Samstag, 6. April 2013

Die Sorgfalt bleibt auf der Strecke


In einer Abhandlung zu Twitter, Facebook und anderen sozialen Netzwerken lese ich, dass sie dazu einladen, „mal eben schnell und unüberlegt das eigene Befinden in die Welt hinauszuposaunen.“ Und wenn ich als Außenstehender in Begleitberichten lese, was man dort alles von sich gibt, kommt mir die Vorstellung eines in die Millionen gehenden Posaunenchores, in dem jede und jeder sein eigener Komponist ist. Und viele von ihnen dabei noch nicht einmal die Noten kennen, um wenigstens ein Minimum an Harmonie (ich meine intellektuelles Niveau) in dieses Orchester zu bringen. Es scheint ein Spiegelbild der Intelligenz der Massen zu sein.
In einem Wirtschaftsmagazin war neulich zu lesen, dass Wirtschaft und Wissenschaft mit der Intelligenz der Massen experimentieren: „Mit >Schwarmintelligenz< können danach Unternehmen besser Ideen generieren – wenn sie das Crowdsourcing im Web richtig managen. Ich weiß zwar nicht genau, was damit gemeint ist, aber immerhin scheint Wirtschaft und Wissenschaft jenen vielmillionenenfachen Posaunenchor doch etwas Nutzbringendes für ihre Interessen abgewinnen zu können. Inzwischen wird der Sog, den zum Beispiel dieser Moloch Facebook auf (Noch-) Außenstehende ausübt derart groß, dass man sich ihm kaum mehr entziehen kann. Umso mehr, als ja nahezu alle Medien und wer weiß schon wie viele Institutionen sonst noch, diesem Sog Nachdruck verleihen.
Warum eigentlich? Ich habe aus meiner Sicht nicht den Eindruck, dass mir wesentliches fehlt oder entgeht, wenn und so lange ich kein Nutzer eines dieser zahlreichen Netzwerke bin. Und nachdem ja gerade gegenwärtig so viel von der Hitler- und Nazizeit gesprochen und geschrieben wird: Der Sog, den 1933 der Nationalsozialismus auf die Massen ausübte, scheint mir, unter den damaligen Verhältnissen, ähnlich beschaffen gewesen zu sein. Und schließlich machte sich damals auch jeder verdächtig, der nicht Mitglied der NSDAP wurde. Mit katastrophalen Folgen. Ich kenne sie noch in ihren Verläufen und Ergebnissen. Und war damals auf bestem Wege, meinen Teil dazu beizutragen (wenn ich zwei- drei Jahr älter gewesen wäre) Und ich kenne die 68-Bewegung als meinen letzten Versuch, Massen in ihrem Denken und Wollen zu verstehen. Schon deshalb ist mir seitdem jede Massenbewegung suspekt, die von jener „Schwarmintelligenz“ dominiert wird. Und staune, wie Alle sich instrumentalisieren lassen. Man weiß doch inzwischen aus den verschiedensten Anlässen, wie leicht sich etwa Massen über Facebook mobilisieren lassen. Und wie leicht es demzufolge Demagogen fallen dürfte, sich dieses Mediums zu bedienen (oder gar zu bemächtigen). Wobei ich bezeichnend finde, dass solche Einflüsse meist ins Negative tendieren. Warum mobilisiert niemand die Massen – etwa bei Facebook – um den Kriegsdrohungen aus Nordkorea in demonstrativer Weise zu begegnen? Ich bin neugierig, wohin sich diese Netzwerke – ob Twitter, Facebook oder auch Google – weiter entwickeln. Und wer sich ihrer zukünftig noch bedienen wird. Aber auch, wie lange ich jenen Sog noch zu widerstehen vermag.
Nun bin ich doch wieder ins Sinnieren gekommen. Und wollte doch eigentlich beklagen, dass die Medien in ihrer Berichterstattung immer vordergründiger und flüchtiger zu werden drohen. Und selbst die Texte in ähnlicher Weise daherkommen, nämlich mit einer Häufung orthographischer und flüchtiger Satzfehler. Und alles – und vor allem im Internet – tendiert zur Schnelligkeit, vielfach auf Kosten der Sorgfalt. Umso mehr, als man noch immer darüber Betrachtungen anstellt, was heute eigentlich Intention des Journalisten ist. Oder sein soll. Und wo seine redaktionelle Schwerpunktarbeit liegen sollte.
Ich bin schon altermäßig nicht genötigt – vielleicht auch nicht mehr in der Lage - meine Auffassung von Qualitätsjournalismus zu ändern. Noch gehöre ich einer Redaktion an, die mich animieren oder gar nötigen könnte, Schwerpunktarbeit zu leisten. Ich habe mich hier ja schon öfter mit dieser Thematik beschäftigt. Und ich finde aktuell dieses Thema in einem Interview erörtert, das der Co-Geschäftsführer der ehemaligen WAZ-Gruppe - nunmehr Funke Medien-Gruppe - Manfred Braun, der Zeitschrift „Medien-Wirtschaft“ gegeben hat. Darin fordert er von den Journalisten Nähe statt Anspruch, also vor allem lokale Bezogenheit. Für den Leser seien „lebendige und lesernahe Lokalität sowie die Berechenbarkeit der Inhalte-Platzierung“ wichtig.
Das gilt für Print-Zeitungen, in übertragenem Sinne aber natürlich auch für Internet-Zeitungen. Und es ist meines Erachtens Sache des verantwortlichen Redakteurs, diese Berechenbarkeit zu steuern. Darüber will ich mir noch weitere Gedanken machen.

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