Sonntag, 18. September 2016

„Barmherzigkeit – heute!?“

MP Malu Dreyer (SPD) und Bischof Dr. Stephan Ackermann zu Gast

Vom 16. bis 18. September 2016 fand an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar (PTHV) die „Junge Akademie Barmherzigkeit3“, eine Kooperationsveranstaltung zwischen dem Lehrstuhl von Prof. Dr. Dr. Holger Zaborowski, Lehrstuhl für Geschichte der Philosophie und philosophische Ethik an der PTHV, gemeinsam mit Martin W. Ramb, Chefredakteur des „Eulenfisch“, Limburger Magazin für Religion und Bildung, und der Arbeitsstelle für Jugendseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz (afj) in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft Jugendpastoral der Orden, dem Bund der Deutschen Katholischen Jugend, der Initiative Nightfever, der Schönstattbewegung, Bonifatius und Renovabis, statt.

Bei der Akademie ging es darum, die drei Dimensionen der Barmherzigkeit für die heutige Welt zu erschließen: ihre Höhe, ihre Tiefe und ihre Weite – Barmherzigkeit hoch drei. Dazu waren junge Menschen im Alter zwischen 16 bis 28 Jahren im Heiligen Jahr der Barmherzigkeit dazu eingeladen, in fünf Kategorien ihren je eigenen Beitrag zum Thema „Barmherzigkeit – heute?!“ einzureichen. Die Preisverleihung des Wettbewerbs fand am 17.09.2016 an der PTHV statt und wurde von Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann (Speyer), Vorsitzender der Jugendkommission der Deutschen Bischofskonferenz, vorgenommen.

Was hat Politik mit Barmherzigkeit zu tun?

Die Eröffnung der „Jungen Akademie Barmherzigkeit3“ erfolgte am 16.09.2016 mit einem Podiumsgespräch zwischen Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz (SPD), Prof. Dr. Dr. Holger Zaborowski sowie Martin W. Ramb. Sie diskutierten zum Thema „Barmherzigkeit in unserer Gesellschaft“. Ziel war es zu analysieren, was Politik mit Barmherzigkeit zu tun hat, neu über den Auftrag des Christentums nachzudenken und zu überlegen, inwiefern jede/r im eigenen Alltag in der heutigen Zeit barmherzig handeln kann.

Prof. Zaborowski führte in das Gespräch ein und verdeutlichte den rund 70 anwesenden jungen Menschen und zahlreichen weiteren Gästen das zunächst bestehende Spannungsverhältnis zwischen Politik und Barmherzigkeit: „Eigentlich sagt man: Politik und Barmherzigkeit haben wenig miteinander zu tun. Die Politik ist der Gerechtigkeit und somit auch allgemeinen Prinzipien verpflichtet. Barmherzigkeit ist tätige Hilfe in einer konkreten Notsituation.“ Trotzdem gebe es zahlreiche Berührungspunkte zwischen der Politik und der Barmherzigkeit, so Zaborowski. „So gibt es Politiker, die aus Barmherzigkeit politisch handeln oder die in ihrem politischen Handeln immer auch barmherzig sind.“

Im Laufe des Gespräches zeigte sich, dass die Brücke von Barmherzigkeit zur Politik nicht so weit ist. Prof. Zabrowski fragte Ministerpräsidentin Malu Dreyer danach, was Barmherzigkeit für sie bedeute? „Es ist schon ein altmodischer Begriff“, sagte Malu Dreyer. „Seit Papst Franziskus das ‚Heilige Jahr der Barmherzigkeit‘ ausgerufen hat, ist dieser Begriff wieder im Gespräch.“ Sie selbst sei der Bergpredigt schon immer sehr verbunden gewesen. Sie übersetzt den Begriff der Barmherzigkeit im Alltag als soziale Gerechtigkeit, als Solidarität. Man habe in sich eine Orientierung, dass sich im richtigen Moment das Herz noch einmal melde. „Im rationalen Alltag erinnert mich dieses Gefühl daran, dass es Bereiche gibt, in denen Barmherzigkeit wichtig ist“, so Malu Dreyer. In der Politik sei dies in zwei konkreten Bereichen der Fall: 1. In der Flüchtlingsfrage und 2. beim Thema Globalisierung und der damit verbundenen Leistungsoptimierung.

Starke Spaltung der Gesellschaft

Auf die Frage von Prof. Zaborowski und Martin W. Ramb, weshalb Papst Franziskus aktuell das ‚Heilige Jahr der Barmherzigkeit‘ ausgerufen habe, antwortete Malu Dreyer: Einerseits seien in Rheinland-Pfalz 48 Prozent der Menschen ehrenamtlich aktiv – die Menschen in diesem Bundesland seien sehr barmherzig – auf der anderen Seite sei jedoch die Sprache härter geworden in den sozialen Netzwerken, es gebe eine starke Bereitschaft zur Gewalt und zunehmend erfolge eine Abhärtung gegenüber Bildern, etwa von ertrinkenden Menschen im Mittelmeer. Das erkläre die starke Spaltung der Gesellschaft.

Jede/r möge selbst überlegen, was es heiße, barmherzig zu handeln

Damit sich extreme Positionen nicht verfestigen, so Malu Dreyer, sei es notwendig, dass die Angst der Menschen ernst genommen werde. „Es braucht Sicherheit – innere und soziale“, erklärte Dreyer. „Dann öffnet sich auch wieder das Herz der Menschen.“ Aktuell sei die Grenze der Zumutbarkeit erreicht. „Es braucht Gewissheit, dass der Staat die Menschen schützt, damit sie ihr Leben leben können.“ Dazu helfe ein Mindestmaß an Sicherheit.

„Barmherzigkeit ist eine Haltung“, ist sich Malu Dreyer sicher. Sie als Christin habe dies von klein auf erfahren und gelernt. Auch als Politikerin agiere sie aus dem christlichen Verhalten heraus, denn Barmherzigkeit habe auch eine individuelle Komponente: Den einzelnen Menschen mit seinen Problemen zu sehen. Abschließend gab sie den jungen Zuhörern mit auf den Weg: „Christen haben einen klaren Kompass. Wir müssen gemeinsam unsere Werte verteidigen“, und weiter: „Aktuell müssen wir es als Christen schaffen, der Gesellschaft etwas Gutes zu tun. Dazu braucht es viele junge Menschen. Ich hoffe dass diese Veranstaltung zu einer Auseinandersetzung beigetragen hat, eine Haltung zu bewahren“.

Spannungsfeld von Barmherzigkeit und Gesellschaft

Ausgehend von der These: „Der Staat soll nicht barmherzig, sondern gerecht sein“, betrachtete Dr. Stephan Ackermann, Bischof von Trier, in seinem Vortrag kritisch das Spannungsfeld von „Barmherzigkeit und Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft“. Er war in seiner Rolle als Vorsitzender der Deutschen Kommission von „Justitia et Pax“ und als Ortsbischof an der PTHV und stellte die Frage nach dem Ort der Barmherzigkeit in der heutigen Zeit, nach der Spannung von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit in Kirche und Gesellschaft und nach der Kirche angesichts der Botschaft von der Barmherzigkeit Gottes.

Er nannte verschiedene Beispiele die zeigen, wie sich Ungerechtigkeiten verfestigt anstatt aufgelöst haben. Daher rät er zu der Reflexion: „Wieviel tragen wir selbst zur Ungerechtigkeit bei?“ und nannte das Beispiel der Waffenexporte. Das rechte Verhältnis zu Gott sei entscheidend. „Gott ist der Gerechte, aber er ist auch der Barmherzige“, so Dr. Ackermann. „Gott zeigt sich barmherzig, damit sich die Menschen wieder gerecht zeigen können.“ Das eine bedinge das andere. Letztlich ging er von einem Primat der Barmherzigkeit aus – gerade in Konfliktsituationen.

Information zur PTHV:
Die Philosophisch-Theologische Hochschule Vallendar (PTHV) ist eine kirchlich und staatlich anerkannte wissenschaftliche Hochschule (im Rang einer Universität) in freier Trägerschaft. Die Gesellschafter der PTHV gGmbH sind die Vinzenz Pallotti gGmbH und die Marienhaus Holding GmbH. Rund 50 Professoren und Dozenten forschen und lehren an der PTHV und betreuen etwa 390 Studierende beider Fakultäten Theologie und Pflegewissenschaft.

Verena Breitbach Pressestelle, Philosophisch-Theologische Hochschule Vallendar
Mitteilung des idw - Informationsdienst Wissenschaft am 16.09.2016

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