Mit
großer Betroffenheit und Trauer habe ich die Nachricht vom Tod unseres
geschätzten Mitbruders und Freundes, Kardinal Karl Lehmann, aufgenommen.
Gott, der Herr über
Leben und Tod, hat den treuen Diener zu sich heim gerufen. Im tiefen
Glauben an den gnädigen Gott ist er verstorben. Ein großer Theologe,
Bischof und Menschenfreund geht von uns. Mit seinem Tod verlieren wir
einen warmherzigen und menschlichen Bischof, den
eine große Sprachkraft auszeichnete. Ich trauere mit den Gläubigen des
Bistums Mainz. Die Kirche in Deutschland verneigt sich vor einer
Persönlichkeit, die die katholische Kirche weltweit wesentlich mit
geprägt hat.
Die
Deutsche Bischofskonferenz ist Karl Lehmann zu großem und weit über
seinen Tod hinausreichenden Dank verpflichtet. Weit über zwanzig Jahre
hat er die Geschicke
der Deutschen Bischofskonferenz als deren Vorsitzender geleitet. Ich
erinnere mich gut an unsere ersten Begegnungen, die von Herzlichkeit und
Offenheit, vor allem von der Lust an der theologischen Debatte geprägt
waren. Kardinal Lehmann hat in der Deutschen
Bischofskonferenz Höhen und Tiefen erfahren. Es ging ihm immer wieder
um die Frage, wie eine menschendienliche und zugleich
traditionsverpflichtete Kirche beschaffen sein sollte. Die persönliche
Wertschätzung, die er jedem Gesprächspartner gegenüber zeigte,
sein unglaubliches Gedächtnis – Karl Lehmann vergaß nichts – und seine
theologische Weite waren glückliche Jahre für unsere Bischofskonferenz.
Diesem Erbe sah sich mein Vorgänger, Erzbischof Dr. Robert Zollitsch,
und sehe auch ich mich weiterhin verpflichtet.
1993, 1999 und 2005 wurde Karl Lehmann im Amt als Vorsitzender
bestätigt, bevor er sich 2008 aus gesundheitlichen Gründen von diesem
Amt zurückziehen musste. Es wäre nicht Karl Lehmann gewesen, hätte er
dann nicht den Vorsitz der Glaubenskommission unserer
Konferenz für mehrere Jahre übernommen.
In
die Amtszeit von Kardinal Lehmann fallen so schwierige Momente wie die
„Kölner Erklärung“ von 1988, das Ringen um den richtigen Weg in der
Schwangerenkonfliktberatung
und das Bekanntwerden von Fällen sexuellen Missbrauchs in der
katholischen Kirche. Besonders glückliche Momente waren für Karl Lehmann
die Wiedervereinigung der beiden getrennten Bischofskonferenzen in die
erste gesamtdeutsche Bischofskonferenz, die 1991 zusammentrat.
Ich denke aber auch an die Apostolische Reise von Papst Johannes Paul
II. 1996 nach Paderborn und Berlin, wo Kardinal Lehmann damals den
Heiligen Vater beim Gang durch das Brandenburger Tor begleiten konnte
und sich so gleichsam die Wiedervereinigung auch
für den Papst abschloss. Glückliche Momente durfte Kardinal Lehmann in
seinem unermüdlichen Einsatz für ein Gelingen des Weltjugendtags 2005 in
Köln spüren, ebenso ein Jahr später, als Benedikt XVI. seine bayerische
Heimat besuchte. Die ökumenische Annäherung
war ihm ein – theologisches und geistliches – Herzensanliegen. Nicht
selten hat er sich dazu in vertraulichen Runden mit den Verantwortlichen
der Evangelischen Kirche in Deutschland getroffen. Die Unterzeichnung
der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigung
1999 geht wesentlich auf das Verhandlungsgeschick Karl Lehmanns zurück.
Den Kontaktgesprächskreis zwischen der Deutschen Bischofskonferenz und
der EKD hat er mit Leben und Ideen, Diskussionen und Anregungen gefüllt.
Karl
Lehmann blieb Zeit seines Lebens Professor der Theologie. In der
Bischofskonferenz konnte er bisweilen längere Ausführungen halten und
uns auf den Stand der Forschung
bringen. Dankbar denken wir gerade auch an seine umfassenden
Grundsatzreferate während unserer Vollversammlungen. Alle
wissenschaftlichen Traktate hatten zum Ziel, in Zeiten des Umbruchs
wegweisend den Menschen Zuversicht zu schenken. Das hat ihm auch großen
Respekt in der Politik und bei vielen gesellschaftlichen Gruppen
eingebracht.
Der
Verstorbene, 1963 in Rom von Kardinal Julius Döpfner zum Priester
geweiht, war stets vom Aufbruch des Zweiten Vatikanischen Konzils
geprägt. Als Assistent von Karl
Rahner konnte er das Geschehen und das Ringen um Positionen aus
nächster Nähe miterleben. Karl Lehmann machte sich zur Lebensaufgabe,
das Konzilserbe zu wahren und dafür zu werben. In stürmischen Zeiten
stand er fest im Glauben, so wie es sein bischöflicher
Wahlspruch ausdrückt, den er mit der Bischofsweihe 1983 annahm: „State
in fide – Steht fest im Glauben“ (1 Kor 16, 13). Ja, Karl Lehmann konnte nichts in seinem Glauben erschüttern.
Es
dauerte etwas, bis sein vielfältiges römisches Engagement, seine
Mitgliedschaft in zahlreichen Dikasterien der Kurie, seine intensive
theologische Begleitung ungezählter
Bischofssynoden im Vatikan, mit dem Kardinalat 2001 anerkannt wurde.
Das sah er als neuen Ansporn für weiteren Einsatz in Rom und in der
Weltkirche.
Mit
dem Tod von Karl Lehmann verliert die Kirche in Deutschland eine
prägende Gestalt und unser Kontinent einen überzeugten Europäer. Gerade
in den acht Jahren als
Vizepräsident des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen hat sich
Kardinal Lehmann für Völkerverständigung und Aussöhnung, Brückenbau und
Dialog unermüdlich eingesetzt.
Kardinal
Lehmann war ein beeindruckender Mensch und vorbildlicher Geistlicher,
dessen Engagement und Arbeit national und international ungezählte
Ehrungen erfuhren.
Vor allem war Karl Lehmann Priester, Seelsorger und Bischof, ein
begnadeter Theologe und ein guter Freund. Die theologische Finesse wird
uns ebenso fehlen, wie seine kantigen Wortmeldungen. Karl Lehmann war
ein katholischer Weltbürger, auskunftsfähig zu allen
Themen der Zeit. Wir trauern um einen großartigen Menschen, eine
wegweisende Persönlichkeit und einen gläubigen Katholiken, der sein
Leben ganz nach Gottes Plan für ihn lebte und sich hingebungsvoll dem
Auftrag Christi und seiner Botschaft gewidmet hat.
In stiller Trauer verneige ich mich vor einem Freund, einem Mitbruder, der uns allen Orientierung gegeben hat.
Eine Mitteilung der Deutschen Bischofskonferenz am 11.März 2018
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