| Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
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| was wird aus christlichen Orten der Erinnerung und des Gedächtnisses,
wenn Mittel schwinden und Gemeinden schrumpfen? Klaus Mertes SJ
besuchte das Konzentrationslager Bergen-Belsen in Niedersachsen und die
nicht weit gelegene Sühnekirche „vom kostenbaren Blut“. Für eine solche
Kirche gebe es in der zunehmend säkularisierten Öffentlichkeit vor Ort
immer weniger geistliches Verständnis, schreibt er in seinem Editorial
(s.u.).
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sei die ganze Kirche in Deutschland gefordert: „Sicherlich wird es auch
um Geld und Investitionen in Personal gehen. Doch im Kern geht es um
mehr. Der Ort ruft – in eine Existenzform, die sich aus dem vollen Leben
heraus bewusst auch dem Tod stellt.“ Die Themen im Oktober: Der
synodale Weg der Kirche Deutschlands ist in aller Munde. Wie aber steht
es um den von Papst Franziskus angeregten und vor einem Jahr begonnenen
synodalen Weg der Weltkirche? Igna Kramp CJ gibt Einblicke und berichtet vom diözesanen Prozess in Fulda. Markus Reif, Finanzdirektor der Erzdiözese München und Freising, rechtfertigt den Einzug der Kirchensteuer
durch den Staat. Hingegen sieht er im Umgang mit dem Geld einen „großen
Nachholbedarf hin zu einem nachvollziehbaren und transparenten
Verwaltungshandeln“. Mit dem Held Odysseus
wandelte sich die hellenistische Religiosität von der konkreten
Göttererfahrung hin zur Erzählung, zur Geschichte. Ingmar Vázquez García
zeigt anhand dreier zeitgenössischer Werke, wie der Mythos bis heute
weiterlebt. Georg Sans SJ fragt: Wie hält es Kant mit der Religion?
Als Religionsphilosoph beschäftigte Kant sich mit der Frage, welche
Anforderungen an eine Religion gestellt werden müssen, damit diese vor
der kritischen Vernunft bestehen kann. Trotz aller Kritik bewahrte er
sich immer einen Platz für den Glauben an Gott. Auf der Suche nach Glück designen viele Menschen Aspekte ihres Lebens neu. Das „Ich“ wird zur Schöpfung des eigenen Selbst. Dahinter steht ein hoher Optimierungsdruck, den Joachim Reger entlarvt und christlich reflektiert. Der emeritierte Erzbischof von Straßburg, Joseph Doré, würdigt das Werk des großen Jesuitentheologen Karl Rahner SJ.
Anlass ist die Präsentation des neunten Bandes der französischen Werke
von Rahner – auf Deutsch bis 2018 im Verlag Herder fertiggestellt. Außerdem lesen Sie im Oktober einen Essay von Klaus Mertes SJ (Antisemitismus und Israelfeindlichkeit) sowie Rezensionen aus Philosophie & Ethik, Geschichte & Biografie. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre Ihr
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| P. Stefan Kiechle SJ, Chefredakteur
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| Inhalt | |
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| | • | Klaus Mertes SJ: Bergen-Belsen |
| • | Igna Kramp CJ: Weltkirche synodal. Zur diözesanen Phase des weltkirchlichen synodalen Wegs |
| • | Markus Reif: Kirchensteuer. Die wichtigste Ertragsquelle der Kirche in Deutschland |
| • | Ingmar Vázquez García SJ: Odysseus und wir. Drei zeitgenössische Sichtweisen |
| • | Georg Sans SJ: Christentum ohne Christus. Wie hält es Kant mit der Religion? |
| • | Joachim Reger: Selbstoptimierung. Christliche Reflexion auf ein verbreitetes Ideal |
| • | Joseph Doré: Lob der Theologie. Karl Rahner SJ zu Ehren |
| • | Klaus Mertes SJ: Antisemitismus und Israelfeindlichkeit |
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| Bergen-Belsen | |
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| Editorial: Klaus Mertes SJ
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| Am
21. November 1961 weihte der Hildesheimer Bischof Heinrich Maria
Janssen in Bergen die Sühnekirche „vom Kostbaren Blut“ ein. Sie wurde
auf Wunsch der katholischen Bevölkerung vor Ort errichtet „zum
„Gedächtnis der Toten aus allen Nationen und Konfessionen des ehemaligen
Konzentrationslagers BERGEN BELSEN“. Bundespräsident Heinrich Lübke
stiftete eine Statue „Christus in der Gefangenschaft“ des Bildhauers
Joseph Krautwald. Ihr Anblick prägt den rückwärtigen Raum hinter dem
Altar. Papst Johannes XXIII. schenkte der Gemeinde einen Kelch, der bis
heute in Ehren gehalten wird. Gläubige aus der ganzen Diözese Hildesheim
wallfahrten regelmäßig zur Kirche. Der
gebührend weite Abstand der Kirche in der Stadt Belsen vom einige
Kilometer weiter entfernt liegenden Konzentrationslager Bergen-Belsen
ließ den Eindruck einer Vereinnahmung des KZ erst gar nicht aufkommen.
So entwickelten sich in aller Stille unsichtbare Bande des Gedenkens und
des Dialoges zwischen dem Kirchort und Bergen-Belsen. Ein spirituelles
Interesse von Besucherinnen und Besuchern des Konzentrationslagers,
insbesondere von Angehörigen der Ermordeten und Überlebenden, hielt sich
über die Jahre hinweg. Sie wünschten sich auch eine Möglichkeit zur
Meditation auf dem Gelände selbst nach dem Gang durch das Gräberfeld. Am
16. April 2000 wurde ein „Haus der Stille“ eingeweiht, ein
konfessionell nicht festgelegtes Gebäude aus Chromnickelstahl, Glas und
Granit, mit einem nach oben offenem Ausblick. Es steht am Rande der
Anlage, leicht verdeckt von den Zweigen der Bäume, so dass der Blick auf
das flache Gelände mit den leichten Erhebungen der Massengräber, dem
jüdischen Gedenkstein, dem polnischen Holzkreuz sowie auf die
Inschriftenwand mit dem Obelisken nicht verstellt wird. Im
November 2011 jährte sich zum 50. Mal die Kirchweih der Sühnekirche.
Der Festschrift ist zu entnehmen, wie sich Gemeindeleben, ökumenische
Kontakte und Gedenken in der Nähe von Bergen-Belsen in den letzten
Jahrzehnten gestalteten. Doch es zeichnen sich auch Entwicklungen ab,
die angesichts der gesamtkirchlichen Lage nicht überraschen: Die
Gemeinden werden schwächer, sie altern, gehen zahlenmäßig zurück.
Gewachsene Kirchorte werden in Seelsorgeeinheiten zusammengefasst. Für
eine „Sühnekirche“ in der Nähe von Bergen-Belsen gibt es in der
zunehmend säkularisierten Öffentlichkeit vor Ort immer weniger
geistliches Verständnis, da Begriff und Vorgang von „Sühne“ selbst kaum
noch verstanden werden. Das Wort wartet auf neue Übersetzung. So
entsteht ein Dilemma. Es steht beispielhaft für die Fragilität der
Zukunft des kirchlichen Gedenkens der Shoa in Deutschland. Orte wie die
Sühnekirche von Bergen können allein schon um der Opfer willen nicht
einfach aufgegeben werden. Auch international würde ein solcher Rückzug
in Israel, Polen, Frankreich oder in den Niederlanden (ein Gedenkstein
für Anne Frank liegt in Bergen-Belsen) nicht verstanden werden.
Andererseits haben die Gemeinden vor Ort nicht mehr die Kraft, den Ort
zu prägen oder wie im Falle von Bergen langfristig ein geistliches Band
zu dem „Haus der Stille“ und zu dem Gelände mit den Massengräbern zu
halten. Die Erfahrungen aus Dachau, aus der Gedenkkirche Maria Regina
Martyrum in Berlin und aus anderen vergleichbaren Orten zeigen, dass
eine solche Kirche einer Gemeinschaft bedarf, die das nahe gelegene
Lager als einen Ort begreift, der „ruft“: Ein „Ander-Ort“ (Sr. Mirjam
Fuchs), eine „Heterotopie“, ein Ort, der „in die Einrichtung der
Gesellschaft hineingezeichnet ist, sozusagen Gegenplatzierung oder
Widerlager“. Dort sind „die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur
gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet“ (Michel Foucault). Der
Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer lud kürzlich eine Gruppe von
Personen ein, die auf die eine oder andere Weise mit Bergen,
Bergen-Belsen und dem Thema das Gedenkens befasst sind. Gemeinsam
besuchten wir das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers;
„Endstation der Endlösung“ nannte es unsere Begleiterin. Das flache
Gelände, ohne Baracken, mit seinen still unter den leicht erhobenen
Hügeln liegenden Massengräbern wirkt ganz anders als Auschwitz und ist
doch damit tief verbunden. Die Worte, die ich dort hörte, lauten: Tod
und Totengedenken. In Kombination mit der Sühnekirche in Bergen stellt
sich da eine Frage nicht nur an die Gemeinde in Bergen, sondern an die
ganze Kirche in Deutschland. Sicherlich wird es auch um Geld und
Investitionen in Personal gehen. Doch im Kern geht um mehr. Der Ort ruft
– in eine Existenzform, die sich aus dem vollen Leben heraus bewusst
auch dem Tod stellt.
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