Verband des Fairen Handels fordert Fairen Neustart
Berlin, 02.09.2020 – Anlässlich seiner Jahrespressekonferenz fordert das Forum Fairer Handel (FFH) einen fairen Neustart nach der Covid-19-Krise, der sich an sozialen und ökologischen Kriterien ausrichten muss. Der Faire Handel in Deutschland blickt in 2020 auf 50 Jahre zurück und konnte viel bewegen. „In einem ‚normalen‘ Jubiläumsjahr wären die positiven Umsatzzahlen des Fairen Handels in Deutschland ein Grund zur Freude gewesen“, erklärt Matthias Fiedler, Geschäftsführer des Forum Fairer Handel. „Doch die Prognose für 2020 gibt uns Anlass zur Sorge und offenbart einen grundlegenden Missstand im Welthandel: Unternehmen, die sich solidarisch mit ihren Partnern zeigen und Menschen und Umwelt generell über den Profit stellen, haben im bestehenden Wirtschaftssystem das Nachsehen“, kritisiert Fiedler. „Für eine zukunftsfähige Weltwirtschaft muss das Prinzip ‚Menschen und Umwelt vor Profit‘ zum Standard werden“, erklärt Andrea Fütterer, Vorstandsvorsitzende des Forum Fairer Handel. „Doch dafür haben wir keine weiteren 50 Jahre Zeit“, ergänzt sie.
Fairer Handel im Geschäftsjahr 2019 weiterhin „im Aufwind“
Im
Geschäftsjahr 2019 gaben die Verbraucher*innen in Deutschland 1,85
Milliarden Euro für Produkte aus Fairem Handel aus. Im Vergleich zum
Vorjahr entspricht dies einem Zuwachs von 9 %. Innerhalb der letzten
sieben Jahre hat sich der Umsatz im Fairen Handel fast verdreifacht. Im
Durchschnitt gaben die Verbraucher*innen in Deutschland pro Kopf 22,23
Euro für faire Lebensmittel und Handwerksprodukte aus. „Vor dem
Hintergrund des 50-jährigen Bestehens der Fair-Handels-Bewegung in
Deutschland freuen wir uns besonders darüber, dass die ‚Pioniere‘
des Fairen Handels, die Weltläden und Weltgruppen sowie die
Fair-Handels-Unternehmen ein gutes Umsatzplus aufweisen“, erklärt
Matthias Fiedler. Die anerkannten Fair-Handels-Unternehmen vertrieben
im vergangenen Jahr fair gehandelte Waren im Wert von 226 Millionen Euro
(+ 8 %). In den Weltläden, den Fachgeschäften des Fairen Handels,
wurden Waren im Wert von 83 Millionen Euro verkauft (+ 6 %). Wie auch in
den Vorjahren wurde der größte Teil des Umsatzes mit
Fairtrade-gesiegelten Produkten generiert (1,49 Milliarden, + 9,7 %).
Fairer Kaffee: Eine relative Erfolgsgeschichte
Das
umsatzstärkste Produkt im Fairen Handel, der Kaffee, ist weiterhin auf
dem Weg aus der Nische. Doch mit 6,7 % Marktanteil in Deutschland ist
der Einfluss auf die Ungerechtigkeiten des globalen Kaffeemarktes aus
Sicht der Produzent*innen noch immer zu gering. „Der Weg zu gerechten
globalen Handelsstrukturen bleibt steinig, zumal die COVID-19-Krise die
ausbeuterischen Mechanismen entlang globaler Lieferketten sogar zum Teil
verstärkt. Sie hat drastisch offenbart, dass viele konventionelle
Lieferketten nicht krisenfest, geschweige denn fair und nachhaltig
sind“, betont Matthias Fiedler. Dass Selbstverpflichtungen von
Unternehmen nicht ausreichen, um die Ausbeutung entlang internationaler
Lieferketten zu stoppen, zeigt der konventionelle Kakaosektor. Immer
noch leben viele der weltweit ca. 5,5 Millionen Kakaobäuer*innen und
ihre Familien unterhalb der international definierten Armutsgrenze und
arbeiten Millionen Kinder unter ausbeuterischen Bedingungen auf
Kakaoplantagen – und das, obwohl die Kakaoindustrie sich schon 2001 dazu
verpflichtet hat, die schlimmsten Formen der Kinderarbeit zu beenden.
Solidarisch durch die Krise: Fairer Handel in Zeiten von Corona
Auch
die Akteure des Fairen Handels agieren im bestehenden Wirtschaftssystem
und unterliegen dabei Wettbewerbsnachteilen, weil sie viel in die
Unterstützung ihrer Handelspartner investieren. Während große
konventionelle Handelsunternehmen Aufträge stornieren, steht der Faire
Handel weiterhin zu seinen Zusagen, finanziert seine Lieferungen vor und
unterstützt seine Handelspartner auf vielfältige Weise – sei es durch
Solidaritäts- und Spendenaktionen oder mit ganz konkreten
Hilfeleistungen an Handelspartner. FFH-Vorstandsvorsitzende Andrea
Fütterer bringt den Unterschied auf den Punkt: „Fair-Handels-Unternehmen
wollen die Krise gemeinsam mit ihren Handelspartnern überstehen, nicht
auf deren Kosten.“ Von der Politik fordert sie, dass solche
zukunftstauglichen und dem Gemeinwohl verpflichteten Handelspraktiken
zur Leitlinie einer neuen Handelspolitik nach Covid-19 gemacht werden.
Prognose für 2020
Wie
fällt also die Prognose für den Fairen Handel in 2020 aus? Aufgrund der
Schließung vieler Weltläden im Frühjahr, voraussichtlicher steigender
Lieferkosten sowie Transportschwierigkeiten aus dem Globalen Süden, wird
es im Geschäftsjahr 2020 in vielen Bereichen zu Umsatzeinbußen kommen.
Obwohl sich die Lage im Lebensmittelbereich im Juni und Juli etwas
entspannt hat, bleibt die Situation trotzdem prekär. Vor allem im
Bereich Handwerk sind die Prognosen deutlich schlechter. Hier werden
Einbußen von 10 bis 20 % befürchtet. „Das ist insofern dramatisch, als
dass Handwerksproduzent*innen häufig keine andere wirtschaftliche
Tätigkeit ausüben können und selten Land für die Eigenversorgung
besitzen. Ihre Situation ist also besonders kritisch“, erklärt Andrea
Fütterer.
Fairer Neustart nach Covid-19
„Wir brauchen ein System, in dem die Differenzierung zwischen ‚fairem‘ und ‚konventionellem‘ Handel obsolet wird, weil ein nach ökologischen und sozialen Kriterien ausgerichteter Fairer Handel der Standard geworden ist“, erklärt Matthias Fiedler. Ein starkes Lieferkettengesetz und das Verbot von unfairen Handelspraktiken wären wichtige erste Schritte zu einer Handelspolitik, die den Menschen und die Natur in den Vordergrund stellt und sich damit als zukunftsfähig erweist.
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