1989 wurde am „Schicksalstag“ 9. November erneut Geschichte geschrieben: An diesem Tag fiel die Mauer, und die Umwälzungen in Deutschland und in Europa waren von welthistorischer Bedeutung.
Der
30. Jahrestag des Mauerfalls nimmt die Theater
Nordhausen/Loh-Orchester Sondershausen GmbH zum Anlass, in der Woche
vom 5. bis zum 10. November 2019 zahlreiche Veranstaltungen
stattfinden zu lassen. Diese möchten dazu anregen, sich selbst im
Kontext der deutschen Geschichte wahrzunehmen, innezuhalten,
nachzudenken, sich zu erfreuen, sich zu engagieren, sich
einzumischen, sich zu empören und immer weiter konstruktiv an
unserer demokratischen Gesellschaft weiterzuarbeiten.
Diese
Einführung des Theaters Nordhausen zu dieser Woche des Erinnerns
passt meines Erachtens sehr gut zu einer Rede des MdB Manfred Grund,
die er am 24.10. anlässlich der
Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften
für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR hielt.
Deren grundsätzliche Bedeutung es mE rechtfertigt, den Mitschnitt
in voller Länge wiederzugeben:
Sehr
geehrte(r) Frau / Herr Präsident(in), sehr geehrte Kolleginnen und
Kollegen,
Während
in diesen Tagen in Deutschland und auch weltweit 30 Jahre Mauerfall
und 29 Jahre friedliche Wiedervereinigung gefeiert werden, wurde hier
in Berlin am 7. Oktober der 70. Jahrestag der DDR-Gründung feierlich
begangen. Festredner waren Hans Modrow und Egon Krenz. In der
Einladung zu dieser Jubelveranstaltung heißt es, die DDR sei „die
glücklichste Etappe in der deutschen Geschichte gewesen.“
Als
1989 Menschen in der DDR vor lauter Glück auf der Straße
protestierten, wurde besagter Egon Krenz vom SED-Politbüro nach
Peking geschickt, um Anschauungsunterricht im blutigen Niederschlagen
von Bevölkerungsprotesten zu nehmen. Besagter Egon Krenz war auch
gemeint, als Hunderttausende auf den Montags-Demos riefen: „Auf die
Straßen schließt euch an – Egon ist der falsche Mann.“ ---
In
einem Zeitungsbericht zu dieser 70-Jahr-Feier der DDR-Gründung heißt
es dann abschließend: „Nach zwei Stunden ist der Spuk zu Ende. Die
DDR ist wieder Geschichte.“
Meine
Damen und Herren,
die
DDR ist Geschichte, weil ihr 1989 das Staatsvolk abhandengekommen ist
und wir in Frieden und Freiheit wiedervereinigt sind.
Die
DDR ist Geschichte, doch der hinterlassene Spuk ist noch nicht zu
Ende. Der DDR-Spuk hat bei vielen Menschen Wunden und Narben
hinterlassen.
Mit
dem heutigen Gesetz wollen wir die Rechtstellung der Opfer der
SED-Diktatur verbessern. Wir werden Gesetze und
Verwaltungsvorschriften entfristen, für heim-untergebrachte Kinder
und Jugendliche den Nachweis politischer Verfolgung erleichtern. Wir
wollen auch wissenschaftliche Forschung zum Thema „Zwangsadoptionen“
ermöglichen.
Uns
ist dabei bewusst, dass nicht alle Wunden und Narben, die Menschen an
Leib und Seele davongetragen haben, heute wieder gut zu machen sind.
---
Meine
Damen und Herren,
Wir
sind kurz vor der Thüringen-Wahl am kommenden Sonntag. Wie vor jeder
Wahl wird wieder über Begriffe gestritten. War die DDR eine
Diktatur, war sie ein Unrechtsstaat? Diese Formulierung wird vom
Thüringer Ministerpräsident abgelehnt, obwohl er sich diese im
Koalitionsvertrag schon einmal zu eigen gemacht hatte. Nun will er
davon nichts mehr wissen.
Doch
selbst in seiner Staatskanzlei teilen nicht alle seine
Vergesslichkeit. Ich zitiere aus einem Schreiben, welches mich in
dieser Woche aus der Thüringer Staatskanzlei zum heute zu
verabschiedenden Gesetz erreichte. Unterschrieben von der
Staatssekretärin Babette Winter. Sie schreibt: “Das in der DDR
begangene Unrecht kann nicht wieder gut gemacht werden. Wir müssen
jedoch dafür sorgen, dass die Opfer und Betroffenen, die bis heute
unter den Nachwirkungen des SED-Unrechtsstaates leiden, keine
Existenzsorgen haben.“ Vielen Dank an Staatssekretärin Winter für
diese klaren Worte zum Thema Unrecht. -----
Denn
dieser Unrechtsstaat hat Narben und Wunden und leider auch Tote
hinterlassen.
Als
Gesetzgeber müssen wir auch 30 Jahre nach dem Mauerfall
DDR-Staatsunrecht aufarbeiten, Menschen helfen, die darunter bis
heute leiden.
Nun
werden manche einwenden, aber mein Leben in der DDR war nicht nur
Unterdrückung, Verfolgung und Bespitzelung. Es hat doch auch Gutes
gegeben, alle waren beschäftigt, alle waren (fast) gleich arm, alle
haben so schön
zusammengehalten. Es war doch nicht alles schlecht am Sozialismus.
---
Meine
Damen und Herren,
dem
wird auch gar nicht widersprochen, auch nicht mit der Zuschreibung
der DDR als ein Unrechtssystem. Denn dies bedeutet keinesfalls, dass
das private Leben mit dem Unrechts-Staat gleichgesetzt wird. Auch im
falschen System, im falschen Staat gibt es gelungenes und auch
glückliches Leben.
Denn
Menschen richten sich ein, sie finden sich mit den Gegebenheiten ab,
arrangieren sich, arbeiten für ihr privates Glück. Es sind diese
Nischen in einer Diktatur, die das Überleben ermöglicht haben,
Freiräume, die sich Menschen bewahrt haben, der Rückzug ins
Private. Deshalb auch der starke Zusammenhalt in den Familien und die
Freundschaften untereinander. ---
Meine
Damen und Herren,
die
Menschen in der DDR haben unter schwierigsten Bedingungen große
Leistungen erbracht. Darauf können sie alle, können wir alle stolz
sein. Aber nicht auf die Schwierigkeiten, unter denen diese
Leistungen erbracht wurden, nicht auf das Unrecht, nicht auf die
Verstöße gegen die Menschenrechte.
Ich
will schließen mit Richard Schröder, der sagte: „Nennt es wie ihr
wollt, aber vergesst nicht, wie es war.“
Auch
dieses heutige Gesetz ist gegen das Vergessen gemacht. Und ja, es war
nicht alles schlecht am Sozialismus in der DDR. Besonders das Ende
war gut.
Vielen
Dank
Soweit
der Wortlaut der außerordentlich engagiert vorgetragenen
Ausführungen Manfred Grunds, die – auch oder gerade im Vorfeld der
angekündigten Theater-Themenwoche - wert sind, gerade noch am Tag
vor der Thüringenwahl - darüber nachzudenken.
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