Mittwoch, 6. Februar 2013

Margot Käßmann sprach im Audimax der Fachhochschule Nordhausen


Das Audimax der Fachhochschule Nordhausen erlebte gestern anlässlich des Auftritts von Prof. Dr. Dr. h.c. Margot Käßmann einen bisher nicht erlebten Rekordbesuch Nordhäuser Bürger. Der geradezu die Überlegung aufdrängte, ob es das Interesse an dem von ihr gehaltenen Vortrag zur aktuellen Lutherdekade „Reformation und Toleranz“ war, der diesen Andrang auslöste, oder „lediglich“ die Neugier auf die Person der ehemaligen Ratsvorsitzende der EKD. Immerhin: wenn die Zuhörer des ausgezeichneten Vortrags, der es wert wäre, vollinhaltlich wiedergegeben zu werden, diesen Inhalt im täglichen Leben umsetzen würden, wäre schon viel für das Zusammenleben der Menschen in Nordhausen erreicht. Ich habe jedenfalls Margot Käßmann in Berlin angemailt mit der Bitte, mir die Möglichkeit einer Veröffentlichung ihres Vortrags zu geben.
Zum Auftakt zu dieser ersten Veranstaltung im Rahmen der neuen Veranstaltungsreihe „Nordhäuser Gespräche“ ließen die Veranstalter wissen, dass es sich dabei um eine Kooperation der Evangelischen Kirche, der Stadt und Fachhochschule Nordhausen, des Theaters Nordhausen/Loh-Orchester Sondershausen GmbH und des Buchhauses Rose handelt. Und sich damit also grundsätzlich von den „Nordhäuser Gesprächen“ unterscheidet, die in unregelmäßigen Abständen von der Konrad-Adenauer-Stiftung in der Galerie der Kreissparkasse Nordhausen stattfinden. Und jeweils vom jetzigen Oberbürgermeister Dr. Klaus Zeh moderiert werden.
Zum Vortragsgehalt verhieß die Ankündigung, Margot Käßmann würde das aktuelle Jahresthema der Lutherdekade „Reformation und Toleranz“ aufgreifen und sei dafür bekannt, komplexe historisch-theologische Sachverhalte authentisch und in sehr verständlicher und klarer Weise in die Sprache und Denkzusammenhänge unserer Zeit übersetzen zu können. Und das bestätigte sie dann mit ihrem Vortrag vollauf.
Bevor es allerdings dazu kam, hatte die Fachhochschule in Erwartung dieses Besucherandrangs unter der Regie seines Pressesprechers Arndt Schelenhaus, zusätzlich eine Übertragung des Vortrags in den Hörsaal I (Gebäude 19) bewerkstelligt. Er war es dann auch, der die Veranstaltungsbesucher anregte, auch von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Und er war es auch, der im Audimax sogar einige Sitzplätze für behinderte Besucher bereit stellte. Beides erwies sich als willkommen und wurde dankend angenommen.
Prof. Dr. Jörg Wagner, Präsident der FH, begrüßte als Hausherr die Besucher und Superintendent Michael Bornschein führte danach in den zu erwartenden Vortrag Margot Käßmanns ein, die ja bekanntlich auch Botschafterin für das Reformationsjubiläum 2017 ist, zu dessen Vorbereitung u.a. auch dieser Vortrag gehörte.
Sie war in Begleitung eines Bischofs der evangelischen Kirche aus Tansania gekommen, der gleichfalls herzlich willkommen geheißen wurde und den Besuchern vor dem eigentlichen Vortrag ein Grußwort entbot. Und im Rahmen dessen die Situation der Christen in seinem Heimatland schilderte. Die denkbar prekär sei durch fundamentalistische Bedrohungen der Islamisten, die bis zur Unterdrückung und Verfolgung reichten. Während die Christen doch nur in Frieden mit allen anderen Menschen und Religionen leben wollten.
Dann also folgte der Vortrag von Margot Käßmann, die das Thema systematisch und rhetorisch hervorragend veranschaulichte. Und den Weg der evangelischen Kirche im Verlaufe von 500 Jahren seiner Entwicklung als oft außerordentlich schwierige und mühevolle Lerngeschichte hin zur Toleranz aufzeigte, die auch heute noch nicht abgeschlossen ist und steter Fortentwicklung bedarf. Sachlich, aber auch kritisch stellte sie klar, dass sich einst auch Luther nicht nur als Menschenfreund zeigte (etwa bei der Verfolgung der Täufer) und der evangelische Glaube in seiner Ausbreitung (zum Beispiel in die Schweiz) phasenweise als ausgesprochen schwierig erwies. Selbst oft verfolgt, verhielt man sich zeitweise nicht weniger intolerant und gewaltsam gegenüber Minderheiten, wenn es um Macht ging. Käßmann erinnerte an das ursprüngliche Verhältnis Luthers zu Kaiser, Reich und katholischer Kirche. Das u.a durch die Ablehnung des damals (1517) von der Kirche betriebenen Ablasshandels gekennzeichnet war. Und schließlich auch durch die Forderung Luthers auf Widerlegung seiner Lehren aus der Heiligen Schrift. Was ihm unter Berufung auf frühere Konzilsentscheidungen und die Lehrgewalt des Papsttums allerdings nicht zugestanden wurde. Seine Schriften wurden in der päpstlichen Bulle »Exsurge Domine« 1520 verurteilt, wonach die Kirche hoffte, die Sache sei damit vom Tisch. Vergeblich: Käßmann ließ die weitere Entwicklung in ihrem Vortrag Revue passieren und stellte fest, dass es auch zum Reformationsjubiläum 2017 gehören würde, sich der bleibenden Wirkungen dieser dunklen Schattenseiten der eigenen Tradition bewusst zu werden. Wir tun dies in dem Wissen um die Fehlbarkeit und Schuldverstrickungen aller Menschen, auch unserer Reformatoren. Die Vortragende streifte dabei in ihren Ausführungen auch die damalige dramatische Entwicklung in der Schweiz durch Zwingli und Calvin. Käßmann betonte, dass es ihr nicht darum geht, diese Entwicklung zu beschönigen, sondern diesen Prozess sachlich und auch kritisch zu würdigen.
Wofür nun dieses Themenjahr die beste Gelegenheit bietet, sich mit dem auseinander zu setzen, was Luther und all die anderen Reformatoren über Toleranz geschrieben und gedacht haben. Und wie ihre Ideen und ihr Handeln die modernen Konzepte von Gewissensfreiheit und Toleranz beeinflusst haben. Andererseits lädt „Reformation und Toleranz“ dazu ein, sich zu fragen, wie ein toleranter christlicher Glaube in unserer Zeit und unserer Gesellschaft und ganz konkret mit den anderen Religionen vor Ort gelebt werden kann. Käßmann umriss den inzwischen erreichten Stand der Ökumene. Die sich letztlich auch auf alle Glaubensrichtungen erstrecken sollte, die heute in Deutschland Wurzel geschlagen haben. Für die Evangelische Kirche jedenfalls plädiert sie für Offenheit und eben Toleranz, die sie auch für die Menschen untereinander anmahnt, ob sie nun einer Religion angehören oder auch nicht.
Dem Vortrag Käßmanns folgte eine von Prof. Wagner moderierte mäßig genutzte Diskussion, die mit Fragen, etwa zum Thema Beschneidung, einen Verlauf nahm, der eher akademisch verlief. Es folgte abschließend eine Präsentaktion durch Superintendent Bornschein an Margot Käßmann. Zu der u.a. die Überreichung eines Glases gehörte, das ganz offensichtlich an das freundschaftliche Verhältnis Martin Luthers zu Justus Jonas erinnerte. Und somit einmal mehr eine Verbindung Luthers zu Nordhausen darstellt. Ich werde darauf gelegentlich noch näher eingehen. Schließlich gehörte zu den Präsenten aber auch die jüngste Bucherscheinung der „Geschichte der Juden in Nordhausen“, die kürzlich von seinem Autor, Dr. Manfred Schröter, in der Flohburg vorgestellt worden war. Die Veranstaltung endete wie bei solchen Anlässen üblich, mit einem kirchlichem Lied: dem Kanon Dona nobis pacem. Ich habe schließlich der Frau des Bürgermeisters Jendricke zu danken, die mir von sich aus anbot, mir den Heimweg in ihrem Auto zu erleichtern.
Fotos: Schelenhaus/Seifert

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