Freitag, 17. Mai 2013

Aktion Mensch mit individuellen Defiziten


Am 5. Mai war, wie jedes Jahr, Europäischer Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung.Es geht dabei jeweils um selbstbestimmtes Leben der Betroffenen. In Sondershausen trafen sich in diesem Zusammenhang in der vergangenen Woche verschiedene Behindertenverbände Nordthüringens zusammen mit dem Sozialverband Nordthüringen zu einer gemeinsamen Beratung. Die Internetzeitungen haben darüber ausführlich unter „Ich bin entscheidend“ (11.05.) berichtet. Auch die Ausstellung „Die Welt anders gesehen“ ...mit den Augen von Menschen mit Autismus, die in der Galerie der Kreissparkasse Nordhausen am 30. April eröffnet wurde, ist in diesem Zusammenhang zu sehen (darüber habe ich in der Internetzeitung und in mein Blog ausführlich berichtet).

In Sondershausen gab es nach dem Bericht der Internetzeitungen zum Abschluss der Beratungen eine interessante Diskussion. Deren eindeutiger Tenor es war, dass sowohl der VdK, als auch die einzelnen Behindertenverbände noch mehr medienwirksam in die Öffentlichkeit gehen müssen . Allzu oft werden behinderte Menschen nicht, oder nicht richtig wahrgenommen, ob aus Ignoranz (auch das kommt leider oft vor) oder aus Unkenntnis. Hier muss einfach auch mehr Öffentlichkeitsarbeit geleistet werden. Mit wieviel persönlichem Engagement dabei die nach Sondershausen eingeladenen Akteure bereit waren, dem Thema Nachdruck zu verleihen, lässt sich daran erkennen, dass zahlreiche eingeladene Bürgermeister und Vertreter von Organisationen nicht erschienen waren, wie Bernd Reiber (1. Beigeordneter des Landkreises Nordhausen) mit leichter Enttäuschung feststellte. Selbst der eingeladene Behindertenbeauftragte Thüringens, Dr. Paul Brockhausen war nicht gekommen. Der „Brückentag hatte wohl leider einige Eingeladene abgehalten, dabei zu sein", so Reiber.

Was nun diese im Bericht der Internetzeitungen erwähnte Ignoranz oder auch Unkenntnis der Gesellschaft betrifft, bringt die Ausstellung „Die Welt anders gesehen“, in der Kreissparkasse Nordhausen sehr deutlich zum Ausdruck: Auf mehreren Text-Bildtafeln berichten Eltern autistischer Kinder über Reaktionen von Menschen, die sich (mehr oder weniger berechtigt) für normal halten, gegenüber derart behinderten Menschen und deren Eltern. Auch dabei ist bezeichnend, dass zwar zur Vernissage viele Gäste gekommen waren, ansonsten aber fast ausschließlich betroffene Eltern die Ausstellung besuchen, kaum aber sonst potenzielle Interessenten. (Ich besuchte die Ausstellung inzwischen mehrmals.)

Und spätestens hier kann und will ich als beträchtlich (geh-)behinderter Mensch aus eigener Erfahrung anmerken, dass sich das Verhältnis „gesunder“gegenüber sichtlich behinderter Menschen in der Öffentlichkeit sehr unterschiedlich gestaltet: man erfährt etwa von Autofahrern – zum Beispiel bei Straßenübergängen – überraschend oft Rücksicht oder Zuvorkommenheit. Und nicht weniger in öffentlichen Verkehrsmitteln. Überall dort also, wo man als Behinderter bewusst wahrgenommen wird (werden muss). Im Alltagsgeschehen dagegen erfährt man kaum Rücksicht und wird eher als wandelnde Behinderung wahrgenommen und entsprechend behandelt. Ob aus Gedankenlosigkeit, unbewusster Ignoranz oder purer Rücksichtslosigkeit sei dahingestellt. Es gibt sogar Leute, die umgekehrt Rücksichtnahme von unsereinen mit Gesten oder auch Worten reklamieren, etwa mit dem Hinweis, dass sie schneller und/oder auch beweglicher sind. Und wenn ähnliches sogar beim Kirchgang am unmittelbaren Zugang zum Dom (nämlich zum Kreuzgang) geschieht, wo also eigentlich keine besondere Eile mehr nötig ist, und die Rücksicht auf den Mitmenschen besonderen Ausdruck finden sollte, frustriert ein solches Verhalten nur noch. Man schwankt dann eine zeitlang zwischen sturem Durchsetzungsverhalten und Resignation. Und zieht sich schließlich auf sich selbst zurück. Das mag Unbeteiligten noch nicht einmal auffallen, als Behinderter wird man vielleicht auch besonders sensibel gegenüber seinen Mitmenschen. Und diese Art des individuellen Miteinander wird auch von keinem Behinderten- oder Sozialverband erfasst.

Und das trifft schließlich auch auf die Teilhabe im gesellschaftlichen Bereich zu, etwa bei Steh-Empfängen oder ähnlichen Veranstaltungen, bei denen sogar einige Stühle an der Seite des Veranstaltungsraumes für Bedürftige bereitstehen. Bei deren Nutzung man dann aber lediglich die verlängerten Rücken der Vorderleute sieht. Dem sozialen Erfordernissen ist damit zwar Genüge getan, inhaltlich aber wird es dem Anspruch des Behinderten nicht gerecht. Schon gar nicht, wenn man als Journalist das Geschehen unmittelbar verfolgen will. Ich bin in diesem Zusammenhang immer wieder dem Pressesprecher der FH Nordhausen, Arndt Schelenhaus, dankbar, der bei öffentlichen Veranstaltungen im Audimax Stühle im vorderen Bereich des Geschehens für Behinderte reserviert. Es sind Beispiele des tatsächlichen Miteinander, die beliebig erweitert werden könnten. Und mit der Zeit nervt das nur noch und führt zur Resignation. Ob das mit Selbstmitleid einhergeht, mag jeder für sich beantworten.

Es wird – aus meiner Sicht gesehen – unabhängig von UN-Konvention seitens von Verwaltungen im Zusammenwirken mit Sozialverbänden und Seniorenbeiräten sicher viel für alternde und behinderte Menschen getan, um ihnen ein angemessenes Leben zu ermöglichen. Und es gibt Aktionen – Aktion Mensch gehört dazu – die auf die Probleme Behinderter aufmerksam machen. Dabei war gerade in der vergangenen Woche wieder viel von Inklusion die Rede. Die bewirken soll, dass jeder Mensch von der Gesellschaft akzeptiert wird. Genau so wie er ist. Weil Unterschiede normal seien. „Mit Inklusion wird aus dem Nebeneinander ein Miteinander und ein gemeinsamer Alltag selbstverständlich“, heißt es. Wenn dem so ist, ist der Weg dahin aber ganz sicher noch sehr, sehr weit.
Und um nicht missverstanden zu werden: das soll nicht als Klage verstanden werden, sondern lediglich als nüchterne Feststellung. Mein selbstbestimmtes Leben bringt mir noch jeden Tag Freude, weil ich ihm Inhalt zu geben vermag. Und ich bitte den Herrgott jeden Tag, dass mir das noch recht lange möglich ist.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen