| Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
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| Große
Reiche sind immer gescheitert, das zeigt ein Blick in die Geschichte.
Das Reich Roms scheiterte an innerem Zerfall. Das Reich Karls des Großen
zerfiel mit dessen Tod. Im Kolonialismus wollten europäische Mächte
ihre Imperien ausweiten, mit viel militärischer, kultureller und auch
religiöser Gewalt – die Folgen sind bis heute sichtbar und drängen
danach, aufgearbeitet zu werden. Jesus von Nazareth setzte dem entgegen:
„Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei Euch aber soll es nicht so sein“ (Mt 20,25).
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| Die Kirchen aber beteiligten sich oft an imperialistischen Systemen, derzeit dient sich die Spitze der russischen Orthodoxie Putin an. Lernen Christen nichts aus der Geschichte? Mehr darüber lesen Sie in meinem neuen Editorial. Die Themen im November: Neustart für die Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs:
Lars Castellucci MdB, Beauftragter für Kirchen und
Religionsgemeinschaften der SPD, fordert „mehr Verbindlichkeit, mehr
Tempo und endlich Konsequenzen“. Sexuelle Bildung in Schulen
oder in kirchlichen Einrichtungen erfolgt oft in Kooperation mit
Vereinen. Einige davon präsentieren ihre Programme als christlich
motiviert. Martin Blay setzt sich kritisch mit den Angeboten
auseinander. Die
Fortschritte der modernen Quantenphysik haben das Verständnis von
Materie (und was sie zusammenhält) auf den Kopf gestellt. Ausgehend von
der Frage, was mit dem Leib und der Seele Verstorbener geschieht, untersucht Norbert Scholl die theologischen Konsequenzen. Im Osten Deutschlands beobachtet Thomas Pogoda eine zunehmend marginalisierte katholische Kirche in einer säkularen Mehrheitsgesellschaft. Wie können die wenigen verbleibenden Christen Zeugnis geben von der Frohen Botschaft? Warum brauchen wir Priester?
Seit dem Synodalen Weg steht die Frage im Raum, ob es überhaupt
weiterhin ein Sakrament der Priesterweihe geben soll. Klaus Mertes SJ
gibt Antworten auf Basis der Bibel und benennt Aufgaben für die
Priesterausbildung. Am 6. November jährt sich der Tod des Komponisten Heinrich Schütz
zum 350. Mal. Der kursächsische Hofkapellmeister nimmt einen
überragenden Rang in der Geschichte der Kirchenmusik ein, wie Stefan
Klöckner von der Folkwang-Universität der Künste begründet. Was macht der Krieg mit Dichtern
und was machen Dichter mit dem Krieg? Philipp Adolphs zeigt, auch
anhand ukrainischer Beispiele, wie Kriege die Art zu schreiben
wesentlich beeinflussten. Gleichzeitig beeinflusst die Lyrik ihre Leser:
zum Guten aber auch zum Schlechten. Außerdem lesen Sie im November einen Essay von Klaus Mertes SJ (Aufregung um Karl May) sowie Rezensionen aus Theologie & Kirche, Politik & Gesellschaft. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre Ihr
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| P. Stefan Kiechle SJ, Chefredakteur
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| Inhalt | |
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| | • | Lars Castellucci: Aufarbeitung. Mehr Verbindlichkeit, mehr Tempo und endlich Konsequenzen |
| • | Martin Blay: Zwischen Korrelation und Konfrontation. Christlich orientierte Programme sexueller Bildung |
| • | Norbert Scholl: Wo sind die Toten? Gedanken zu Allerseelen |
| • | Thomas Pogoda: Verflochtene Wirklichkeit. Zur Sakramentalitätder Konfessionsfreien im Osten Deutschlands |
| • | Klaus Mertes SJ: Wozu brauchen wir Priester? |
| • | Stefan Klöckner: Der Musicus poeticus. Zum 350. Todestagvon Heinrich Schütz |
| • | Philipp Adolphs: Lyrik im Krieg. Zwischen Traumabewältigung und Propaganda |
| • | Klaus Mertes SJ: Aufregung um Karl May |
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| Vom Ende der Imperien | |
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| Editorial: Stefan Kiechle SJ
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| „Reich“
– von keltisch -rig (Macht); lateinisch imperium – meint eine
Herrschaftsordnung und ein Herrschaftsgebiet. Im Heiligen Römischen
Reich sprach man von „Kaiser und Reich“ und meinte damit den Herrscher
und die von ihm abhängenden Völker. Ein Reich – im positiven Sinn – wird
geleitet mit Autorität und Recht, und es übt im doppelten Sinn Gewalt
aus: durch staatliche Befugnis und durch physischen Zwang, wo dieser zur
Erhaltung der Ordnung nötig ist. In aller Regel verspricht ein Reich,
Frieden durchzusetzen gegen Chaos. Schaut
man jedoch in die Geschichte, so sind Reiche immer gescheitert; wenige
Beispiele mögen genügen: Das römische Imperium vergrößerte sich über
Jahrhunderte mit viel Gewalt, es beherrschte fremde Völker und
unterjochte sie – Palästina zur Zeit Jesu ist nur ein Beispiel unter
vielen; das Reich Roms scheiterte an innerem Zerfall, und in das
Machtvakuum drangen fremde Völker ein und versuchten, neue Imperien zu
errichten. Oder: Karl der Große versuchte, auch mit Gewalt – man denke
nur an die „Sachsenmission“ – ein neues römisches Reich zu errichten;
mit seinem Tod zerfiel es. Oder: Karl V., wieder mit dem Traum des
Imperium Romanum, versuchte, mit vielen Kriegen sein Riesenreich als
katholisches zusammenzuhalten, gegen die Irrlehren der Zeit und gegen
die Zersplitterung Europas; noch vor seinem Tod scheiterte er. Auch im
Kolonialismus wollten europäische Mächte ihre Imperien mit
außereuropäischen Gebieten ausweiten und auf diese Weise zu Weltmächten
aufsteigen, mit viel militärischer und kultureller, ja auch mit
religiöser Gewalt; die grausigen Folgen sind bis heute sichtbar und
drängen danach, aufgearbeitet zu werden. Das 20. Jahrhundert überbietet
alle vorigen nochmals an imperialen Schrecken: Der Nationalsozialismus
versprach ein „Tausendjähriges Reich“ und kollabierte nach zwölf Jahren
im Inferno der Shoa und des Weltkrieges. Der Kommunismus sowjetischer
Prägung ermordete weitere Millionen Menschen und zerfiel nach wenigen
Jahrzehnten. Imperien
haben den Hang zur Herrenvolk-Ideologie, zur internen Gewalt gegen
jedwede Opposition und zur stetigen Expansion. Sie vereinnahmen ihr Volk
und die ihnen unterworfenen Völker. Sie wollen Hegemonie erringen, denn
sie fühlen sich bedroht durch Nachbarn, über die sie keine Kontrolle
haben; deshalb haben sie einen Hang zur Weltbeherrschung. Sie behaupten
eine Ideologie der höheren Moral oder Kultur oder Religion – oder gar
Rasse – des eigenen Volkes, mit welcher sie „zu Recht“ Nachbarvölker
erobern und beherrschen wollen. Sie konstruieren ihr Geschichtsnarrativ,
um damit Expansion und Unterdrückung zu rechtfertigen. Dass imperiales
Denken regelmäßig wiederkehrt, zeigt derzeit Russland. Man muss kein
Prophet sein, um zu sagen, dass es scheitern wird wie alle Imperien
zuvor. Vor
2000 Jahren spielte Jesus von Nazareth auf das römische Imperium an:
„Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die
Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei Euch aber soll
es nicht so sein…“ (Mt 20,25 f.). Allzu oft in der Geschichte war es
jedoch genau „so“: Die Kirchen glichen sich dem Imperiumsgedanken an.
Sie stellten sich den Imperien zu Verfügung, schon dem römischen Reich
unter Konstantin, auch den Reichen Karls des Großen und Karls V.,
ähnlich im Kolonialismus, im Kommunismus. Einige Christen unterstützten
selbst die Nazis. Derzeit dient sich die Spitze der russischen
Orthodoxie Putin an. Hoftheologen sind nicht verlegen, die passende
religiöse Ideologie vorzutragen und das Imperium theokratisch zu
rechtfertigen. Kirchenfürsten schämen sich nicht, Imperien zu
beweihräuchern und sich in ihrem Reichtum und Glanz zu sonnen. Lernen
Christen nichts aus der Geschichte? Warum
können die Völker, Ethnien und Religionen nicht in Frieden miteinander
leben? Nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs definierte die
Weltgemeinschaft das Selbstbestimmungsrecht der Völker als grundlegend.
Das Christentum ist einerseits kein Reich dieser Welt; es hält Distanz
zur staatlichen Macht, auch dann, wenn diese die Menschenrechte und das
Völkerrecht respektiert und umsetzt. Umso mehr verurteilt es
andererseits Unrecht und Ausbeutung, Gewalt und Krieg. Es verneint
Imperien, die arrogant sind und lügnerisch, religiös intolerant und
hegemonial, autoritär und expansiv. Christen warten auf Gottes Reich,
das alle irdischen Reiche überwinden und Gerechtigkeit und Frieden
schaffen wird. Das
Gegenmodell des Imperiums wäre der Verbund von Völkern, etwa die
Europäische Union: Völker bilden frei und aus eigenem Willen – im
Wortsinn demokratisch – Staaten; dabei können auch mehrere Völker oder
Volksgruppen gemeinsam einen Staat bilden. Sodann schließen sich mehrere
Staaten frei zusammen, um sich gegenseitig zu unterstützen und nach
außen gemeinsam aufzutreten. Neue Staaten können sich dem Verbund
anschließen, umgekehrt können Mitglieder auch wieder austreten. Kein
Staat in der Staatenunion dominiert den anderen. Gewalt wird sowohl in
jedem Staat wie auch im Verbund der Staaten geteilt, rechtsstaatlich
begrenzt und kontrolliert. Imperien mögen vergehen.
Staatengemeinschaften stehen für eine Vision, deren Sinn für das Reich
Gottes offen ist.
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