Es war das erste Mal, dass ich das
Seniorentheater „Silberdisteln“ an ihrer Wirkungsstätte, dem
Theater unterm Dach in Nordhausen am Samstag „in Aktion“ sah. Mit
dem Schauspiel „Biedermann und die Brandstifter“. Und nun
überlege ich, ob das Ensemble mit dem Stück auf das Thema hinführen
wollte, das dem Autor Max Frisch vorschwebte und zum Ausdruck bringen
wollte, oder man es ohne diesem Hintergrundthema einstudierte und zur
Aufführung brachte.
In der Inhaltsbeschreibung im Flyer zu
diesem Drama heißt es zwar: „Die Sittlichkeit, wie sie uns gelehrt
wird, schließt immer schon die weltliche Niederlage in sich; wir
retten die Welt nicht vor dem Teufel, sondern wir überlassen ihm die
Welt, damit wir nicht selbst des Teufels werden. Wir räumen einfach
das Feld, um sittlich zu sein.“ Und das bedeutet ja doch, dass die
Handlung in diesem Stück sehr viel tiefere Bedeutung hat, als der
konkrete Ablauf besagt. Das dürfte also jedem klar geworden sein,
der diese Inhalterklärung wirklich in sich aufnahm. Ob er danach
eine Verbindung zwischen dem herzustellen vermochte, was da vor
seinen Augen ablief und dem tieferen Sinn, der dahinter verborgen
war, mag dahingestellt sein.
Nach den Reaktionen mancher Zuhörer
angesichts einzelner Szenen ließ eher vermuten, dass sie das Stück
für eine Komödie oder für ein Gaudistück hielten. Vielleicht
hielten sie es auch nicht für möglich, dass sich die Silberdisteln
an ein solches Problemstück wagen würden.
Dabei ließ doch schon der Untertitel
„Ein Lehrstück ohne Lehre“ erwarten, dass es hier um ein hinter-
und tiefsinniges Schauspiel gehen würde. Das Problem könnte
ansonsten gewesen sein, dass man seine Neugier mehr darauf richtete,
wie sich die Darsteller, von denen man ja mehr oder weniger viele
persönlich kennt, ihrer Rollenaufgabe entledigen würden. Richtig
dürfte ja auch gewesen sein, dass sich zumindest in der Premiere am
Samstag unter den Zuschauern viele Angehörige der Darsteller
befanden
Nun will und kann ich ja nicht behaupten, dass
ich mein Wissen um die Problematik dieses Dramas schon mitbrachte,
als ich die Premiere besuchte: die Inhaltsangabe im Flyer erinnerte
mich aber doch daran, dass ich das Stück schon mal in den fünfziger
Jahren als Sendung im Bayerischen Rundfunk hörte, samt den dazu
offerierten Erläuterungen. Und der Ablauf ließ mich danach
„googlen“, um diese Kenntnis zu erneuern. Und schließlich hieß
es ja auch schon in der Vorschau dieser Aufführung: „Auch
die Fragen, die das Stück aufwirft, sind weder leicht zu beantworten
noch die Konflikte der Figuren für die Darsteller leicht zu spielen.
„Man weiß oder ahnt die Wahrheit, hat aber nicht die Courage,
seine Meinung zu vertreten.
Was bedeutet es, wenn ich das tue, was
man von mir erwartet?“, so beschreibt Regisseurin Anja Eisner
einige der Kerngedanken. „Wir bieten keine Rezepte, keine
verspätete Auseinandersetzung mit der Geschichte vor dem 2.
Weltkrieg. Wir erzählen ein aktuelles Thema, das sich nicht
eingegrenzt auf politische Richtungen versteht.“ Das wiederum
könnte als Absage einer so speziellen Sinngebung zu verstehen sein, wie sie u.a. bei Google angeboten wird, in der es heißt: „Man könnte die
Geschichte mit dem 2. Weltkrieg vergleichen. Genau wie die
Brandstifter von Anfang an genau sagten, was sie vorhaben, schrieb
auch Hitler seine Absichten in dem Buch „Mein Kampf“ nieder.
Viele wussten, was Hitler vorhatte, doch hielten sie alles
wahrscheinlich für einen Scherz, genau wie Biedermann. Als sie dann
bemerkten, was geschieht, versuchten sie sich Hitler anzuschließen,
um selbst vom Unheil verschont zu werden, genau wie Biedermann
versucht, Freundschaft mit den Brandstiftern zu schließen.“
Soweit also zu den Zusammenhängen, die
sich mit dem Stück verbinden. Zum Ablauf selbst bleibt mir
festzuhalten, dass sich die darstellerischen Leistungen der
Mitwirkenden, so unterschiedlich sie auch gewesen sein mögen, zu
einem Gesamtbild formten, das gefiel, wenn es auch nicht gerade
schlüssig wirkte. Am Schluss erhielten sie den verdienten
(verwandtschaftlichen) Beifall und jede(r) eine rote Rose.
Berücksichtigt man, dass es sich ja bei ihnen inzwischen um
„Silberdistel-Profis“ im (angehenden) Seniorenalter handelt, kann
man leicht von Einzelkritiken absehen. Obwohl manchen Darsteller die
ihm zugedachte Rolle „auf den Leib“ geschrieben schien. Und ein
anderer (Dr. phil, gespielt von Wolfgang Hartmann) etwas zu kurz
gekommen sein mag, obwohl ihm in der eigentlichen Sinngebung des
Stückes eine beachtlichere Bedeutung zukommt. Dominant jedenfalls
war der Chor der Feuerwehrleute in einheitlicher Behelmung, sonst
aber in teilweise recht aufgelockertem Outfit, das nicht unbedingt
auf unmittelbare Einsatzbereitschaft im Falle der Notwendigkeit
schließen ließ. Sicher und entschlossen aber wurde das Geschehen
von ihnen „abgesichert“
Und das stellte sich in seinem Ablauf
mitunter etwas komisch, aber auch erheiternd dar: Gottlieb Biedermann
(Winfried Werhan) als zunächst energisch auftretender Geschäfts-
und später auch Ehemann, der allerdings schnell klein beigibt,
sobald ihm jemand wortreich und dreist begegnet. Das tat der
Hausierer und frühere Ringer Josef Schmitz (Martin Schirrmacher),
der es versteht, „um der Menschlichkeit willen“, vom Hausherrn
die Erlaubnis zu bekommen, sich selbst und danach auch noch mit
seinem Komplizen Wilhelm Eisenring (Manfred Baumann) am Dachboden des
Biedermeier-Hauses einzunisten. Um im weiteren Verlaufe
Vorbereitungen für ihr schändliches Brandvorhaben zu treffen. Auch
Biedermanns herzkranke Ehefrau Babette (Renate Meinert) stimmt der
Nachgiebigkeit ihres Mannes schließlich widerwillig zu. Und so nimmt
das Unheil allmählich seinen Lauf.
Nachdem auch noch Explosionen zu vernehmen sind, durch die einige Gasometer in die Luft fliegen, brennt nun auch noch das Haus der Biedermanns. Der Chor der Feuerwehrleute sieht sich überfordert und beklagt das Inferno. Für Biedermanns indessen ist es zu spät für Einsicht und Handeln, hieß es dazu einst im Schauspielhauses Zürich, wo das Drama 1958 uraufgeführt wurde. Sie haben das Nahen des Bösen nicht erkannt. Max Frisch zeigt in dieser Parabel das allmähliche Eindringen der Anarchie in das Bürgertum, das Versagen feigen konformistischen Denkens gegenüber der Realität des Bösen. Eben ein „Lehrstück ohne Lehre“. Den Silberdisteln jedenfalls gebührt Anerkennung für ihre Leistungen.
(Fotos: Roland Obst)
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