Die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) und die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG) haben heute auf einer Pressekonferenz in Berlin das Weißbuch Alterstraumatologie vorgestellt. Es führt die wichtigsten Schritte einer guten Versorgung von älteren Patienten mit Knochenbrüchen auf. Kern der Behandlungsempfehlungen ist die Zusammenarbeit von Unfallchirurgen und Altersmedizinern in einem multiprofessionellen Team. Damit lässt sich laut einem aktuellen Studienergebnis die Sterblichkeit älterer Patienten nach einem Oberschenkelhalsbruch um mehr als 20 Prozent senken. Daher fordern beide Fachgesellschaften unter anderem die Übernahme ihrer Empfehlungen in die Regelversorgung.
„Aufgrund der demografischen Entwicklung und der damit verbundenen rasanten Zunahme von Altersbrüchen müssen auch die Strukturen in der Alterstraumatologie mitwachsen“, betont DGU-Präsident Professor Dr. Joachim Windolf, Direktor der Klinik für Unfall- und Handchirurgie der Universitätsklinik Düsseldorf.Die Hüftfraktur, auch Oberschenkelhalsbruch genannt, ist die mit Abstand am häufigsten im Krankenhaus behandelte Fraktur. Das Durchschnittsalter dieser Patienten liegt bei über 82 Jahren. Der Unfall kann tödlich enden: 10 Prozent der Patienten sterben innerhalb der ersten 30 Tage nach ihrem Sturz. Bis zu 20 Prozent verlieren ihre Selbstständigkeit und müssen im Folgejahr in eine Pflegeeinrichtung einziehen. „Diese dramatische Mortalitätsrate müssen wir senken“, sagt DGG-Past-President Professor Dr. Jürgen M. Bauer, Ärztlicher Direktor am Agaplesion Bethanien Krankenhaus Heidelberg.
Das Ergebnis der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Studie „Prävention, Therapie und Rehabilitation osteoporotischer Frakturen in benachteiligten Populationen“ (PROFinD) zeigt das enorme Verbesserungspotential für Deutschland: Arbeiten Unfallchirurgen, Altersmediziner (Geriater), Physiotherapeuten sowie Sozial- und Pflegedienst in einem Team zusammen, sinkt die Sterblichkeit um mehr als 20 Prozent. „Diese multiprofessionelle Zusammenarbeit verbessert die Überlebensrate unsere Patienten drastisch“, sagt Professor Dr. Clemens Becker, Chefarzt der Abteilung für Geriatrie und Klinik für Geriatrische Rehabilitation des Robert-Bosch-Krankenhauses Stuttgart.
Aufgrund international vorliegender Erfahrungen haben die DGU und die DGG mit ihren Zertifizierungsinitiativen AltersTraumaZentrum DGU® (ATZ-DGU) und Alterstraumatologisches Zentrum DGG (atz-DGG) bereits seit 2014 damit begonnen, die im Weißbuch Alterstraumatologie enthaltenen Empfehlungen umzusetzen. Aktuell sind bereits über 100 Kliniken als Alterstraumazentrum zertifiziert. In diesen Kliniken werden unter anderem folgende Anforderungen erfüllt:
• Versorgung des Knochenbruchs innerhalb von 24 Stunden
• Behandlung durch ein multiprofessionelles Team
• Behandlung nach genau festgelegten Therapiestandards
• Behandlung der Begleiterkrankungen
• Anwendung einer spezifischen auf das Alter der Patienten angepassten Schmerztherapie
• Anwendung spezieller schonender OP-Techniken, die eine unmittelbare Vollbelastung nach der Operation erlauben
• Durchführung einer frühzeitigen Mobilisation, um einem weiteren Abbau des Allgemeinzustandes der Patienten entgegen zu wirken
• Durchführung einer intensiven Rehabilitation unmittelbar nach der Operation
So soll verhindert werden, dass bei alten Menschen die OP-Strapazen zu einer Verschlechterung des ohnehin schon oftmals sehr eingeschränkten Allgemeinzustandes führen und die Gefahr der dauerhaften Pflegebedürftigkeit droht. „Nur durch eine strukturierte Versorgung können Patienten rasch operiert werden, gefährliche Medikamentenkombinationen vermieden und die Delirrate gesenkt werden. Unser Ziel ist, die Selbstständigkeit und damit die Selbstbestimmung unserer Patienten zu erhalten“, sagt Professor Dr. Ulrich Liener, Leiter der DGU-Arbeitsgemeinschaft Alterstraumatologie und Leiter der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie Marienhospital Stuttgart.
Die ATZ-DGU sind verpflichtet, ihre Daten in das AltersTraumaRegister DGU® (ATR-DGU) einzupflegen. Das an die internationale Forschung angepasste ATR-DGU soll zukünftig zeigen, an welchen Stellen die Behandlungsqualität für die hochbetagten Unfallpatienten noch weiter verbessert werden kann.
Aus den von Unfallchirurgen und Altersmedizinern gewonnenen Kenntnissen und den in die Zukunft gerichteten Vorleistungen ergeben sich vier Forderungen von DGU und DGG an den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und die Leistungsträger:
Behandlung von Verletzungen im Alter durch ein multiprofessionelles Team zur Regelversorgung machen
Die gemeinsame Versorgung von Patienten durch Unfallchirurgen und Altersmediziner (Geriater) sowie das interprofessionelle Management verbessern nachweislich die Ergebnisse. Der entsprechende Mehraufwand durch diese ganzheitliche Versorgung, welcher sich direkt in der Verbesserung des Therapieerfolgs niederschlägt, muss entsprechend vergütet werden.
Qualitätssicherung und Forschung fördern durch nationales Fraktur-Register
Relevante Altersverletzungen müssen in einem nationalen Register erfasst werden. So können Versorgungsprozesse ausgewertet und der Therapieerfolg dargestellt werden. Nur ein unabhängiges nationales Register erlaubt auf der Basis von wissenschaftlichen Daten die Weiterentwicklung der Behandlungsverfahren und den Vergleich von Behandlungsergebnissen.
Knochenbrüche vermeiden durch Sekundärprävention
Die hohe Anzahl von Altersbrüchen muss durch eine konsequentere medikamentöse Osteoporose-Therapie gesenkt werden. Denn der überwiegende Teil der Patienten mit einem Hüftbruch hat bereits in den Jahren zuvor eine Fraktur erlitten, die durch Osteoporose bedingt ist. Dazu müssen Strukturen geschaffen werden, die die flächendeckende Sekundärprävention unmittelbar nach dem ersten Bruch sicherstellen.
Behandlungsergebnis verbessern durch geriatrische Frührehabilitation
Die geriatrische Frührehabilitation verbessert nachweislich das Behandlungsergebnis. Die aktuelle Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (Urteil B1 KR 19/17 R vom 19.12.2017) gefährdet die frührehabilitative Komplexbehandlung durch nicht praktikable und medizinisch unangemessenen Vorgaben. Um eine einschneidende Verschlechterung der medizinischen Versorgung und Erhöhung der Mortalität zu vermeiden, sind Korrekturen der Vorgaben notwendig.
Die Bereitstellung geriatrischer Versorgungstrukturen in der Medizin fordert auch die Gerontologin Prof. Ursula Lehr, ehemalige Direktorin des Instituts für Gerontologie der Universität Heidelberg und stellvertretende Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO). Sie sagt: „Die interdisziplinäre Behandlung, wie sie in den alterstraumatologischen Zentren durchgeführt wird, muss zur Regelversorgung werden.“
Susanne Herda, Swetlana Meier Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie e.V.
Mitteilung des idw – Informationsdienst Wissenschaft am 26.09.2018
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