Pressemitteilung
Rohde (SPD): Erneutes Aussetzen der Schuldenbremse möglich
Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag 28. November 2022)
- bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung -
Die
SPD hält sich die Möglichkeit offen, im kommenden Jahr erneut die
Schuldenbremse auszusetzen. „Kein Mensch weiß, was die nächsten Monate
auf uns zu kommt“, sagte der haushaltspolitische Sprecher der Fraktion,
Dennis Rohde, im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“
(Erscheinungstag: 28. November 2022) zum soeben verabschiedeten
Bundeshaushalt 2023. Gerade liefen drei Krisen parallel, nämlich die
Klimakrise, die Coronakrise und der russische Angriffskrieg gegen die
Ukraine, sagte Rohde. „Ich bin guten Mutes, dass dieser Bundeshaushalt
das nächste Jahr übersteht, aber klar ist auch: Wenn wir noch einmal
handeln müssen, dann werden wir handeln.“
Rohde hob im Übrigen die im
Haushalt 2023 abgebildeten Leistungen „für die breite Mitte der
Gesellschaft“ hervor. Er nannte umfangreiche steuerliche Entlastungen,
die „Riesen-Erhöhung“ des Kindergeldes, Einmalzahlungen an Rentner und
Studierende, den erweiterten Wohngeldanspruch sowie das 49-Euro-Ticket
und folgerte: „Ja, ich glaube, dass wir unsere Hausaufgaben an der
Stelle gemacht haben“.
Das Interview im Wortlaut
Das
Parlament: Die Koalition hat es geschafft, im Bundeshaushalt 2023
haarscharf unter der grundgesetzlichen Verschuldungsgrenze zu bleiben.
Die Opposition wirft Ihnen allerdings vor, Sie hätten einen
haushaltsrechtlich fragwürdigen Trick angewendet, indem Sie hunderte
Milliarden künftiger Schulden auf Sondervermögen verbuchen, bevor die
Schuldenbremse ab Januar wieder greift. Was entgegnen Sie darauf?
Dennis
Rohde: Die Tatsache, dass man gezielte Ausgaben über Sondervermögen
angeht, ist nicht von dieser Koalition neu eingeführt worden, sondern
war auch in den Koalitionen mit der Union immer Bestandteil der Politik.
Das ist oftmals auch sehr sinnvoll. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen:
Wenn man eine Naturkatastrophe hat und weiß, dass man für den
Wiederaufbau danach eine Summe von mehreren Milliarden einsetzen muss,
dann ist es transparent und richtig zu sagen: Wir setzen dafür die
Schuldenbremse aus und verbuchen diese Kreditermächtigungen in einem
Sondervermögen. Dann kann jeder sehen, wie viel aus dem Sondervermögen
abgeflossen ist, und die Schuldenbremse wurde einmalig ausgesetzt. Ich
glaube, so ist die Norm der Verfassung auch gedacht, und daher finde ich
alles rechtlich sauber, was wir machen.
Das Parlament:
Es hätte dennoch die Möglichkeit gegeben, um zusätzliche Mittel zu
beschaffen, entweder die Schuldenbremse im nächsten Jahr nochmals
auszusetzen oder Steuern für Spitzenverdiener zu erhöhen, wie es auch
die sogenannten Wirtschaftsweisen empfohlen haben. Beides war aber mit
Ihrem liberalen Koalitionspartner nicht zu machen. Schmerzt Sie das?
Dennis
Rohde: Wir haben einen Koalitionsvertrag geschlossen. Ein
Koalitionsvertrag besteht immer aus einem Geben und einem Nehmen. Klar
ist, dass wir in dieser Frage immer eine andere Position artikuliert
haben als die FDP. Aber am Ende muss man sich auf das einigen, was man
im Konsens hinbekommt. Insofern war die Frage, ob wir Steuern erhöhen
oder ob wir die Schuldenbremse noch einmal aussetzen, im
Koalitionsvertrag beantwortet und danach auch nicht mehr Bestandteil
unserer Verhandlungen.
Das Parlament: Nun haben Sie nicht
nur keine Steuern erhöht, der Bundestag hat sogar umfangreiche
Entlastungen für Steuerzahler beschlossen. Dafür gibt es fraglos gute
Gründe, aber Ihnen als Haushälter hat das die Arbeit sicher nicht
leichter gemacht.
Dennis Rohde: Sicherlich nicht, aber
es ist die einzig richtige Antwort auf die Krise. Ich bin der festen
Überzeugung, wenn wir jetzt nicht das Geld in die Hand nehmen würden, um
Bürgerinnen und Bürger, um Unternehmen zu entlasten, dann wären die
Folgen wesentlich teurer. Wenn Arbeitsplätze im großen Stil verloren
gehen, wenn Unternehmerexistenzen vernichtet werden, dann sind die
Kosten für den Staat viel höher. Von daher ist das, was wir gerade
machen, ökonomisch sinnvoll, auch wenn die Zahl momentan sehr groß ist.
Das
Parlament: Ihrer Fraktion liegt erklärtermaßen die soziale
Gerechtigkeit besonders am Herzen. Sehen Sie dieses Anliegen im neuen
Haushalt abgebildet?
Dennis Rohde: Ja. Wir entlasten
nicht nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wir entlasten nicht nur
Unternehmer. Wir machen eine Riesen-Erhöhung des Kindergeldes, in der
Woche der Bereinigungssitzung beschlossen und von uns direkt umgesetzt.
Wir haben die Einmalzahlungen an Rentnerinnen und Rentner, an
Studierende etatisiert. Wir weiten den Wohngeldanspruch massiv aus. Wir
schaffen ein bundesweit einheitliches 49-Euro-Ticket. Alles das ist für
die breite Mitte der Gesellschaft. Von daher: Ja, ich glaube, dass wir
unsere Hausaufgaben an der Stelle gemacht haben.
Das
Parlament: Zu den Besonderheiten des Bundeshaushalts 2023 gehört, dass
die Mittel für Investitionen gegenüber dem laufenden Jahr um fast 40
Prozent zulegen. Der Haushaltsausschuss hat hier zuletzt den schon hohen
Ansatz der Bundesregierung noch einmal deutlich erhöht. Welche
Überlegung steht dahinter?
Dennis Rohde: Wir haben sehr
zielgerichtete Investitionen. Ein Beispiel: Wir investieren 1,5
Milliarden Euro zusätzlich in die Schienen-Infrastruktur. Wenn wir
künftig CO2-neutraler reisen wollen, dann geht das nur, wenn wir Geld in
die Hand nehmen, um die Schiene zu stärken. Zweites Beispiel: Wir
investieren sehr gezielt in kommunale Einrichtungen, damit Schwimmbäder,
damit Turnhallen im Energieverbrauch deutlich gesenkt werden. All das
hilft uns zum einen, die Bauindustrie zu stabilisieren, es hilft aber
auch, die Klimaschutzziele einzuhalten. Von daher glaube ich, das sind
sehr richtige Maßnahmen, die wir ergriffen haben.
Das
Parlament: Der Bundeskanzler hat im Frühjahr den Nato-Partnern zugesagt,
dass Deutschland vom nächsten Jahr an zwei Prozent seiner
Wirtschaftsleistung für die Verteidigung bereitstellen wird. Im neuen
Bundeshaushalt sinken aber die Mittel für militärische Beschaffung. Wie
passt das zusammen?
Dennis Rohde: Wir haben ein
Hundert-Milliarden-Euro-Sondervermögen, das in den nächsten Jahren
abfließen wird. Die Vereinbarung innerhalb der Koalition, übrigens auch
mit der Union, ist, dass wir im Durchschnitt der nächsten Jahre das
Zwei-Prozent-Ziel erreichen. Jeder, der mit den großen
Investitionsvorhaben der Bundeswehr vertraut ist, weiß, dass man die
nicht von heute auf morgen umgesetzt bekommt. Aber ich bin sehr
optimistisch, dass wir eben auch mit dem Sondervermögen in den nächsten
Jahren im Schnitt auf die zwei Prozent kommen werden.
Das
Parlament: Der Bund wird dem Haushaltsansatz zufolge im nächsten Jahr
mehr als doppelt so viel Zinsen für seine Schulden zahlen müssen wie im
laufenden Jahr. Und das ist wahrscheinlich erst der Anfang. Wie wollen
Sie verhindern, dass diese Entwicklung außer Kontrolle gerät?
Dennis
Rohde: Es ist richtig, wir haben eine wesentlich höhere Zinsbelastung
im Bundeshaushalt, wir hatten aber auch eine historisch niedrige
Belastung des Bundeshaushaltes in den letzten Jahren. Am Ende setzen
nicht wir die Zinsen fest, sondern die Zinsen ergeben sich aus der
Marktsituation. Wir können nur heute dafür Vorsorge treffen, indem wir
den Zinsansatz im Haushalt so etatisieren, wie er zu etatisieren ist.
Das
Parlament: In den letzten Jahren hat es mehrfach Nachtragshaushalte
gegeben, zuletzt wegen der Folgen des russischen Angriffs auf die
Ukraine, davor wegen Corona. Sollte im nächsten Jahr erneut zusätzliches
Geld benötigt werden, werden Sie dann die Schuldenbremse doch
aussetzen?
Dennis Rohde: Erst einmal haben wir
beschlossen, einen Haushalt unter Einhaltung der Schuldenbremse auf den
Weg zu bringen. Kein Mensch weiß, was die nächsten Monate auf uns
zukommt. Wir haben ja nicht nur eine Krise, wir haben drei Krisen, die
gerade parallel laufen: Die Klimakrise, die Coronakrise und den
russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Ich bin guten Mutes, dass
dieser Bundeshaushalt das nächste Jahr übersteht, aber klar ist auch:
Wenn wir noch einmal handeln müssen, dann werden wir handeln.
Das
Parlament: Zum Schluss noch eine eher sportliche Frage: In der
sogenannten Bereinigungssitzung, in der der Haushaltsausschuss letzte
Hand an den Regierungsentwurf anlegt, haben Sie mit rund 18 Stunden
einen neuen Rekord aufgestellt. Wie fühlt sich ein solcher
Sitzfleisch-Marathon an?
Dennis Rohde: Wir hatten viele
Faktoren, die da hereingespielt haben, zum Beispiel viele namentliche
Abstimmungen, die zu Unterbrechungen geführt haben. Wir werden
sicherlich mit dem Präsidium über den Plenarablauf sprechen, damit wir
das beim nächsten Mal besser hinbekommen. Ich glaube, auf 18 Stunden
muss keiner stolz sein. Unser Ziel sollte sein, dass wir in Zukunft
wieder etwas ökonomischer mit unserer Zeit umgehen.
Dennis Rohde ist haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Der 36-Jährige sitzt seit 2013 im Bundestag.
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