Eine Studie des MZES zeigt: Die „Mutter aller Reformen“ hat die deutsche Gesetzgebung vereinfacht und die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung erhöht. Trotzdem muss sie sich erst noch bewähren, urteilen Politikwissenschaftler.
Vor zehn Jahren, am 1. September 2006, trat der erste Teil der Föderalismusreform in Kraft. Die „Mutter aller Reformen“, wie der damalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber das Vorhaben nannte, sollte die bundesstaatliche Ordnung Deutschlands von Grund auf modernisieren und so den vielfach beklagten „Reformstau“ auflösen. Als eine Ursache des Reformstaus galt die hohe Anzahl sogenannter Zustimmungsgesetze, die die Zustimmung des Bundesrates erfordern. Da sich Bundestag und Bundesrat bei der Gesetzgebung häufig gegenseitig blockierten, sollte die von Franz Müntefering und Edmund Stoiber geleitete Reformkommission die gesetzgeberischen Zuständigkeiten von Bund und Ländern neu ordnen.Anteil der Zustimmungsgesetze ging deutlich zurück
Die Politikwissenschaftler Dr. Christian Stecker und Georg Heilmann vom Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES) der Universität Mannheim haben nun den Erfolg der Föderalismusreform untersucht. Das Ergebnis: Die Neuordnung der Kompetenzen von Bund und Ländern hat tatsächlich zu einer unkomplizierteren Gesetzgebung geführt und die politische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung erhöht. So ging der Anteil der Bundesgesetze, die die Zustimmung des Bundesrates erfordern, seit Inkrafttreten der Föderalismusreform von 55 Prozent auf rund 39 Prozent zurück.
„Grundlage unserer Analyse sind alle 4.450 Bundesgesetze, die zwischen Januar 1978 und August 2016 verkündet wurden“, erklärt Christian Stecker. „Für diese Gesetze haben wir erhoben, ob sie als Zustimmungsgesetz verabschiedet wurden und welche Zustimmungstatbestände einschlägig waren.“ Dass die Zahl der Zustimmungsgesetze vor der Reform relativ hoch war, lässt sich laut Stecker auf den ersten Absatz des Grundgesetzartikels 84 zurückführen: „Dieser Artikel löste immer dann das Zustimmungserfordernis aus, wenn ein Bundesgesetz in die Verwaltungshoheit der Länder eingriff. Mit der Föderalismusreform wurde im Artikel 84 ein Abweichungsrecht der Länder beim Gesetzesvollzug verankert. Fortan sollte der Bundesrat nur noch dann über ein absolutes Veto verfügen, wenn der Bund auf einer einheitlichen Regelung des Gesetzesvollzuges durch die Länder bestand.“
Befürchtungen der Reformkritiker bewahrheiteten sich nicht
Allerdings änderte die Reform auch den Artikel 104a des Grundgesetzes, der die Zustimmung des Bundesrates erforderlich macht, wenn Bundesgesetze zu finanziellen Verpflichtungen für die Länder führen. „Der geänderte Artikel 104a galt vielen Beobachtern als zu unklar formuliert und weit gefasst und damit als neues mögliches Einfallstor für politisch motivierte Gesetzesblockaden im Bundesrat“, sagt Christian Stecker. „Man fürchtete, die Reform würde sich quasi selbst neutralisieren.“ Die Analyse der Politikwissenschaftler zeigt, dass sich diese Befürchtung nicht bewahrheitet hat: Für weniger als vier Prozent der Bundesgesetze löste der neugefasste Artikel 104a bisher das Zustimmungserfordernis aus. Dies liegt nur geringfügig über dem Niveau, das die Wissenschaftler für die alte Fassung des Artikels vor der Reform ermittelt haben.
Ist die Reform der Gesetzgebungszuständigkeiten also tatsächlich der „große Wurf“, den Kritiker nicht für möglich gehalten haben? Das wollen Christian Stecker und Georg Heilmann so nicht unterschreiben. „Richtig ist, dass der Bund seit Inkrafttreten der Reform in starkem Ausmaß von der Möglichkeit Gebrauch macht, den Gesetzesvollzug für die Länder unverbindlich zu regeln und so Gesetze vom Zustimmungserfordernis frei hält. Gleichzeitig machen die Länder bisher kaum von ihren neuen Abweichungsrechten Gebrauch“, konstatiert Stecker. Andererseits sei die Zustimmungsquote nach der Reform nicht so stark gesunken, wie es die Änderung von Artikel 84 eigentlich habe erwarten lassen: „Aufgrund der Entschärfung von Artikel 84 hätte die Zustimmungsquote von 55 Prozent auf etwa 31 Prozent sinken müssen. Tatsächlich beobachtet werden kann jedoch nur ein Absinken auf rund 39 Prozent. Einige Reformbefürworter hatten sogar eine Halbierung der Zustimmungsquote auf rund 28 Prozent prognostiziert, was deutlich verfehlt wurde“, so der MZES-Wissenschaftler.
Zur Erklärung dieser Diskrepanz trägt die veränderte Bedeutung des Artikels 104a nur geringfügig bei, ist Stecker sicher: „Vielmehr sind einige andere Normen des Grundgesetzes, die ebenfalls das Zustimmungserfordernis auslösen, nach Inkrafttreten der Reform deutlich häufiger zum Einsatz gekommen. Ob dies auf nichtintendierte Reformfolgen oder ein verändertes Verhalten der politischen Akteure zurückgeführt werden kann, ist Gegenstand unserer aktuellen Forschung.“
Echter Härtetest steht noch aus
Darüber hinaus geben die Wissenschaftler zu bedenken, dass die amtierende große Koalition viele Konflikte bereits im Vorfeld ausräume, die ansonsten mutmaßlich im Bundesrat ausgetragen würden. „Einem echten Härtetest wird die Föderalismusreform wohl erst dann unterzogen, wenn sich eine kleinere Koalition im Bundestag einer oppositionellen Mehrheit im Bundesrat gegenübersieht“, fasst Stecker zusammen. Dies war seit Inkrafttreten der Reform bisher nur für wenige Monate unter der schwarz-gelben Bundesregierung der Fall
Katja Bär Pressestelle: Kommunikation und Fundraising, Universität Mannheim
Mitteilung des idw – Informationsdienst Wissenschaft am 31.08.2016
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