Freitag, 27. Juli 2018

Deutschland und die Demokratie: eine zerrüttete Beziehung?

Wie hat sich die Zufriedenheit mit der Demokratie in Deutschland von 1977 bis 2016 entwickelt? Mit dieser Frage hat sich der FernUni-Wissenschaftler Markus Tausendpfund befasst. Zu unterscheiden ist auf jeden Fall zwischen zwei Formen der Demokratie-Zufriedenheit. Bei der „spezifischen Unterstützung“ geht es um die Leistungen, die die Demokratie erzeugt, also um die Zufriedenheit mit der Regierung und ihrer Arbeit. Die „diffuse Unterstützung“ gilt der Demokratie als Staatsform. In den Medien und in der öffentlichen Diskussion wird jedoch häufig die Unzufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit der Regierung als Unzufriedenheit mit der Staatsform gleichgesetzt.

„Von einer zerrütteten Beziehung zwischen den Deutschen und der Demokratie kann keine Rede sein.“ Zu dieser Erkenntnis ist Dr. Markus Tausendpfund gekommen, als er untersucht hat, wie sich die Zufriedenheit mit der Demokratie in Deutschland von 1977 bis 2016 entwickelt hat. Der Leiter der Arbeitsstelle Quantitative Methoden an der FernUniversität in Hagen hat zudem wichtige (individuelle) Bestimmungsfaktoren analysiert.

Zunächst muss zwischen zwei Formen der Demokratie-Zufriedenheit unterschieden werden. Bei der „spezifischen Unterstützung“ geht es um die Leistungen, die die Demokratie erzeugt, also um die Zufriedenheit mit der Regierung und ihrer Arbeit. Die „diffuse Unterstützung“ gilt der Demokratie als Staatsform.

In den Medien und in der öffentlichen Diskussion wird, so Tausendpfund, häufig die Unzufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit der Regierung als Unzufriedenheit mit der Staatsform gleichgesetzt. Dagegen können die Menschen nach seinen Worten durchaus zwischen beiden differenzieren: Weit überwiegend sehen sie die Demokratie als die beste Staatsform, sie sind mit ihr deutlich zufriedener als mit den Leistungen der Politikerinnen und Politiker.

Steigende Zufriedenheit

Bei der Zufriedenheit mit der Demokratie gibt es deutlich erkennbare Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland: Sie ist in den neuen Bundesländern niedriger als im Westen. In den 1990er Jahren lag sie im Osten bei 30 Prozent, im Westen bei 60 Prozent (die Daten des ZDF-Politbarometers, mit denen Tausendpfund arbeitete, lassen die Differenzierung nach „Demokratie“ und „Regierungsarbeit“ nicht zu). Ab 2006 ist ein langsamer Aufwärtstrend zu beobachten, der aber durch die Finanz- und Eurokrise 2008/2009 kurzfristig unterbrochen wird. „Seither haben wir einen konsequenten Anstieg, im Osten ist er etwas stärker als im Westen.“ Seit der Euro-Krise boomt die deutsche Wirtschaft, die Lebensbedingungen gleichen sich an. Die Arbeitslosenquote ist im Osten zwar höher, doch sinkt sie dort schneller. Auch bei den Einkommensunterschieden holt der Osten auf.

In den alten Bundesländern lag die Zufriedenheit mit der Demokratie Ende 2016 bei 70 Prozent, in den neuen bei 55. „Die wirtschaftliche Entwicklung hat einen besonderen Einfluss auf die Zufriedenheit mit der Regierung“, erläutert Tausendpfund.

Die Zufriedenheit mit der Demokratie dürfte aber auch mit der Sozialisation zusammenhängen: „Die älteren Ostdeutschen wurden in der DDR sozialisiert, auch dadurch ist dort die Demokratiezufriedenheit geringer“, so Tausendpfund. „Jüngere Ostdeutsche stehen der Demokratie jedoch positiver gegenüber als ältere.“

Menschen mit höherer Bildung, höherem Einkommen und höherem sozialem Status sind überall mit der Demokratie zufriedener: „Sie profitieren von der Demokratie stärker, die bessere Bildung erlaubt ihnen ein größeres Verständnis für die Komplexität der Politik. Dadurch sind sie weniger verunsichert. Bildung ist zudem ein wichtiger Faktor für die Entwicklung demokratischer Normen und Werte wie etwa Toleranz.

Thema Migration „beflügelte“ die AfD

Insgesamt geht es den Deutschen nicht schlecht. Aber warum steigt dann die Stimmenzahl der AfD? Dafür sieht Tausendpfund einen einzigen Grund: die Migrationskrise. Seit ihrer Gründung 2013 war die AfD bis 2014 eine Anti-Euro-Partei mit geringem Wählerpotential. Tausendpfund: „Dann kam die Migrationskrise. Das neue Thema hat die AfD beflügelt. Ganz besonders im Osten Deutschlands, weil Migration ein Problem ist, das es dort praktisch gar nicht gab.“ Laut Gordon W. Allport entstehen Vorurteile gegen Migrantinnen und Migranten als „Konsequenz des Nichtwissens“. Durch persönliche Erfahrungen können Vorurteile verringert werden. „Die Ostdeutschen hatten aber gar keine großen Möglichkeiten, solche Erfahrungen zu machen, weil es dort viel weniger Migrantinnen und Migranten gab. Dadurch entstanden Ängste, gepaart mit der problematischen wirtschaftlichen Situation.“

Verursacht wurde die Fluchtwelle nach Deutschland insbesondere durch den Syrienkrieg, der bereits 2012/13 begann. Dass die Bundesregierung zu spät und – nach Tausendpfunds Worten – „dilettantisch“ reagierte, habe die Zufriedenheit mit ihrer Arbeit nachhaltig beschädigt. Hinzu kam die „Lügenpresse“-Debatte.

Ähnliche Entwicklungen in anderen Staaten

Ähnlich sieht der Wissenschaftler die Entwicklung in anderen Ländern Europas. Überall führten Euro-Krise und Finanzkrise – Stichwort „Lehman Brothers“ – zu einem kurzfristig markanten Rückgang der Demokratie-Zufriedenheit. In den Staaten, die die Krise schnell beherrschten wie z.B. Skandinavien, kam es aber auch zu einer raschen „Erholung“ der Zufriedenheit. Anders in Staaten mit langanhaltenden wirtschaftlichen Problemen wie Griechenland.

Politisch problematischer als die Wirtschaftskrise war die Migrationskrise, die vor allem Länder traf, die zuvor von der Wirtschaftskrise besonders betroffen waren wie Griechenland und Italien. In Griechenland, Zypern und Spanien nahm die Zufriedenheit mit der Arbeit der Regierung und der Demokratie als Staatsform deutlich ab. Je mehr sich die Wirtschaft erholte, desto größer war der Anstieg der Zufriedenheit.

Folgen für Wahlverhalten

Die Migrationskrise hatte auch Auswirkungen auf die Wahlbeteiligung, die bei der jüngsten Bundestagswahl im September 2017 gestiegen ist. Wahrscheinlich habe davon die AfD am meisten profitiert. „Knapp 13 Prozent AfD-Stimmen sind jedoch noch weit entfernt etwa von der Situation in Italien, Frankreich oder Österreich. Aber sicher war der AfD-Einzug in den Bundestag und in Länderparlamente ein Weckruf.“ Er führt nach Tausendpfunds Worten dazu, dass einige Parteien versuchen, sich auf der rechten Seite abzusichern: „Verblüffend war, wie schnell der Asylkompromiss von CDU und CSU innerhalb der Koalition, also auch von der SPD, abgesegnet worden ist. Vor drei Jahren wäre das doch noch undenkbar gewesen. Es ist ja eigentlich das Interessante, wie die AfD andere Parteien vor sich hertreibt.“ Als wirklich erfolgversprechend sieht er solche Strategien allerdings nicht.

Vertrauen zurückgewinnen

Wie können die etablierten Parteien die Zufriedenheit mit ihrer Arbeit erhöhen? „Mehr erklären und mehr diskutieren. Es ist traurig genug, dass es die AfD dafür gebraucht hat, dass wieder mehr Debattenkultur im Bundestag herrscht, dass die Bundesregierung wieder mehr erklären muss, dass es mehr Konfrontation gibt, dass verschiedene Standpunkte offengelegt werden. Eine bestimmte Politik als ‚alternativlos‘ zu begründen ist meines Erachtens eine Bankrotterklärung.“

In Gefahr sieht Tausendpfund die Demokratie (noch) nicht: „Es gibt bei jeder rechten Demonstration – nicht nur der AfD – Gegendemonstrationen, die meistens größer sind. Wir müssen aber abwarten, wie sehr aktuelle Entwicklungen und Unwägbarkeiten die Menschen verunsichern: Trumps Verhalten, die Folgen der Handelskrise... Wenn das zu einer Rezession führt, kann es wirklich Probleme geben.“

Kritische Demokratinnen und Demokraten

Es gibt einen Begriff in der politikwissenschaftlichen Literatur: der „kritische Demokrat“ bzw. die „kritische Demokratin“. Diese idealtypische Person unterstützt die Demokratie als Staatsform, sie begegnet der aktuellen Ausgestaltung der Demokratie jedoch mit einer kritischen Haltung. Sie treibt immer wieder an und weist auf Defizite hin. Tausendpfund: „Das finde ich wichtig. Demokratie ist nie abgeschlossen, sondern ein ständiger Prozess, der immer wieder neu gelebt werden muss. Da sehe ich Deutschland auf keinem schlechten Weg.“

Susanne Bossemeyer Stabsstelle 2 – Kommunikation und ÖffentlichkeitsarbeitFernUniversität in Hagen

Mitteilung des idw - Informationsdienst Wissenschaft am 25.07.2018


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