg fortsetzt, steigert das Leid unschuldiger Ukrainerinnen und
Ukrainer weiter. Die Frage ist, wie es mit Russland nach Putin
weitergehen würde. Ich kann mir nur sehr schwer vorstellen, dass wir in
Zukunft mit diesem Kriegstreiber noch vertrauensvoll verhandeln können.
Das
Parlament: Welche Rolle sollten Handelsabkommen, mit politischen
Partnern wie den USA oder Kanada spielen, um eine größere Unabhängigkeit
zu erreichen?
Verena Hubertz: Bei den Erneuerbaren Energien
müssen wir zwar so autark wie möglich werden. Aber globale
Handelspartnerschaften mit Ländern, die unsere Werte teilen, sind jetzt
wichtiger denn je.
Das Gespräch führte Elena Müller.
Pressestelle
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