Am 5. Mai war, wie jedes Jahr,
Europäischer Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit
Behinderung.Es geht dabei jeweils um selbstbestimmtes Leben der
Betroffenen. In Sondershausen trafen sich in diesem Zusammenhang in
der vergangenen Woche verschiedene Behindertenverbände
Nordthüringens zusammen mit dem Sozialverband Nordthüringen zu
einer gemeinsamen Beratung. Die Internetzeitungen haben darüber
ausführlich unter „Ich bin entscheidend“ (11.05.) berichtet.
Auch die Ausstellung „Die Welt anders gesehen“ ...mit den Augen
von Menschen mit Autismus, die in der Galerie der Kreissparkasse
Nordhausen am 30. April eröffnet wurde, ist in diesem Zusammenhang
zu sehen (darüber habe ich in der Internetzeitung und in mein Blog
ausführlich berichtet).
In Sondershausen gab es nach dem
Bericht der Internetzeitungen zum Abschluss der Beratungen eine
interessante Diskussion. Deren eindeutiger Tenor es war, dass sowohl
der VdK, als auch die einzelnen Behindertenverbände noch mehr
medienwirksam in die Öffentlichkeit gehen müssen . Allzu oft werden
behinderte Menschen nicht, oder nicht richtig wahrgenommen, ob aus
Ignoranz (auch das kommt leider oft vor) oder aus Unkenntnis. Hier
muss einfach auch mehr Öffentlichkeitsarbeit geleistet werden. Mit
wieviel persönlichem Engagement dabei die nach Sondershausen
eingeladenen Akteure bereit waren, dem Thema Nachdruck zu verleihen,
lässt sich daran erkennen, dass zahlreiche eingeladene Bürgermeister
und Vertreter von Organisationen nicht erschienen waren, wie Bernd
Reiber (1. Beigeordneter des Landkreises Nordhausen) mit leichter
Enttäuschung feststellte. Selbst der eingeladene
Behindertenbeauftragte Thüringens, Dr. Paul Brockhausen war nicht
gekommen. Der „Brückentag hatte wohl leider einige Eingeladene
abgehalten, dabei zu sein", so Reiber.
Was nun diese im Bericht der
Internetzeitungen erwähnte Ignoranz oder auch Unkenntnis der
Gesellschaft betrifft, bringt die Ausstellung „Die Welt anders
gesehen“, in der Kreissparkasse Nordhausen sehr deutlich zum
Ausdruck: Auf mehreren Text-Bildtafeln berichten Eltern autistischer
Kinder über Reaktionen von Menschen, die sich (mehr oder weniger
berechtigt) für normal halten, gegenüber derart behinderten
Menschen und deren Eltern. Auch dabei ist bezeichnend, dass zwar zur
Vernissage viele Gäste gekommen waren, ansonsten aber fast
ausschließlich betroffene Eltern die Ausstellung besuchen, kaum aber
sonst potenzielle Interessenten. (Ich besuchte die Ausstellung
inzwischen mehrmals.)
Und spätestens hier kann und will ich
als beträchtlich (geh-)behinderter Mensch aus eigener Erfahrung
anmerken, dass sich das Verhältnis „gesunder“gegenüber
sichtlich behinderter Menschen in der Öffentlichkeit sehr
unterschiedlich gestaltet: man erfährt etwa von Autofahrern – zum
Beispiel bei Straßenübergängen – überraschend oft Rücksicht
oder Zuvorkommenheit. Und nicht weniger in öffentlichen
Verkehrsmitteln. Überall dort also, wo man als Behinderter bewusst
wahrgenommen wird (werden muss). Im Alltagsgeschehen dagegen erfährt
man kaum Rücksicht und wird eher als wandelnde Behinderung
wahrgenommen und entsprechend behandelt. Ob aus Gedankenlosigkeit,
unbewusster Ignoranz oder purer Rücksichtslosigkeit sei
dahingestellt. Es gibt sogar Leute, die umgekehrt Rücksichtnahme von
unsereinen mit Gesten oder auch Worten reklamieren, etwa mit dem
Hinweis, dass sie schneller und/oder auch beweglicher sind. Und wenn
ähnliches sogar beim Kirchgang am unmittelbaren Zugang zum Dom
(nämlich zum Kreuzgang) geschieht, wo also eigentlich keine
besondere Eile mehr nötig ist, und die Rücksicht auf den
Mitmenschen besonderen Ausdruck finden sollte, frustriert ein solches
Verhalten nur noch. Man schwankt dann eine zeitlang zwischen sturem
Durchsetzungsverhalten und Resignation. Und zieht sich schließlich
auf sich selbst zurück. Das mag Unbeteiligten noch nicht einmal
auffallen, als Behinderter wird man vielleicht auch besonders
sensibel gegenüber seinen Mitmenschen. Und diese Art des
individuellen Miteinander wird auch von keinem Behinderten- oder
Sozialverband erfasst.
Und das trifft schließlich auch auf
die Teilhabe im gesellschaftlichen Bereich zu, etwa bei
Steh-Empfängen oder ähnlichen Veranstaltungen, bei denen sogar
einige Stühle an der Seite des Veranstaltungsraumes für Bedürftige
bereitstehen. Bei deren Nutzung man dann aber lediglich die
verlängerten Rücken der Vorderleute sieht. Dem sozialen
Erfordernissen ist damit zwar Genüge getan, inhaltlich aber wird es
dem Anspruch des Behinderten nicht gerecht. Schon gar nicht, wenn man
als Journalist das Geschehen unmittelbar verfolgen will. Ich bin in
diesem Zusammenhang immer wieder dem Pressesprecher der FH
Nordhausen, Arndt Schelenhaus, dankbar, der bei öffentlichen
Veranstaltungen im Audimax Stühle im vorderen Bereich des Geschehens
für Behinderte reserviert. Es sind Beispiele des tatsächlichen
Miteinander, die beliebig erweitert werden könnten. Und mit der Zeit
nervt das nur noch und führt zur Resignation. Ob das mit
Selbstmitleid einhergeht, mag jeder für sich beantworten.
Es wird – aus meiner Sicht gesehen –
unabhängig von UN-Konvention seitens von Verwaltungen im
Zusammenwirken mit Sozialverbänden und Seniorenbeiräten sicher
viel für alternde und behinderte Menschen getan, um ihnen ein
angemessenes Leben zu ermöglichen. Und es gibt Aktionen – Aktion
Mensch gehört dazu – die auf die Probleme Behinderter aufmerksam
machen. Dabei war gerade in der vergangenen Woche wieder viel von
Inklusion die Rede. Die bewirken soll, dass jeder Mensch von der
Gesellschaft akzeptiert wird. Genau so wie er ist. Weil Unterschiede
normal seien. „Mit Inklusion wird aus dem Nebeneinander ein
Miteinander und ein gemeinsamer Alltag selbstverständlich“, heißt
es. Wenn dem so ist, ist der Weg dahin aber ganz sicher noch sehr,
sehr weit.
Und um nicht missverstanden zu werden:
das soll nicht als Klage verstanden werden, sondern lediglich als
nüchterne Feststellung. Mein selbstbestimmtes Leben bringt mir noch
jeden Tag Freude, weil ich ihm Inhalt zu geben vermag. Und ich bitte
den Herrgott jeden Tag, dass mir das noch recht lange möglich ist.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen