Pressemitteilung
Wochenzeitung „Das Parlament“: Göring-Eckardt sieht im Krieg in der Ukraine auch einen „Kampf der Systeme“
Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 11. April 2023)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung –
Bundestagsvizepräsidentin
Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen) sieht im Krieg in der
Ukraine auch einen „Kampf der Systeme, der Demokratie gegen die
Autokratie“. Die „Diktatur Russlands“ greife ein demokratisches Land an,
das sich „intensiv auf den Weg der Demokratie gemacht“ habe und dafür
auch sehr viele selbst gestellte Aufgaben wie die Korruptionsbekämpfung
erfülle, sagte Göring-Eckardt der Wochenzeitung „Das Parlament“. Dass in
der Ukraine Freiheitsrechte verteidigt werden, liege auf der Hand.
Wenn man mit Ukrainerinnen und Ukrainern rede, gehe es ihnen darum,
„dass sie die Freiheitsrechte, die demokratische Verfassung hoch
schätzen, dass sie sie verteidigen – trotz aller Gefahr für Leib und
Leben, dass sie nie wieder in einer Diktatur landen wollen, wie es viele
in der Sowjetunion erfahren haben“.
Die Grünen-Parlamentarierin
bekräftigte zugleich, dass es dabei auch „um unsere Sicherheit“ gehe.
Wenn Russland merke, dass es die Ukraine angreifen und Territorien ohne
Widerstand besetzen könne, sei das „natürlich auch eine Einladung in
Richtung anderer Länder der Europäischen Union und der Nato“.
Das Interview im Wortlaut:
Das Parlament:
Frau Göring-Eckardt, Sie waren erst vor wenigen Wochen in der Ukraine
und sagten im Februar, das Land verteidige nicht nur sich selbst,
sondern auch unsere Freiheit und Sicherheit. Was hat denn der Krieg in
der Ukraine mit unserer Freiheit zu tun?
Göring-Eckardt:
Es geht dabei ja auch um einen Kampf der Systeme, der Demokratie gegen
die Autokratie: Die Diktatur Russlands greift ein demokratisches Land an
– ein Land, das sich intensiv auf den Weg der Demokratie gemacht hat
und dafür auch sehr viele selbst gestellte Aufgaben erfüllt, zum
Beispiel die Korruptionsbekämpfung. Wir wissen, dass die Ukraine Teil
der europäischen Familie ist. Dass dort die Freiheitsrechte verteidigt
werden, liegt auf der Hand. Wenn man mit Ukrainerinnen und Ukrainern
redet, besonders mit jungen Leuten, geht es ihnen darum, dass sie die
Freiheitsrechte, die demokratische Verfassung hoch schätzen, dass sie
sie verteidigen – trotz aller Gefahr für Leib und Leben, dass sie nie
wieder in einer Diktatur landen wollen, wie es viele in der Sowjetunion
erfahren haben. Und warum es auch um unsere Sicherheit geht? Wenn
Russland merkt, dass es die Ukraine angreifen und Territorien ohne
Widerstand besetzen kann, ist das natürlich auch eine Einladung in
Richtung anderer Länder der Europäischen Union und der Nato.
Das Parlament:
Sie sagten, das Land hat sich auf den Weg zur Demokratie gemacht. Die
Bilder vom Maidan in Kiew 2014, als der Platz voller Demonstranten war,
erinnern auch die Montagsdemonstration vom 9. Oktober 1989 in Leipzig,
als Zehntausende auf die Straße gingen, ohne zu wissen, ob sie damit
Freiheit oder Leben riskieren. Sehen Sie auch solche Parallelen?
Göring-Eckardt:
Es gab schon 2004 auf dem Maidan die Orangene Revolution, bei der zum
ersten Mal junge Leute demokratische Entwicklungen in der Ukraine
eingefordert haben. Das war schon zehn Jahre vor dem Euromaidan von 2014
– den Weg Richtung Demokratie ist die Ukraine also schon viel länger
gegangen. Ich stand 2004 und 2014 auf dem Maidan, und natürlich war das
für mich mit Erinnerungen getränkt an die Demonstrationen am Ende der
DDR, ob in Leipzig, in Berlin, in Plauen, in Erfurt bei mir zu Hause. Da
gab es einen Moment, an dem sich zu einer kleinen Gruppe
Oppositioneller die Menschen drumherum mit auf den Platz stellten.
Einige hatten einen Einkaufsbeutel, sind also nach dem Einkaufen mit zur
Demonstration gegangen. Das wurde so zur Massenbewegung, die nicht mehr
in der Diktatur leben wollte, sondern in Freiheit.
Das Parlament:
Damals hieß es noch „Wir sind das Volk“; später dann „Wir sind ein
Volk“ – da wurde der Ruf nach der Vereinigung mit der Bundesrepublik
laut. Lockte da mehr das Freiheitsversprechen des Grundgesetzes oder die
Wohlstandsverheißung der D-Mark?
Göring-Eckardt: Es
war mit Sicherheit beides. Ich gehörte zu der Zeit zu denen, die es
erstmal mit einem eigenständigen, dritten Weg versuchen wollten, weil
ich fand, dass es große Vorteile haben kann, demokratische Strukturen
auszuhandeln und zu entwickeln. Es ist anders gekommen, und das
Wohlstandsversprechen war natürlich für viele sehr relevant – wobei es
manchmal auch eine etwas undifferenzierte Wahrnehmung dieses
westdeutschen Wohlstands gab.
Das Parlament: Die
Bundesrepublik war in den Jahren der Teilung immer auch der
Gegenentwurf zur DDR – und umgekehrt. Hat das Grundgesetz mit seinen
Freiheitsgarantien auch den Herrschaftsanspruch der SED in Frage
gestellt?
Göring-Eckardt: Ja, natürlich, das hat es.
Die SED war nicht nur die Staatspartei, sondern nahm für sich in
Anspruch, zu wissen, was gut für die Leute ist. Dieses „Wir wissen, was
euer Weg ist“, dieses „Wir entscheiden, ob du Abitur machen darfst und
was du studieren darfst“, „Wir entscheiden, in welche Länder du reisen
darfst und welche Bücher du lesen darfst“ – das hat alles nichts mit den
ersten Artikeln des Grundgesetzes zu tun, in denen es um die Würde und
Freiheit des Einzelnen geht bis hin zur gelebten Religionsfreiheit. Das
Grundgesetz hat in jeder Hinsicht dem widersprochen, was die SED für
sich in Anspruch genommen hat.
Das Parlament: 1990
ging es dann darum, ob die DDR dem Grundgesetz beitritt oder eine neue
Verfassung für ganz Deutschland erarbeitet und zur Abstimmung gestellt
werden soll. War es eine verpasste Chance, auf eine solche
gesamtdeutsche Verfassung zu verzichten?
Göring-Eckardt:
Auf der einen Seite war es schwer, einen solchen Weg gehen zu wollen,
weil sehr viele nationale und internationale Fragen in sehr kurzer Zeit
geklärt werden mussten und Handlungsfenster drohten kleiner zu werden.
Auf der anderen Seite sage ich klar, dass es eine Chance war, die wir
hätten nutzen sollen. Denn das hätte auch dazu geführt, dass sich die
alte Bundesrepublik nochmal fragt, ob sie unverändert so weitermachen
will. Und es hätte einen Aushandlungsprozess darüber gegeben, was man
gemeinsam wichtig findet. Im damaligen Verfassungsentwurf des Runden
Tisches sind Elemente enthalten, über die wir bis heute diskutieren.
Das Parlament: Zum Beispiel?
Göring-Eckardt:
Zum Beispiel die Frage des Rechts auf Arbeit oder des Rechts auf
Wohnen. Aber auch die Frage direkter Demokratie. Direktdemokratische
Elemente wurden dann abgetan, und jetzt lernen wir mühsam als
Bundesrepublik gemeinsam – bis hin zu den Bürgerräten, die wir gerade
einführen –, dass direktdemokratische Elemente total sinnvoll sind, um
Akzeptanz für gemeinsam vorbereitete Entscheidungen zu schaffen.
Das Parlament:
Die Erfahrung von Unfreiheit und Unterdrückung steckte auch den
Mitgliedern des Parlamentarischen Rates in den Knochen, die Weltkrieg
und zwölf Jahre NS-Diktatur hinter sich hatten. Ist das dem Grundgesetz
noch anzumerken?
Göring-Eckardt: Auf jedem Fall ist
das dem Grundgesetz anzumerken. Die Machtkonzentration auf eine Person
oder Institution hat zuvor eine sehr große Rolle gespielt. Mit dieser
Geschichte im Rücken lässt sich die parlamentarische Vielfalt und
Ländervielfalt besser verstehen als wenn man nur das Gefühl hat, alles
müsse mehrfach beraten werden, um die verschiedenen Interessen unter
einen Hut zu bringen.
Das Parlament: Für uns ist
es heute selbstverständlich, mit einer Verfassung zu leben, die
elementare Freiheitsrechte garantiert. Machen wir uns zu wenig klar,
dass diese Rechte früher auch hierzulande blutig erstritten werden
mussten?
Göring-Eckardt: Der Blick in unsere
Geschichte zeigt, wie dankbar wir für unsere heutigen Freiheiten sein
können. Dass heute wieder so viele Demokratiefeinde und
Demokratieverächter in unserem Land laut sind und entsprechende
Wahlergebnisse erzielen, lässt schon manchmal fragen, ob einige diese
Geschichte vergessen haben. Vor allem aber folgt daraus, dass wir wissen
müssen, dass Demokratie auch heute jeden Tag verteidigt werden muss.
Manchmal geht es dabei um Widerspruch bei rassistischen Sprüchen auf der
Familienfeier, ein anderes Mal um knallharte Strafverfolgung, wenn
Demokratiefeinde illegal Waffen horten.
Das Parlament:
Nochmal zu den Parallelen zwischen den Demonstrationen auf dem Maidan
und den Montagsdemos in der DDR. Solche Parallelen gibt es auch zu
heutigen Freiheitsbewegungen. Erwachsen daraus auch Verpflichtungen für
uns?
Göring-Eckardt: Dass wir es mit einer
friedlichen Revolution geschafft haben, lag an denen, die sie gemacht
haben, aber auch daran, dass wir international unter massiver
Beobachtung standen. Wenn man jetzt diejenigen überall auf der Welt
sieht, die heute unter Lebensgefahr die Demokratie verteidigen oder
erringen wollen, ist es für uns eigentlich eine Selbstverständlichkeit,
dort solidarisch zu sein und zu unterstützen, wo wir können und es
gewollt ist. Das ist eine Grundverpflichtung für uns, die wir in
Freiheit und Demokratie leben dürfen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen