Gerechtigkeitsfragen und Zielkonflikte bei der Hilfe nach Naturkatastrophen
Stephan Düppe Stabsstelle 2 – Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
FernUniversität in Hagen
Kann Deutschland von Japan etwas dazu lernen, wie Naturkatastrophen bewältigt, verhindert oder abgemildert werden können? Beim Katastrophen-Management geht es um Soforthilfe, aber auch um vorherige Schutzmaßnahmen und anschließende finanzielle Unterstützung, um Kommunikation und Gerechtigkeit. Damit befasst sich der Japanologe, Jurist und Katastrophenexperte Julius Weitzdörfer von der FernUniversität. Bei seinen Forschungen in Japan hat er festgestellt: „Bei größeren Katastrophen kann man es nie allen recht machen, es gibt immer Gerechtigkeitsprobleme, Zielkonflikte und diffizile Diskussionen.“ Auch bei finanziellen Hilfen: Wer soll und kann Hilfe erhalten und wer zahlen?
Fassungslos sah die Welt im März 2011, wie ein Tsunami in Japan auch weit von der Küste entfernte Landesteile verwüstete. In der Folge kam es in drei Reaktoren des Kernkraftwerks Fukushima zu Kernschmelzen. Kann Deutschland daraus etwas dazu lernen, wie solche Katastrophen bewältigt, verhindert oder wenigstens abgemildert werden können? Beim Katastrophen-Management geht es um Soforthilfe, aber auch um vorherige Schutzmaßnahmen und anschließende finanzielle Unterstützung, um Kommunikation und Gerechtigkeit – Themen, mit denen sich der Japanologe, Jurist und Katastrophenexperte Julius Weitzdörfer befasst. Der Junior-Professor ist unter anderem Experte für Atomrecht und leitet die Abteilung Japanisches Recht im Institut für Internationale Rechtsbeziehungen an der FernUniversität in Hagen. Dabei bewegt er sich wissenschaftlich im Spannungsfeld zwischen Risikoregulierung, Technologiepolitik und Umweltrecht (daraus ergeben sich auch Anknüpfungspunkte zum Forschungsschwerpunkt „Energie, Umwelt & Nachhaltigkeit“ der FernUniversität).
Bei seinen Forschungen zum Risikomanagement in Japan hat er festgestellt: „Bei größeren Naturkatastrophen kann man es nie allen recht machen, es gibt immer Gerechtigkeitsprobleme, Zielkonflikte und diffizile Diskussionen.“ Sind zum Beispiel Häuser weggeschwemmt oder schwer beschädigt worden, stellen sich viele Fragen: Soll in einem überschwemmungsgefährdeten Bereich wieder das aufgebaut werden, was dort einmal stand? Oder etwas Zukunftssicheres, mit dem etwas Neues beginnen kann? Im ländlichen Japan etwa hängen viele Menschen sehr an dem Ort, an dem schon ihre Vorfahren gelebt haben. In Deutschland dürfte das für viele ebenfalls zutreffen.
Anhand der Milliardenhilfen im Zuge des Corona-Lockdowns an Unternehmen, deren Geschäftsmodelle aufgrund etwa fehlender Nachhaltigkeit so nicht zukunftsfähig sein könnten wie zum Beispiel Fluggesellschaften, macht Weitzdörfer ein Gerechtigkeitsproblem deutlich: „Haben dann nicht auch die Bürgerinnen und Bürger das Recht, ihr Haus am alten, gefährdeten Standort auf Steuerzahlerkosten wiederaufzubauen, auch wenn es voraussichtlich in einigen Jahren erneut überflutet wird?“ Der Jurist weiter: „Und wenn der Staat auch später wieder entstehende enorme Schäden ausgleichen muss, wird von ihm erwartet, dass er selbst zu einem Garanten für ein Fass ohne Boden wird.“
Geld und Gerechtigkeit
Die Fragen, die sich stellen, sind also sehr komplex und miteinander verwoben. So geht es bei finanziellen Hilfen eben oft auch um Gerechtigkeit: Wer kann und soll Hilfe erhalten? Wie viel? Ist es gerecht, wenn diejenigen, die viel verloren haben, auch viel ersetzt bekommen? Oder sollte nicht jeder vom Staat gleich viel bekommen? Und wer soll dafür aufkommen?
Eines ist für Weitzdörfer klar: Ohne eine obligatorische, institutionalisierte Absicherung für Opfer von Naturkatastrophen wird Deutschland angesichts der immer massiveren Folgen des Klimawandels nicht auskommen. In Japan hat er nach dem Tsunami 2011 die Schicksale privater Haushalte in Küstennähe untersucht: „Wer nicht abgesichert ist, gerät sehr schnell in finanzielle Nöte und in den Ruin.“
Staatsfonds oder Versicherungspflicht?
Für die Hilfe nach Naturkatastrophen ist in Deutschland jetzt einerseits ein staatlicher, aus Steuern finanzierter Bund-Länder-Fonds zuständig: „Erneut wurde die Gelegenheit verpasst, eine obligatorische Elementarschaden-Versicherungen privatwirtschaftlicher Anbieter verpflichtend zu machen.“
Wie müssen nun Versicherungsprämien gestaltet werden, damit die Menschen sich den Schutz gegen Elementarschäden leisten können? Diese Prämien orientieren sich ja am individuellen Schadensrisiko etwa eines Gebäudes. Dagegen werden Steuerzahlerinnen und Steuerzahler über gestaffelte Sätze an den Kosten eines Staatsfonds beteiligt: Wer mehr verdient und finanziell leistungsfähiger ist, zahlt mehr als andere über seine Steuer in den Fonds. Diese sind also „einkommensgerechter“, Versicherungen dagegen „risikogerechter“.
Sich zu einer obligatorischen Lösung durchzuringen, ist für Staat und Versicherungen allerdings nicht einfach. Bund und Länder sehen für sich die Gefahr, letztendlich selbst Rückversicherer zu werden. Die Versicherer befürchten, das Risiko nicht zuverlässig genug einzuschätzen bzw. längerfristig finanziell nicht mehr abdecken zu können. Wenn zudem ihre Angebote standardisiert und damit vergleichbar werden, „könnte sich das negativ auf ihre Margen auswirken“, so Weitzdörfer. „Daher wären sie ohne staatliche Garantien unter Umständen gar nicht so begeistert von einer Pflicht.“ Für ihre Kundinnen und Kunden wäre diese Transparenz natürlich vorteilhaft.
Versicherungsprämien „warnen“ vor Risiken
Für Weitzdörfer haben Versicherungsprämien noch eine wichtige Warn-Funktion, die dem Staatsfonds fehlt. Sie spiegeln durch die Prämienhöhe auch das Elementarschaden-Risiko der Immobilie wider und zeigen: Es könnte gefährlich sein, an genau dieser Stelle ohne weitere Vorkehrungen ein Gebäude zu errichten oder zu kaufen!
Werden die finanziellen Risiken durch einen staatlichen Fonds abgedeckt, fehlt dieses Warnsignal. Das ist für Weitzdörfer ein ganz entscheidendes Argument gegen Fonds. Zudem wird die Zahl extremer Wetterlagen aller Wahrscheinlichkeit nach steigen – und damit auch die Kosten für Fonds: „Nicht sachgerecht, nicht verteilungsgerecht und nicht zukunftsfähig“, urteilt Weitzdörfer über sie.
Für sie spricht allerdings, dass viele Menschen in aller Welt sich keine teure Versicherung leisten können: „Sie werden dann von Katastrophen besonders hart getroffen. Und vor allem sie leben in gefährdeten Bereichen!“
Die japanische Lösung
Wie die meisten Staaten mit gut ausgebauten Versicherungssystemen für Naturkatastrophen kombiniert Japan staatliche mit privaten Lösungen zu einem „hybriden“ System.
Dazu rät Weitzdörfer auch Deutschland: „Die Schadensrisiken drohen für die Rückversicherer – bei denen sich alle Versicherer absichern – unüberschaubar und schwer abschätzbar zu werden. Daher sollte der Staat auf ein fair reguliertes Pflichtversicherungssystem bestehen, zum Ausgleich aber einen Teil der finanziellen Lasten übernehmen.“ In Japan teilen Staat und Versicherungen sich die Kosten je zur Hälfte, damit sind Einkommens- und Risikogerechtigkeit gleichwertig.
Katastrophen kennen keine Grenzen
Weitzdörfer kann weder bei einem föderalen System wie in Deutschland noch bei einem zentralistischen wie in Japan grundsätzliche Vor- oder Nachteile bei der Bewältigung von Katastrophen erkennen. So können – nicht müssen – für ihn zum Beispiel auch Entscheidungen, welche Maßnahmen lokal die richtigen sind, durchaus zentral getroffen werden: „Das haben wir in Deutschland ja auch bei der Corona-Pandemie gesehen.“
In Japan ist das nationale Katastrophen-Management – Prävention und Reaktion – im Kabinettsbüro des Ministerpräsidenten angesiedelt, das etwa dem deutschen Bundeskanzleramt entspricht. Das Büro delegiert dann Aufgaben nach unten. Bei der Katastrophen-Bewältigung in Japan hat sich das bisher weitgehend bewährt, vor allem in der Phase unmittelbar nach der Katastrophe.
Längerfristig ist aber auch die kommunale Verantwortung sehr wichtig, weil unter anderem die Behörden vor Ort die lokale Situation am besten einschätzen können. „Wie gut die Zusammenarbeit der Organisationen und Ebenen funktioniert, ist von außen nicht leicht und nicht pauschal zu beurteilen.“ Grundsätzlich sind die Informationen der kommunalen Behörden auch für Versicherer bzw. Staatsfonds wichtig, um zukünftige Risiken kalkulieren zu können.
Da sich Naturkatastrophen nicht an Grenzen von Gemeinden, Bundesländern und Staaten halten, müssen staatliche Organisationen und Verwaltungen aber auch grenzüberschreitend kooperieren: „Die Überschwemmungen im Juli betrafen nicht nur Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, sondern auch Belgien und die Niederlande. Sie haben eine zunehmend transnationale Dimension.“
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