Montag, 27. Mai 2013

Am Verhängnis mitgewirkt

Es war das erste Mal, dass ich das Seniorentheater „Silberdisteln“ an ihrer Wirkungsstätte, dem Theater unterm Dach in Nordhausen am Samstag „in Aktion“ sah. Mit dem Schauspiel „Biedermann und die Brandstifter“. Und nun überlege ich, ob das Ensemble mit dem Stück auf das Thema hinführen wollte, das dem Autor Max Frisch vorschwebte und zum Ausdruck bringen wollte, oder man es ohne diesem Hintergrundthema einstudierte und zur Aufführung brachte.

In der Inhaltsbeschreibung im Flyer zu diesem Drama heißt es zwar: „Die Sittlichkeit, wie sie uns gelehrt wird, schließt immer schon die weltliche Niederlage in sich; wir retten die Welt nicht vor dem Teufel, sondern wir überlassen ihm die Welt, damit wir nicht selbst des Teufels werden. Wir räumen einfach das Feld, um sittlich zu sein.“ Und das bedeutet ja doch, dass die Handlung in diesem Stück sehr viel tiefere Bedeutung hat, als der konkrete Ablauf besagt. Das dürfte also jedem klar geworden sein, der diese Inhalterklärung wirklich in sich aufnahm. Ob er danach eine Verbindung zwischen dem herzustellen vermochte, was da vor seinen Augen ablief und dem tieferen Sinn, der dahinter verborgen war, mag dahingestellt sein.
Nach den Reaktionen mancher Zuhörer angesichts einzelner Szenen ließ eher vermuten, dass sie das Stück für eine Komödie oder für ein Gaudistück hielten. Vielleicht hielten sie es auch nicht für möglich, dass sich die Silberdisteln an ein solches Problemstück wagen würden.
Dabei ließ doch schon der Untertitel „Ein Lehrstück ohne Lehre“ erwarten, dass es hier um ein hinter- und tiefsinniges Schauspiel gehen würde. Das Problem könnte ansonsten gewesen sein, dass man seine Neugier mehr darauf richtete, wie sich die Darsteller, von denen man ja mehr oder weniger viele persönlich kennt, ihrer Rollenaufgabe entledigen würden. Richtig dürfte ja auch gewesen sein, dass sich zumindest in der Premiere am Samstag unter den Zuschauern viele Angehörige der Darsteller befanden

Nun will und kann ich ja nicht behaupten, dass ich mein Wissen um die Problematik dieses Dramas schon mitbrachte, als ich die Premiere besuchte: die Inhaltsangabe im Flyer erinnerte mich aber doch daran, dass ich das Stück schon mal in den fünfziger Jahren als Sendung im Bayerischen Rundfunk hörte, samt den dazu offerierten Erläuterungen. Und der Ablauf ließ mich danach „googlen“, um diese Kenntnis zu erneuern. Und schließlich hieß es ja auch schon in der Vorschau dieser Aufführung: „Auch die Fragen, die das Stück aufwirft, sind weder leicht zu beantworten noch die Konflikte der Figuren für die Darsteller leicht zu spielen. „Man weiß oder ahnt die Wahrheit, hat aber nicht die Courage, seine Meinung zu vertreten.
Was bedeutet es, wenn ich das tue, was man von mir erwartet?“, so beschreibt Regisseurin Anja Eisner einige der Kerngedanken. „Wir bieten keine Rezepte, keine verspätete Auseinandersetzung mit der Geschichte vor dem 2. Weltkrieg. Wir erzählen ein aktuelles Thema, das sich nicht eingegrenzt auf politische Richtungen versteht.“ Das wiederum könnte als Absage einer so speziellen Sinngebung zu verstehen sein, wie sie u.a. bei Google angeboten wird, in der es heißt: „Man könnte die Geschichte mit dem 2. Weltkrieg vergleichen. Genau wie die Brandstifter von Anfang an genau sagten, was sie vorhaben, schrieb auch Hitler seine Absichten in dem Buch „Mein Kampf“ nieder. Viele wussten, was Hitler vorhatte, doch hielten sie alles wahrscheinlich für einen Scherz, genau wie Biedermann. Als sie dann bemerkten, was geschieht, versuchten sie sich Hitler anzuschließen, um selbst vom Unheil verschont zu werden, genau wie Biedermann versucht, Freundschaft mit den Brandstiftern zu schließen.“

Soweit also zu den Zusammenhängen, die sich mit dem Stück verbinden. Zum Ablauf selbst bleibt mir festzuhalten, dass sich die darstellerischen Leistungen der Mitwirkenden, so unterschiedlich sie auch gewesen sein mögen, zu einem Gesamtbild formten, das gefiel, wenn es auch nicht gerade schlüssig wirkte. Am Schluss erhielten sie den verdienten (verwandtschaftlichen) Beifall und jede(r) eine rote Rose. Berücksichtigt man, dass es sich ja bei ihnen inzwischen um „Silberdistel-Profis“ im (angehenden) Seniorenalter handelt, kann man leicht von Einzelkritiken absehen. Obwohl manchen Darsteller die ihm zugedachte Rolle „auf den Leib“ geschrieben schien. Und ein anderer (Dr. phil, gespielt von Wolfgang Hartmann) etwas zu kurz gekommen sein mag, obwohl ihm in der eigentlichen Sinngebung des Stückes eine beachtlichere Bedeutung zukommt. Dominant jedenfalls war der Chor der Feuerwehrleute in einheitlicher Behelmung, sonst aber in teilweise recht aufgelockertem Outfit, das nicht unbedingt auf unmittelbare Einsatzbereitschaft im Falle der Notwendigkeit schließen ließ. Sicher und entschlossen aber wurde das Geschehen von ihnen „abgesichert“

Und das stellte sich in seinem Ablauf mitunter etwas komisch, aber auch erheiternd dar: Gottlieb Biedermann (Winfried Werhan) als zunächst energisch auftretender Geschäfts- und später auch Ehemann, der allerdings schnell klein beigibt, sobald ihm jemand wortreich und dreist begegnet. Das tat der Hausierer und frühere Ringer Josef Schmitz (Martin Schirrmacher), der es versteht, „um der Menschlichkeit willen“, vom Hausherrn die Erlaubnis zu bekommen, sich selbst und danach auch noch mit seinem Komplizen Wilhelm Eisenring (Manfred Baumann) am Dachboden des Biedermeier-Hauses einzunisten. Um im weiteren Verlaufe Vorbereitungen für ihr schändliches Brandvorhaben zu treffen. Auch Biedermanns herzkranke Ehefrau Babette (Renate Meinert) stimmt der Nachgiebigkeit ihres Mannes schließlich widerwillig zu. Und so nimmt das Unheil allmählich seinen Lauf.

Schmidt und Eisenring rollen sogar Fässer mit Benzin auf den Dachboden. Und noch immer scheint Biedermann arglos gegenüber dem, was da um ihn herum geschieht und geplant ist.. Ein Polizist (Sibylle Siese) überbringt Biedermann die Nachricht vom Selbstmord eines Angestellten, den er tags zuvor entlassen hat. Und erkundigt sich dabei nach dem Inhalt der herumstehenden Fässer. Biedermann in seiner psychischen Verwirrtheit greift zu einer Notlüge, und behauptet, dass es sich um Haarwasser handelt. Noch immer wehrt er sich gegen die Einsicht, es mit Brandstiftern zu tun zu haben. Und meint, dass man nicht immer das Schlechteste vom Menschen denken sollte. Insgeheim aber wächst in Biedermann die Angst. In der er sich bei einem Abendessen der Freundschaft und Rechtschaffenheit der Hausierer vergewissern möchte. Hier scheint sich der eigentliche Charakter Biedermanns zu offenbaren. Der mit dem Namen „Biedermeier“ besser ausgedrückt wäre. (Max Frisch scheint damit auch wirklich die deutsche Mentalität des Biedermeiertums gemeint haben.) Vor dem feucht-fröhlichen Gelage wird die Witwe (Ute Schneider) des früheren Angestellten des Hauses verwiesen und sogar über den Verstorbenen gelästert. Was ein leichtes Unwohlsein bei Biedermann verursacht. Schnell geht man aber wieder zum bunten Treiben über. Als Sirenen zu hören sind, ist das für die Tischrunde Anlass, ganz offen über Brandstiftung zu reden. Eisenring erzählt von seiner Zeit im Gefängnis und Biedermann ist verängstigt, überreicht aber in seiner Unentschlossenheit sogar Streichhölzer an Eisenreich.. Er verdrängt einfach, dass er damit das Vorhaben der Brandstifter letztendlich erst ermöglicht.
Nachdem auch noch Explosionen zu vernehmen sind, durch die einige Gasometer in die Luft fliegen, brennt nun auch noch das Haus der Biedermanns. Der Chor der Feuerwehrleute sieht sich überfordert und beklagt das Inferno. Für Biedermanns indessen ist es zu spät für Einsicht und Handeln, hieß es dazu einst im Schauspielhauses Zürich, wo das Drama 1958 uraufgeführt wurde. Sie haben das Nahen des Bösen nicht erkannt. Max Frisch zeigt in dieser Parabel das allmähliche Eindringen der Anarchie in das Bürgertum, das Versagen feigen konformistischen Denkens gegenüber der Realität des Bösen. Eben ein „Lehrstück ohne Lehre“. Den Silberdisteln jedenfalls gebührt Anerkennung für ihre Leistungen.
(Fotos: Roland Obst)



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