Sonntag, 17. Februar 2013

„Türken“ im Deutschland des späten Mittelalters


In einem einführenden Bericht hatte gestern nnz zu einem Vortrag berichtet, der am Donnerstag im Tabakspeicher zu dem in der Titelzeile angegebenen Thema stattfand. Darin hieß es, Dr. Friedrich werde sich in seinem Vortrag mit einer weitgehend unbekannten religiösen Minderheit befassen, die in den Jahrhunderten nach der Reformation in Deutschland lebte: den Muslimen. Es mag dazu eigenartig und seltsam klingen, dass tatsächlich in den Jahrhunderten vor der Französischen Revolution immer wieder Muslime im Alten Reich lebten. Was vor allem eine Folge der kriegerischen Konflikte zwischen Kaiser und Sultan war, die auf dem Balkan, in Ungarn und in Österreich im 15. und 16. Jahrhundert immer wieder entbrannten – viele der Muslime gelangten dabei als Kriegsgefangene nach Deutschland. Wobei auch der für Mitteleuropa eigentlich fremde Begriff der Sklavenhaltung eine Rolle spielt.

Dabei muss man sich wohl lösen von herkömmlichen Vorstellungen von Krieg, Kriegsgefangenen und deren Behandlung, wenn man nach dem Vortrag von Dr. Markus Friedrich verstehen will, wie kriegerische Handlungen und deren Folgen im Mittelalter verliefen. Dr. Friedrich öffnete den Blick zurück und ich war interessierter Zuhörer.

Nun weiß man zwar von zahlreichen Kriegszügen osmanischer Aggressoren in den westeuropäischen Raum, die sogar bis in die französische Normandie führten. Als Eroberer waren die Osmanen aber vor allem an Beute interessiert, nicht an der wirtschaftlichen Weiterentwicklung der von ihnen besetzten bzw. eroberten Gebiete. Und es gelang den Aggressoren aus Kleinasien bekanntlich, zeitweise halb Europa – von Polen bis Spanien und Portugal – zu besetzen. Ganz abgesehen von Nordafrika. Bekannt ist aber auch, dass diese Kriegszüge mit einer Brutalität und Grausamkeit geführt wurden, die die bedrohten Menschen in Angst und Schrecken versetzte. Dies galt aber wohl gleichermaßen für die Heere des Kaisers und der Habsburger bei ihren Gegenzügen.

Nun weiß man zwar aus der Geschichtskenntnis relativ viel über dieses kriegerische Geschehen im Zeitraum 14. bis 17. Jahrhundert und über die Heerscharen der osmanischen Sultane und jene des Kaisers und der Fürsten im Heiligen römischen Reich deutscher Nation Man weiß aber kaum, das zu diesen osmanischen Aggressoren – oder vielfach nur Plünderern – auch Völker aus dem Südosten Europas – Rumänen, Ungarn, und Serben – gehörten, Muslime also, die gegen das christliche Abendland zu Felde zogen.

Nordhausens Stadtarchivar, Dr. Wolfram Theilemann, viele Jahr im rumänischen Siebenbürgen mit archivarischen Aufgaben befasst, war wohl die treibende Kraft zu diesen Vortrag, der das Geschichtsbild um die Zeit nach Martin Luther um das Thema Muslime in Deutschland erweiterte. Theilemann stellte auch Dr. Markus Friedrich den Zuhörern vor, der dann in seinem Vortrag eine häufig bis ins Detail gehende Vorstellung muslimischer Menschen und Vorgänge jener Zeit vermittelte, die auf langen und offenbar akribischen Studien beruhten.

Beginnend mit dem Schicksal eines in Mecklenburg um 1693 lebenden Mannes deutschen Namens (Peter Clammers ), ergründete Friedrich dessen Herkunft und ehelichen Verhältnisse, die er als Muslime ausmachte, die ursprünglich Ibrahim und Salah hießen, als Gefangene ins Alte Reich kamen, um sich schließlich zu trennen, weil Ibrahim konvertierte, während sich Salah dem Christentum verschloss. Das Ende war ausgesprochen tragisch, für das von Dr. Friedrich aufgezeigte Geschichtsbild aber aufschlussreich.
Ausgehend von diesem Einzelschicksal öffnete der Vortragende den Blick der Zuhörer auf jene Zeit, die also gekennzeichnet war von Kriegs- und Raubzügen aus dem Osmanenreich und den Abwehrbemühungen vor allem österreichischer und deutscher militärischer Einheiten. Man weiß aus der Geschichte um wechselnde Erfolge und Rückschläge auf beiden Seiten und man weiß um die dabei erlittenen Verluste an Menschen. Kaum etwas wusste man allerdings von den Gefangenen, die auf beiden Seiten gemacht wurden.

Dr. Friedrich widmete sich in seinen Studien und nun in seinem Vortrag der Entwicklung und Verbreitung des Islam zunächst im eigenen Land – ausgehend von Anatolien – und danach im afrikanischen und südeuropäischen Raum. Anschaulich und mit gebaemten Bildern untermauert schilderte er die Auseinandersetzungen mit dem Christentum, das vom Römischen Reich deutscher Nation mit Kaiser und Fürsten repräsentiert und verteidigt wurde. Hier erwähnte Dr. Friedrich einen Vorgang, in dem auch Nordhausen eine Rolle spielte. Als nämlich (1529) der Rat der Stadt Erfurt an den der Stadt Nordhausen appellierte, die Verteidigungskontingente mit Soldaten und Pferden zu unterstützen. Mit mäßigem Erfolg, wie der Vortragende bemerkte. Dagegen spielte eine „Türkensteuer“ eine Rolle, die auch Nordhausen nicht verweigern konnte. Dr. Friedrich betonte in diesem Zusammenhang, dass eben auch Thüringen von der muslimischen Bedrohung betroffen war, obwohl es ja territorial abseits der Brennpunkte lag.

Und im Zuge der europaweiten militärischen Aktionen kam nun Dr. Friedrich auf das Problem des Machtstrebens, des Beutemachens und des Menschenraubes zu sprechen, also den jeweils von den Kriegsparteien gemachten Gefangenen. Soweit solche auf deutscher Seite gemacht wurden, kamen diese nicht etwa in Lager um später nachhause entlassen zu werden, sie wurden als lebende Beute einzelner Truppenführer und Soldaten ins Reich deutscher Nation (Alte Reich) mitgenommen und im weiteren Verlauf vielfach sklavenähnlich gehalten, soweit sich diese nicht loskaufen konnten. Das Szenario, das Dr. Friedrich in diesem Zusammenhang beschrieb und in den Jahren 1680 bis 1690 ihren Höhepunkt erreichte, war geradezu abenteuerlich bis makaber. Es ging dabei neben Loskäufen um regelrechte Sklavenhalterei, Handel mit diesen Menschen, die man gelegentlich auch unteeinander Tauschte und verschenkte. Die Zuhörer wurden mit zahlreichen Einzelbeispielen bekannt gemacht, bei denen immer wieder Ibrahim und Salah Erwähnung fanden. Wer sich nicht loskaufen konnte, den erwartete ein Leben, das erst einmal ausgesprochen trist und trostloser gewesen sein soll als das Leibeigener. Dr. Friedrich schilderte demgegenüber aber auch in diesem Zusammenhang Wien zu damaliger Zeit quasi als Umschlageplatz muslimischer Schicksale, die sich – wie er ausführte – räumlich, menschlich, aber auch gesellschaftlich in jede Richtung entwickeln konnten.

Wurden diese Muslime – es dürfte sich insgesamt um einige tausend gehandelt haben - von der Bevölkerung vielfach als Exoten angesehen, gestaltete sich das Zusammenleben aus den verschiedensten Gründen – sprachliche, soziale, kulturelle – äußerst schwierig, doch konnte sich deren Lebenssituation dadurch bessern, dass sie sich im weiteren Verlauf dem Christentum gegenüber aufgeschlossen zeigten und/oder gar konvertierten. Ihre Herrschaft wertete einen solchen Übertritt als persönlichen missionarischen Erfolg, der vielfach ausgiebig gefeiert wurde. Dr. Friedrich widmete diesem Konversionsthema außerordentlich breiten Raum, entschied sich damit doch vielfach das weitere Schicksal der Gefangenen. Die ja mit der Taufe auch einen neuen Namen und damit eine neue Lebensperspektive erhielten. Wenn also die Konversion auf Überzeugung beruhte – was sehr genau geprüft wurde - war das ein außerordentlicher Akt der Genugtuung für alle Beteiligten. In der Folgezeit konnten es diese Konvertiten zu einer gewissen kreativen handwerklichen Tätigkeit bringen – stets allerdings unter der Regie ihrer Herrschaft. Andere verteidigten ihre muslimische Überzeugung und trugen ihr Schicksal. Dr. Friedrich wusste allerdings auch von Muslime, die darüber freiwillig aus dem Leben schieden. Also vor allem jene, die sich dem Christentum verweigerten und ihnen dadurch meist jede Verbesserung ihrer Lebenssituation versagt blieb. Der Vortragende machte abschließend deutlich, dass die allmählich zunehmende Bedeutung gerade konvertierter Muslime sowohl das gesellschaftliche als auch kulturelle Bild im Alten Reich bereicherte und vor allem die getauften Muslime allmählich zum Gesellschaftsbild in Deutschland gehörten.

Dem ebenso ausführlichen wie anschaulichen Vortrag folgte eine Diskussion, die vor allem durch den Beitrag des ehemaligen Nordhäuser Stadtarchivars, Dr. Peter Kuhlbrodtdurchaus geeignet war, das von Dr. Markus Friedrich geschilderte Geschehen in der Zeit vor allem nach der Zeit Luthers und dem Leben der Muslime – getauften oder auch in ihrem Glauben verbliebenen – abzurunden. Dr. Kuhlbrodt nämlich hatte einiges beizutragen über das tatsächlich von Nordhausen gestellte Kontingent an Soldaten und Pferden gegen die Aggressoren aus Kleinasien. Dr. Friedrich nahm es mit großem Interesse zur Kenntnis. Zur Verabschiedung überreichte ihm Birgit Adam, Leiterin der Stadtinformation, eine Nachbildung des Glases, das einst Martin Luther seinem Nordhäuser Freund Justus Jonas widmete.

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