Samstag, 26. Oktober 2019

Erinnerungen in die Gegenwart geholt

1989 wurde am „Schicksalstag“ 9. November erneut Geschichte geschrieben: An diesem Tag fiel die Mauer, und die Umwälzungen in Deutschland und in Europa waren von welthistorischer Bedeutung.

Der 30. Jahrestag des Mauerfalls nimmt die Theater Nordhausen/Loh-Orchester Sondershausen GmbH zum Anlass, in der Woche vom 5. bis zum 10. November 2019 zahlreiche Veranstaltungen stattfinden zu lassen. Diese möchten dazu anregen, sich selbst im Kontext der deutschen Geschichte wahrzunehmen, innezuhalten, nachzudenken, sich zu erfreuen, sich zu engagieren, sich einzumischen, sich zu empören und immer weiter konstruktiv an unserer demokratischen Gesellschaft weiterzuarbeiten.
Diese Einführung des Theaters Nordhausen zu dieser Woche des Erinnerns passt meines Erachtens sehr gut zu einer Rede des MdB Manfred Grund, die er am 24.10. anlässlich der Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR hielt. Deren grundsätzliche Bedeutung es mE rechtfertigt, den Mitschnitt in voller Länge wiederzugeben:

Sehr geehrte(r) Frau / Herr Präsident(in), sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
Während in diesen Tagen in Deutschland und auch weltweit 30 Jahre Mauerfall und 29 Jahre friedliche Wiedervereinigung gefeiert werden, wurde hier in Berlin am 7. Oktober der 70. Jahrestag der DDR-Gründung feierlich begangen. Festredner waren Hans Modrow und Egon Krenz. In der Einladung zu dieser Jubelveranstaltung heißt es, die DDR sei „die glücklichste Etappe in der deutschen Geschichte gewesen.“
Als 1989 Menschen in der DDR vor lauter Glück auf der Straße protestierten, wurde besagter Egon Krenz vom SED-Politbüro nach Peking geschickt, um Anschauungsunterricht im blutigen Niederschlagen von Bevölkerungsprotesten zu nehmen. Besagter Egon Krenz war auch gemeint, als Hunderttausende auf den Montags-Demos riefen: „Auf die Straßen schließt euch an – Egon ist der falsche Mann.“ ---
In einem Zeitungsbericht zu dieser 70-Jahr-Feier der DDR-Gründung heißt es dann abschließend: „Nach zwei Stunden ist der Spuk zu Ende. Die DDR ist wieder Geschichte.“
Meine Damen und Herren,
die DDR ist Geschichte, weil ihr 1989 das Staatsvolk abhandengekommen ist und wir in Frieden und Freiheit wiedervereinigt sind.
Die DDR ist Geschichte, doch der hinterlassene Spuk ist noch nicht zu Ende. Der DDR-Spuk hat bei vielen Menschen Wunden und Narben hinterlassen.
Mit dem heutigen Gesetz wollen wir die Rechtstellung der Opfer der SED-Diktatur verbessern. Wir werden Gesetze und Verwaltungsvorschriften entfristen, für heim-untergebrachte Kinder und Jugendliche den Nachweis politischer Verfolgung erleichtern. Wir wollen auch wissenschaftliche Forschung zum Thema „Zwangsadoptionen“ ermöglichen.
Uns ist dabei bewusst, dass nicht alle Wunden und Narben, die Menschen an Leib und Seele davongetragen haben, heute wieder gut zu machen sind. ---
Meine Damen und Herren,
Wir sind kurz vor der Thüringen-Wahl am kommenden Sonntag. Wie vor jeder Wahl wird wieder über Begriffe gestritten. War die DDR eine Diktatur, war sie ein Unrechtsstaat? Diese Formulierung wird vom Thüringer Ministerpräsident abgelehnt, obwohl er sich diese im Koalitionsvertrag schon einmal zu eigen gemacht hatte. Nun will er davon nichts mehr wissen.
Doch selbst in seiner Staatskanzlei teilen nicht alle seine Vergesslichkeit. Ich zitiere aus einem Schreiben, welches mich in dieser Woche aus der Thüringer Staatskanzlei zum heute zu verabschiedenden Gesetz erreichte. Unterschrieben von der Staatssekretärin Babette Winter. Sie schreibt: “Das in der DDR begangene Unrecht kann nicht wieder gut gemacht werden. Wir müssen jedoch dafür sorgen, dass die Opfer und Betroffenen, die bis heute unter den Nachwirkungen des SED-Unrechtsstaates leiden, keine Existenzsorgen haben.“ Vielen Dank an Staatssekretärin Winter für diese klaren Worte zum Thema Unrecht. -----
Denn dieser Unrechtsstaat hat Narben und Wunden und leider auch Tote hinterlassen.
Als Gesetzgeber müssen wir auch 30 Jahre nach dem Mauerfall DDR-Staatsunrecht aufarbeiten, Menschen helfen, die darunter bis heute leiden.
Nun werden manche einwenden, aber mein Leben in der DDR war nicht nur Unterdrückung, Verfolgung und Bespitzelung. Es hat doch auch Gutes gegeben, alle waren beschäftigt, alle waren (fast) gleich arm, alle haben so schön zusammengehalten. Es war doch nicht alles schlecht am Sozialismus. ---
Meine Damen und Herren,
dem wird auch gar nicht widersprochen, auch nicht mit der Zuschreibung der DDR als ein Unrechtssystem. Denn dies bedeutet keinesfalls, dass das private Leben mit dem Unrechts-Staat gleichgesetzt wird. Auch im falschen System, im falschen Staat gibt es gelungenes und auch glückliches Leben.
Denn Menschen richten sich ein, sie finden sich mit den Gegebenheiten ab, arrangieren sich, arbeiten für ihr privates Glück. Es sind diese Nischen in einer Diktatur, die das Überleben ermöglicht haben, Freiräume, die sich Menschen bewahrt haben, der Rückzug ins Private. Deshalb auch der starke Zusammenhalt in den Familien und die Freundschaften untereinander. ---
Meine Damen und Herren,
die Menschen in der DDR haben unter schwierigsten Bedingungen große Leistungen erbracht. Darauf können sie alle, können wir alle stolz sein. Aber nicht auf die Schwierigkeiten, unter denen diese Leistungen erbracht wurden, nicht auf das Unrecht, nicht auf die Verstöße gegen die Menschenrechte.
Ich will schließen mit Richard Schröder, der sagte: „Nennt es wie ihr wollt, aber vergesst nicht, wie es war.“
Auch dieses heutige Gesetz ist gegen das Vergessen gemacht. Und ja, es war nicht alles schlecht am Sozialismus in der DDR. Besonders das Ende war gut.
Vielen Dank

Soweit der Wortlaut der außerordentlich engagiert vorgetragenen Ausführungen Manfred Grunds, die – auch oder gerade im Vorfeld der angekündigten Theater-Themenwoche - wert sind, gerade noch am Tag vor der Thüringenwahl - darüber nachzudenken.

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