.. .der im Vorfeld der Hannover-Messe nach
Moskau gefahren war, um Russlands Präsidenten Wladimir Putin zu
interviewen. Und nach Medien-Meinung mit einem blauen Auge zurückkam.
Hatte doch der „Münchner Merkur“ in seiner Online-Ausgabe
geschrieben: „Hätte es sich nicht um ein Interview gehandelt,
sondern um einen Boxkampf, dann hätte Putin den zaghaften
Schönenborn ohne Probleme K.o. gehauen.“ (Ende des Zitats).
In einem anderen Pressebericht wird
getitelt: „Putin zerlegt ARD-Reporter“. Tatsächlich handelt es
sich bei Jörg Schönenborn aber nicht einfach um einen beliebigen
ARD-Reporter, sondern um den WDR-Chefredakteur. Den man als normaler
TV-Nutzer wohl am besten vom sonntäglichen Presseclub her kennt, in
denen er des öfteren Regie führt. Und das allein gibt schon einigen
Aufschluss über das Geschehen in Moskau.
Einfach deshalb, weil sich bei den
Gesprächen unter Journalisten offenbart, dass es bei diesen
Gesprächen und Diskussionen nie wirklich „zur Sache“ geht. Man
tauscht Meinungen aus, aber man hat noch kaum erlebt, dass es
wirklich zu harten Diskussionen oder Auseinandersetzungen kommt, es
sind im wesentlichen immer nur „Scheingespräche“. Das war nicht
immer so, aber das ist lange her. Journalisten sind zu einer
selbstgefälligen, teils sogar überhebliche Clique geworden, die
sich untereinander nichts tut, sonst aber austeilt ohne auch
einstecken zu können. Letzteres zeigt sich besonders bei
Journalisten wie Deppendorf und Co. und Bettina Schausten bei ihren
Berichten aus Berlin. Bei ihren Gesprächen mit Politikern
befleißigen sie sich einer Überheblichkeit, die manchmal schon
penetrant auf mich wirkt. Man hat sich ganz allgemein eine Position
gegenüber seinen jeweiligen Gesprächspartnern (Politikern)
geschaffen, die durch redaktionelle Überlegenheit gekennzeichnet
ist: fügt sich der Gesprächspartner nicht in das Schema der
Moderation, wird er im folgenden Bericht „fertig gemacht“. Es
fehlt die Fairneß und sachliche Ausgewogenheit: man schneidet dem
Gesprächspartner das Wort ab, lässt ihn nicht aussprechen und
bevormundet ihn. Das zeigt sich auch in vielen Interviews, in denen
es Moderatoren oft sogar an den elementarsten Anstandsregeln fehlen
lassen. Fügt sich dann ein(e) Gesprächspartner(in) nicht in dieses
Schema – siehe Katja Riemann im NDR-Interview – gerät dieses
ganze Schema durcheinander.
Und nun also gerät ein Jörg
Schönenborn mit Wladimir Putin an einen Gesprächspartner, der von
einem Schema wie es hierzulande praktiziert wird, rein gar nichts
hält. Mit diesem Gespräch wurde schnell offenkundig, dass es dem
Reporter an jeglicher Anpassungfähigkeit und Cleverness fehlte, er
geriet ins Schwimmen und konte schließlich nur noch versuchen, sich
einen erträglichen Abgang zu verschaffen. Für Putin muss dieser
Gesprächsverlauf wie ein „innerer Parteitag“ gewirkt haben.
Wenn sich aber die deutsche Presse
überwiegend einig ist in der negativen Beurteilung der
Verhaltensweise Jörg Schönenborns, dann kann ich dazu eigentlich
nur sagen, dass deren Kritik auf sie selbst zurückfällt: Wladimir
Putin hat im Gespräch mit dem WDR-Chefredakteur nur das Grundübel
im gegenwärtigen deutschen Journalismus deutlich werden lassen: den
Mangel an sachlicher und rhetorischer Kompetenz und den Respekt vor
einem „wirklichen“ Gesprächspartner. Man sollte nicht an einem
Einzelnen Kritik üben, sondern zurückfinden zu einem wirklichen
Qualitätsjournalismus, bei dem jeder Gesprächspartner eine
Herausforderung sein darf, und kein Opfer.
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