Zum heute ergangenen Urteil des Landgerichts Neuruppin im
Verfahren gegen einen ehemaligen KZ-Wachmann des Konzentrationslagers
Sachsenhausen erklärt der Beauftragte der Bundesregierung gegen Antiziganismus und für das Leben der Sinti und Roma, Mehmet Daimagüler:
„Das
Gericht hat in der Beweisaufnahme den Leidensweg der in das KZ
Sachsenhausen verschleppten, gequälten und ermordeten Menschen in den
Mittelpunkt gestellt. Auch die Verfolgung und Ermordung von Sinti und
Roma im KZ Sachsenhausen wurden ausführlich untersucht. Dies ist
keineswegs selbstverständlich – in vielen anderen Gerichtsverfahren
waren die Hunderttausenden Opfer aus der Gruppe der Sinti und Roma gar
kein Thema oder wurden höchstens am Rande erwähnt. Stattdessen
beherrschten viel zu oft die Täter die Deutungshoheit: Demnach hätten
sie nach Recht und Gesetz gehandelt, die Opfer seien Kriminelle. Die
Folgen dieser infamen Täter-Opfer-Umkehrung wirken bis heute. Vielen
Menschen ist bis heute unbekannt, dass es einen Völkermord an den Sinti
und Roma gegeben hat, viele andere wollen es nicht wissen.
Das
Landgericht in Neuruppin hat nun die Opfer aus dem Dunkel des
Vergessens geholt und das furchtbare Unrecht und das unermessliche Leid,
das ihnen zugefügt wurde, sichtbar gemacht. Dafür gebühren dem Gericht
unser Dank und unsere Anerkennung. Das heutige Urteil müssen wir als
Anstoß für einen dringend notwendigen gesellschaftlichen Diskurs über
den Völkermord an den Sinti und Roma und die anhaltenden Folgen bis in
die Gegenwart sehen.“
Die Unabhängige Kommission Antiziganismus (UKA) hatte im vergangenen Jahr ihren Abschlussbericht vorgelegt. Darin heißt es:
„Nach
der Befreiung vom Nationalsozialismus verhinderten die ehemaligen
Täter_innen über Jahrzehnte eine Anerkennung des an Sinti_ze und
Rom_nja begangenen Völkermords. Diese verweigerte Anerkennung hat
entscheidend zum Fortwirken von Antiziganismus/Rassismus gegen Sin-ti_ze
und Rom_nja nach 1945 beigetragen und führte zu einer gravieren-den und
bis heute andauernden Schlechterstellung von Sinti_ze und Rom_nja auf
der Gesetzes- und der Umsetzungsebene in der ‚Wiedergutmachung‘. […]
Sinti_ze und Rom_nja wurde und wird durch staatliche Behörden und andere
gesellschaftliche Institutionen der Bundesrepublik Deutschland (z.B.
Polizei, Justiz, öffentliche Verwaltung, Ausländer- und Sozialbehörden,
Schulen, Jugendämter, Kirchen, Wohlfahrtsverbände) gravierendes
Unrecht zugefügt. Deshalb fordert die Kommission die Bundes-regierung
auf, einen umfassenden Prozess der Aufarbeitung dieses auch als Zweite
Verfolgung bezeichneten Unrechts einzuleiten.“
Im
Koalitionsvertrag hat sich die Bundesregierung darauf verständigt, zur
Umsetzung der EU-Roma-Strategie eine Nationale Koordinierungsstelle zu
gründen und eine unabhängige Monitoring- und Beratungsstelle für
antiziganistische Vorfälle einzurichten.
Den
Abschlussbericht der UKA „Perspektivwechsel. Nachholende Gerechtigkeit.
Partizipation. Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus“
finden Sie hier: https://www.bmi.bund.de/DE/themen/heimat-integration/gesellschaftlicher-zusammenhalt/unabhaengige-kommission-antiziganismus/unabhaengige-kommission-antiziganismus-node.html
|
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen