Pressemitteilung
Ralph Tiesler, Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz
und Katastrophenhilfe fordert ein neues
Krisenbewusstsein in der Gesellschaft
Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 5. September 2022)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung
Ralph
Tiesler, Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und
Katastrophenhilfe, fordert, die Bevölkerung für Krisenlagen resilienter
und auch kompetenter im Umgang mit Krisen zu machen. Es gehe nicht um
Vorschriften und Verbote, sondern um die Fähigkeit zum autonomen
Handeln, betont er. Selbstschutz und Selbsthilfe müssten gestärkt
werden. „Das wollen wir als Bundesamt stärken: das positive Gefühl,
nicht ohnmächtig vor einer Situation zu stehen.“
Man müsse eine Krise
zunächst als eine Situation begreifen lernen, die zu unserem Alltag
dazugehöre. „Damit meine ich nicht, dass wir uns permanent in einer
Krise fühlen müssen. Es geht einfach darum, dass wir lernen müssen, dass
Krisen uns nicht überwältigen müssen, dass sie uns nicht ohnmächtig
machen müssen, sondern dass wir über Kompetenzen verfügen können, mit
ihnen umzugehen.“
Tiesler forderte außerdem eine bessere Zusammenarbeit von Bund und Ländern. Das im Juni eingerichtete Gemeinsame Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz sei ein echter „Meilenstein“, um die Kooperation enger zu verzahnen und um schneller handeln zu können. Eine Änderung der Zuständigkeiten betrachtet er jedoch nicht als zwingend: „Eine Föderalismusdiskussion können wir jetzt nicht gebrauchen, denn die Herausforderungen sind sehr groß, da braucht es schnelle Antworten. Bis Bund und Länder sich aber auf eine Verfassungsänderung geeinigt haben, ist zu viel Zeit ins Land gegangen. Vieles von dem, was jetzt ansteht, können wir auch auf anderem Wege erreichen. Vor dem GeKoB gab es dazu überwiegend unverbindliche politische Aussagen, aber wir haben mit der Verwaltungsvereinbarung jetzt eine rechtliche Grundlage geschaffen, die Verbindlichkeit erzeugt. Das hat eine neue Qualität.“
Das Interview im Wortlaut:
Herr Tiesler, 2016 wurde der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maziére als staatlicher Prepper bespöttelt, als er vorschlug, dass die Bürger sich zu Hause 10-Tages-Vorräte für den Notfall zulegen sollten. Würde das heute nochmal passieren?
Ich denke nicht. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigen doch, dass wir unsere Bevölkerung insgesamt für Krisenlagen resilienter machen müssen und auch kompetenter im Umgang mit Krisen. Es geht nicht nur darum, den Menschen zu sagen, was sie zu tun und zu lassen haben, sondern darum, die Fähigkeit zum autonomen Handeln zu fördern. Und dazu zählt natürlich auch eine Vorratsstrategie. Dazu gehört aber auch, den Selbstschutz und die Selbsthilfe zu stärken, durch Erste-Hilfe-Kenntnisse beispielsweise. Das Bewusstsein für diese Themen wächst immer mehr. Da arbeiten wir als BBK intensiv daran, zusammen mit unseren Partnerorganisationen vor Ort.
Auf der
Homepage des BBK spielt das Thema Selbsthilfe eine große Rolle, es gibt
sogar ein Kochbuch für Kochen ohne Strom. Erreichen diese Informationen
die Menschen auch?
Die Resonanz ist gut. Wir haben eine Hotline,
wir haben einen Selbsthilfe-Ratgeber, der extrem nachgefragt ist, weil
das Problembewusstsein und auch das Gefühl, selber kompetent sein zu
wollen, bei vielen Menschen deutlich gewachsen sind. Das wollen wir als
Bundesamt ja auch stärken: das positive Gefühl, nicht ohnmächtig vor
einer Situation zu stehen.
Haben wir uns jahrzehntelang in zu großer Sicherheit gewähnt und sind deshalb auf Krisen nicht mehr richtig vorbereitet?
Alles ist natürlich immer in seiner Zeit zu beurteilen. Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten in einem relativ krisenarmen Land gelebt, was wunderbar ist. Das hat aber dazu geführt, dass das Thema Bevölkerungsschutz nicht im Fokus stand. Das haben wir als Behörde zwar immer ein bisschen bedauert, weil wir es schon ganz gerne gesehen hätten, mit unseren Themen mehr Aufmerksamkeit zu erzielen. Jetzt stehen wir vor der Herausforderung, vieles ganz schnell nachholen zu müssen.
Sie haben jüngst gesagt, der Krisenmodus müsse alltäglicher werden. Wie macht man das, ohne Panik zu erzeugen?
Das ist die große Herausforderung. Ich glaube, man muss die Krise zunächst als eine Situation begreifen lernen, die zu unserem Alltag dazugehört. Damit meine ich nicht, dass wir uns permanent in einer Krise fühlen müssen. Es geht einfach darum, dass wir lernen müssen, dass Krisen uns nicht überwältigen müssen, dass sie uns nicht ohnmächtig machen müssen, sondern dass wir über Kompetenzen verfügen können, mit ihnen umzugehen.
Die Flut im Ahrtal liegt ein Jahr zurück. Was hat sich seitdem im Katastrophen- und Bevölkerungsschutz konkret schon verändert, abgesehen von den Absichtserklärungen?
Auch diese Absichtserklärungen sind ganz wichtig, weil sie Ausdruck eines neuen Bewusstseins sind. Ich glaube, allen ist im Augenblick klar, dass diese Katastrophe eine Zäsur gewesen ist und wir unbedingt handeln müssen. In der Kürze der Zeit haben wir unter anderem in unsere Warn-Systeme investiert und investieren weiter darin. Der bundesweite Warntag am 8. Dezember, bei dem die Bevölkerung erstmals auch testhalber über Cell Broadcast gewarnt werden soll, ist die nächste große Herausforderung für uns. Auch haben wir gelernt, dass die Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen, aber auch der Einsatz der Organisationen vor Ort viel besser werden muss. Da hat es meiner Meinung nach die größten Mängel gegeben.
Im Juni wurde nun das Gemeinsame Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz
(GeKoB) beim BBK gegründet. Ist das nur eine weitere Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter vielen oder wirklich ein Neustart?
Für mich ist das ein ganz großer Meilenstein, um die Zusammenarbeit enger zu verzahnen. Bund und Länder können sich gegenseitig hervorragend helfen, indem sie die Kommunikation verbessern und dabei insbesondere schon vor einer Krise auch in der Vorsorge Konzepte zusammen erarbeiten - und das an einem Tisch, ganz schnell und direkt. Diese Konzepte können wir dann auch in der Krise selbst nutzen, weil wir mit einem solchen Instrument wie dem GeKoB Empfehlungen erarbeiten können, die dann den Zuständigen vor Ort konkret helfen, ihre Aufgaben viel besser wahrzunehmen.
In dem Zusammenhang steht regelmäßig der Vorwurf im Raum, der Föderalismus erschwere schnelle Entscheidungen.
Eine Föderalismusdiskussion können wir jetzt nicht gebrauchen, denn die Herausforderungen sind sehr groß, da braucht es schnelle Antworten. Bis Bund und Länder sich aber auf eine Verfassungsänderung geeinigt haben, ist zu viel Zeit ins Land gegangen. Vieles von dem, was jetzt ansteht, können wir auch auf anderem Wege erreichen. Vor dem GeKoB gab es dazu überwiegend unverbindliche politische Aussagen, aber wir haben mit der Verwaltungsvereinbarung jetzt eine rechtliche Grundlage geschaffen, die Verbindlichkeit erzeugt. Das hat eine neue Qualität.
Jetzt hat auch das BBK selbst eine Neuausrichtung beschlossen. Was sind für Sie die wichtigsten Ziele des BBK in den kommenden Jahren?
In der Bund-Länder-Zusammenarbeit wollen wir die Rolle des Bundesamtes mit seiner gebündelten Fachkompetenz stärken. Ein ganz zentrales Thema für uns ist die verpflichtende Ausbildung für alle Krisenmanager. Wir wollen die Warnsysteme verbessern und natürlich auch Vorsorge betreiben, indem wir Reserven anlegen. Eine Erkenntnis der Corona-Pandemie war ja, dass unsere nationalen Reserven im Gesundheitsschutz dringend ausgebaut werden sollten.
Teil der Neuausrichtung ist auch die Reform der Trinkwassernotversorgung. Stammt die Vorsorgeplanung tatsächlich noch aus dem Kalten Krieg?
Die Vorsorgeplanung des Kalten Krieges war gar nicht so schlecht. Es gab Notbrunnen, die die Versorgung gewährleistet haben. Und das wollen wir wieder erreichen. In der Vergangenheit wurde die Trinkwassernotversorgung vor allem unter dem Aspekt des Verteidigungsfalls betrachtet. Jetzt lernen wir, gerade auch in diesem Sommer, dass Wasser ein hohes, oft knappes Gut ist. Wir haben zwar schon in den vergangenen Jahren unsere Brunnen modernisiert und ausgebaut. Aber da muss noch mehr passieren.
Bundesinnenministerin
Nancy Faeser hat im Juli von einem Neustart im Bevölkerungsschutz
gesprochen. Im Haushaltsplan 2023 wurden aber sowohl dem BBK also auch
dem THW gegenüber 2022 erhebliche Mittel gestrichen.
Faktisch
ist es erstmal keine Kürzung, sondern wir haben in den vergangenen drei
Jahren vom Konjunkturpaket gelebt. Wenn man 2019 mit dem Jahr 2023
vergleicht, haben wir fast 30 Millionen Euro mehr. Dazwischen hatten wir
eben diese Sondermittel zu Verfügung, aber die waren leider nicht
verstetigt. Allerdings wünsche ich mir, dass wir über mehr verstetigte
Haushaltsmittel verfügen können. Wir brauchen mehr Geld, ansonsten
können wir unsere Ziele nicht so mutig weiter verfolgen.
Haben Sie Sorge, dass das Thema Bevölkerungsschutz bald wieder aus dem Fokus verschwindet?
Ich
kenne diese Wellenbewegungen seit mehr als 30 Jahren. Zurzeit habe ich
das Gefühl noch nicht. Wir werden zwar gerade wieder geschüttelt durch
andere aktuelle Krisen, aber die verdeutlichen eher, dass der Bedarf da
ist.
Das Gespräch führte Claudia Heine.
Ralph
Tiesler arbeitet seit den 1990er-Jahren als Krisenmanager, hat unter
anderem die Auslandseinsätze des Technischen Hilfswerks koordiniert.
Seit Juni ist er Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und
Katastrophenhilfe (BBK).
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